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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

7. 9. 2013 - 15:15

Schluss mit so Dingen wie "Afrikanischer Literatur"

Man sollte endlich aufhören so zu tun, als wäre der ganze Kontinent ein einziges Land, fordert ein aktueller Popstar der Bücherwelt, Tayle Selasi. Und eröffnet damit das Internationale Literaturfestival Berlin.

Am Mittwoch wurde das Internationale Literaturfestival Berlin eröffnet, bis zum 15. September werden in 250 Veranstaltungen 164 Autorinnen und Autoren aus 47 Ländern aus ihren Werken lesen und diskutieren.

Internationales Literaturfestival Berlin

Literaturfestival Berlin

„Das Literaturfestival will auf unkonventionelle Weise über Literatur nachdenken“, erklärte Festspiele-Intendant Oberender in seiner Eröffnungsrede. Er wies auf die Comic- Ausstellung im Hause hin und auf den Graphic Novel Day, den das Festival seit 2011 ausrichtet.

Das zum großen Teil recht gediegene Publikum im ausverkauften Saal hörte höflich zu, über 1000 Menschen waren gekommen und warteten gespannt auf den momentanen Popstar der Bücherwelt, Tayle Selasi. Sie sollte den Eröffnungsvortrag halten.

Vorher traten aber noch ein agiler Jazzschlagzeuger und eine Flötistin auf, sie verstand sich nicht nur auf das Schalmei- und Querflötenspiel sondern beherrschte auch das simultane Flöten zweier Blockflöten.

Nach dieser interessanten Katzenmusik kam endlich der Star des Abends auf die Bühne; die nigerianisch- ghanaisch- schottische Autorin Taiye Selasi. Sie ist die Erfinderin des Begriffs "Afropolitan", mit dem sie die neue Generation afrikanischer Weltbürger beschreibt:

"Sie erkennen uns an der lustigen Kombination von Londoner Mode, New Yorker Jargon, afrikanischen Wertvorstellungen und akademischen Erfolgen. Einige von uns sind ethnische Mischungen, z.B. ghanaisch und kanadisch, nigerianisch und schweizerisch; andere sind bloß kulturelle Promenadenmischungen: amerikanischer Akzent, europäisches Gemüt, afrikanisches Ethos. [...] Wir sind Afropoliten: nicht Weltbürger, sondern Weltafrikaner."

Tayle Selasi

Nancy Crampton Photography

Sie selbst, als Tochter eines ghanaischen Vaters und einer nigerianisch-schottischen Mutter in London geboren, ist in Boston aufgewachsen. Sie studierte in Yale und Oxford und lebt mit amerikanischem Pass in Rom, zieht bald nach Amsterdam und hat ein Haus in Indien und eine Wohnung in New York. Schwarzafrika betrat sie zum ersten Mal mit 15 Jahren.

Kein Wunder, dass die Kosmopolitin Selasie die Kategorie der Herkunft für wenig aussagefähig hält und sich mit Recht dagegen verwahrt, nur wegen ihrer Hautfarbe in die Kategorie "Afrikanische Literatur" einsortiert zu werden. Für ihre Rede in Berlin hat sie sich vorgenommen zu zeigen, dass es keine afrikanische Literatur gibt, genauso wenig wie asiatische und nordamerikanische. "Es gibt gute Literatur und schlechte. Liebesgeschichten und Kriegsgeschichten. Romane über Städte. Bildungsromane. Familiendramen", führt sie aus.

An kontinentalen Einteilungen festzuhalten, sei "ein Verrat an der Komplexität der afrikanischen Kulturen und an der Kreativität afrikanischer Autoren". Der Kontinent bestehe "aus 55 Staaten, die von den Vereinten Nationen anerkannt werden. Über 2000 Sprachen werden auf dem Kontinent gesprochen, allein in Nigeria mehr als 400, und Südafrika hat elf offizielle Sprachen."

Selasi bezieht sich auf den Begriff der "Weltliteratur" auf die universalistischen Literaturbegriffe Edward Saids und Charles Simics, sie berichtet von ihren Erlebnissen auf den Panels und Identity-Kongressen dieser Welt, Wohlmeinende Veranstalter in Hamburg, hatten für ihren Auftritt einen mit ostafrikanischer Kunst ausgestatteten Safariraum im Tierpark Hagenbeck gewählt, sie wies sie darauf hin, dass ostafrikanische Kunst mit ihren westafrikanischen Wurzeln nicht das geringste zu tun hat. In Ghana gibt es keine Safari.

Der Originaltitel ihres Romans "Ghana Must Go" musste in "Diese Dinge geschehen nicht einfach so" geändert werden, weil man sonst in Deutschland gleich an Armut, Hunger und Krieg denke.

Um unzureichenden Begriffe wie "afrikanische Literatur" zu vermeiden, schlägt sie vor, künftig nur noch postnationale Genres wie Bildungsroman, Kriegsroman, Großstadtroman oder Liebesgeschichten zu unterscheiden, und eigentlich wäre es am Besten, nur von guten oder schlechten Büchern zu sprechen.

Selbstbewusst wünschte sie sich deshalb, ihren Roman im Regal nicht unter "Afrikanische Literatur" sondern unter dem Thema "Dysfunktionale Familien", zwischen Jonathan Franzens "Korrekturen" und Thomas Manns "Buddenbrooks" zu finden.

Allerdings wird bei dieser neuen Einteilung von Literatur eine wichtige Kategorie, die Sprache, unterschlagen. Auch wenn es innerhalb der verzwicktesten Patchwork-Identitäten in der heutigen Literatur längst keinen Sinn mehr macht von Nationalliteratur zu sprechen, so könnte doch die Sprache in der Literatur sich ausdrückt, eine Heimat, eine Identität, sein.

Dann wäre Tayle Selasi eine amerikanische Autorin mit westafrikanischen Wurzeln und Themen.

Und auch wenn es auf beleidigende Weise vereinfachend, eigentlich kultureller Rassismus ist, einen vielfältigen Kontinent wie Afrika immer wieder wie ein einheitliches Land zu behandeln - dass es, wie Selasi vorträgt ja auch keine "nordamerikanische" oder "europäische" Literatur gäbe, stimmt einfach nicht.

In der Literaturwissenschaft spricht man durchaus vom "europäischen Gesellschaftsroman" und von den "amerikanischen Erzählern des 20 Jahrhunderts".

So blieb ihr Vortrag in den Begrifflichkeiten ein wenig unlogisch und ein wenig unbefriedigt verließ man den ausverkauften Saal.

Im Foyer wurden Getränke ausgeschenkt, dort konnte man die anderen Besucher gut mustern und das Gefühl genießen, dass es in Berlin doch immerhin noch Orte gibt, wo man sich, selbst längst jenseits der Lebensmitte, noch total jung und unkonventionell fühlen kann.

So klang der Abend dann auch mit heiterem Promi-Watching aus: Ein weiterer Literaturstar, Daniel Kehlmann, signierte seinen neuen Bestseller. Detlev Buck, der Kehlmanns letzten Bestseller verfilmt hatte, lief durch die Gänge, und ein paar auffällig gutaussehende Menschen drapierten sich auffällig locker auf die Sitzgelegenheiten im Foyer, vielleicht waren es die Jungschauspieler der nächsten Kehlmann-Verfilmung.