Erstellt am: 7. 9. 2013 - 12:39 Uhr
Entdecken und Staunen
Die Ausstellung Cyber Arts 2013 zeigt die beim Prix Ars Electronica 2013 prämierten Arbeiten aus den Bereichen Digital Communities, Hybrid Art, Interactive ARt, Digital Musics & Sound Art sowie Computer Animation.
Staunen ist oft der erste Schritt zu Erkenntnis. Die Cyber Arts Ausstellung bei der Ars Electronica, eines ihrer Herzstücke, versetzt die BesucherInnen des öfteren in den Zustand des Staunens und der Bewunderung. Manche Installationen schaffen das ohne große Vermittlung, einfach durch die bloße Erfahrung. Andere, konzeptuellere Arbeiten erschließen sich oft erst durch den Begleittext oder das Gespräch mit den KünstlerInnen, die oft persönlich anwesend sind.
"AHORA. A song in the Hypertemporal Surface" gehört zu ersteren Arbeiten. Ganz oben im Landeskulturzentrum Ursulinenhof, unter den Dachbalken hängen vier Lautsprecher von der Decke. In fast völliger Dunkelheit sind sie die einzigen Gegenstände, die beleuchtet sind. Bewegt man sich durch den Raum beginnen sie unterschiedliche Geräusche wiederzugeben, je nachdem wie nah man an sie rankommt, wie schnell man geht oder in welche Richtung. Ein sphärisches Klangerlebnis, bei dem jede und jeder selbst bestimmt, welchen Song die Klangelemente bilden. Mit jedem Schritt wird das Stück neu geschrieben.
Ahora ist eine Arbeit von den Argentiniern Hernán Kerlleñevich und Mene Savasta Alsina
Simon Welebil / FM4
Genauso zugänglich ist eine Arbeit des US Künstlers Daniel Rozin. "Angles Mirror" ist ein großer, dreieckiger Stahlblock voll mit drehbaren gelben Stäbchen. Im Grundzustand sind diese Stäbchen horizontal angeordnet, wenn man sich auf die Skulptur zubewegt, stellen sich einige von ihnen schräg oder ganz auf und bilden ab, was vor ihr passiert. Eine neue Form der geometrischen Bilderzeugung, die zum Spielen einlädt.
Simon Welebil / FM4
Spielzeug ist auch das Material, das Elena und Dmitry Kawarga in ihrer Installation "Down with Wrestlers with Systems and Mental Nonadapers!" verwenden. Von der Decke hängt ein Gitter mit kleinen Figuren, der übrige Raum wird von Förderbändern durchkreuzt, auf denen ähnliche Figuren montiert sind. Die Partizipation der BesucherInnen startet drei verschiedene Vorgänge. Stellt sich jemand auf das Laufband im Raum beginnen sich die Förderbänder in Bewegung zu setzen. Wie ein Gott, so wie es der Begleittext verspricht, fühlt man sich zwar bei Weitem nicht, aber die Bewegung rundherum erheitert.
Auf einem der Förderbänder, das durch eine schwarze Holzbox führt, ist eine Kamera montiert. Die zeigt eine andere Welt in der Box, die Welt des Künstlers, die ohne Laufen auf dem Band im Verborgenen bleiben würde. Die zweite Referenz zur Welt der KünsterInnen bezieht sich auf den Dadaismus. Spricht man das Wort "DaDa" (womöglich auch jedes andere Wort) in ein Mikrophon vor dem Laufband wird ein Impuls von niederer Frequenz an die Struktur auf der Decke weitergegeben. Einige Figuren können dadurch runterfallen und werden von DaDa von der Struktur befreit.
"Gruselig", "Ungewohnt", "Interessant" sind die Wortmeldungen, die aus der dunklen Kammer von Louis-Philippe Demers kommen. In der Kammer sind auf einem Tisch nämlich zwei Roboterhände montiert, die BesucherInnen, abtasten. "The Blind Robot" nennt er seine Installation und allein mit der Namensgebung beeinflusst er die Rezeption durch die BesucherInnen.
Wie wie es wohl ein blinder Mensch tun würde, fahren die Roboterhände über die Gesichter der Freiwilligen. Dabei strecken sie die Finger nach Nase, Wangen und Ohren aus, bevor sie wieder einfahren. Gibt es eine intime Berührung durch soziale Roboter, ist eine der Fragen, die der Kanadier Demers stellt, das Publikum reagiert darauf sehr unterschiedlich. Zwischen unheimlich und kalt, menschenähnlich und sanft schwanken die Antworten jener, die es ausprobiert haben. Eine Barriere zwischen Mensch und Maschine bleibt.
Simon Welebil / FM4
Zwischen Mensch und Tier gibt es diese Berührungsängste weniger. Für seine Arbeit "The Cosmopolitan Chicken Project" hat der Niederländer Koen Vanmechelen einen Hühnerkäfig in den Ursulinenhof gebracht. Ein steirischer Hahn stolziert darin herum, unbeeindruckt vom Publikum. Der Hahn ist eines der Ergebnisse von Vanmechelens künstlerischer Arbeit, in der er Kreuzzüchtungen von Hühnern macht. Weltweit gibt es zig Arten von Hühnern, alle seit ca. 7.000 Jahren hochgezüchtet, als der Mensch es zum ersten Mal domestiziert hat.
Simon Welebil / FM4
Die These von Vanmechelen: Mit der Art, wie sie ihre Hühner züchten projeziere jedes Volk seine Kultur darauf. So gibt es in Frankreich etwa ein Huhn mit rotem Kopf, weißem Körper und blauen Füßen, die Tricolore. Vanmechelen möchte diese nationalen Züchtungen ablösen, indem er das kosmopolitische Huhn züchtet, das das genetische Material aller Hühnerarten in sich trägt. 3.000 Hühner stehen ihm weltweit auf Zuchtfarmen dafür zur Verfügung.
Neben der transnationalen Bedeutung gibt es aber auch biologische Gründe für Vanmechelens Züchtung. Indem er verschiedenste Hühnerarten kreuzt, erweitert er den eingeschränkten Genpool der Hühner um ein Vielfaches. Das Ende der Inzucht bringt gesündere und fruchtbarere Hühner hervor, ihre Attraktivität liegt im "Hühnerauge des Betrachters" c)
Simon Welebil / FM4
Das unscheinbare Highlight
Zu den interessantesten Arbeiten der Cyber Arts Ausstellung zählt eine Konzeptarbeit, zu der man viele Informationen benötigt, um ihre Tiefe zu erfassen. Es ist die auf den ersten Blick unscheinbare und auch ein wenig versteckte Skulptur "Pancreas" des Tiroler Multimediakünstlers Thomas Feuerstein.
Auf dem Boden liegt ein Stoß bedruckter Papierblätter. Weiter hinten steht auf einem Stuhl ein Glascontainer, in dem irgendwas vor sich hin blubbert. In der Mitte steht auf einem Tisch ein weiterer Glascontainer mit einer Glasskulptur: Gewundene Glasröhren in Form eines Gehirns, gefüllt mit einer rosaroten Substanz, echten Gehirnzellen, wie sich herausstellt.
Die Skulptur ist allerdings nur der konservierte Zustand einer prozessualen Arbeit, wobei prozessual meint, dass etwas übersetzt und verarbeitet wird, um etwas Neues zu schaffen, wie Thomas Feuerstein erklärt.
Dieser Stuhl ist ein Biofermenter, der Bücher, bzw. Papier verdaut. Papier besteht zum großen Teil aus Zellulose, ein Polymer von Glucose, das Thomas Feuerstein als bildnerisches Material besonders interessiert. "Glucose ist der Treibstoff oder das Benzin des Lebens, alle Zellen leben von Glucose." Die Glucose wird dann in weiterer Form gefiltert und den Gehirnzellen zugeführt, die sich dadurch vermehren. Runtergebrochen könnte man sagen die Bücher bringen die Gehirnzellen zum Wachsen.
Wissenschafter von der Med-Uni in Innsbruck haben ihm geholfen, diese biotechnische Arbeit zu installieren, die umso spannender wird, je genauer man hinsieht. Der Druck auf dem Papier ist z.B. nicht beliebig, sondern stellt schematisch ein Glucose-Molekül dar mit lauter Kugeln und wenn man näher kommt, erkennt man, dass die Kugeln aus Text, wahnsinnig viel Text bestehen. Hier kommt zum ersten Mal eine ironische Komponente ins Spiel, denn auch der Text ist ein Verweis.
"Wie das Gehirn im Vorjahr gewachsen ist, bekam es eine ganz besondere Diät", erzählt Thomas Feuerstein, es bekam nur Hegels "Phänomenologie des Geistes" verabreicht, indem es auch um die Dialektik von Idealismus und Materialismus geht, die in dieser Arbeit eine große Rolle spielt. "Weil wir haben es hier mit einem Übersetzungsprozess zu tun: Texte sind etwas Immaterielles und die werden plötzlich in Fleisch übersetzt, d.h. in etwas höchst Schnödes, Materielles. Genau in diesem Zwischenfeld operiert die Arbeit."
Die ironischen Verweise gehen aber weiter. Denn für die Ausstellung hat er die Gehirnzellen konserviert, und zwar mit dem selben Stoff aus dem sie hervorgegangen sind, der "Hegel-Glucose". Nur hat er diesmal aus der Glukose Alkohol destilliert und damit die Gehirnzellen abgetötet. "Leben und Tod reichen sich quasi in Form der Glucose die Hände". Ein unglaublich rundes Projekt, bei dem man aber manchmal um die Ecke denken muss.
FM4 bei der Ars Electronica
Vom 5. bis 9. September in Linz. FM4 überträgt live am Samstag, den 7. September
- FM4 Reality Check Spezial (12-13 h)
- FM4 Connected Spezial (13-17 h)
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