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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

5. 9. 2013 - 20:18

Erstes NSA-Hearing im EU-Parlament

Le Monde und Guardian appellierten an die Parlamentarier, die Pressefreiheit zu schützen. Jacob Appelbaum hielt eine Brandrede und stellte unveröffentlichte NSA-Programme vor.

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Weitere Stories zum Datenskandal und Überwachungsprogrammen der NSA:

Zur Überraschung aller begann die erste Sitzung des EU-Parlaments zur NSA-Spionageaffäre weder mit "Prism" noch mit der NSA. Statt der Zuschaltung des Aufdeckers Glenn Greenwald wurde ein Livestream mit dem Chefredakteur des Guardian, Alan Rusbridger, angekündigt.

Zuerst kam aber Jacques Follorou von Le Monde zu Wort, der den erstaunten Parlamentariern das französische Pendant zum NSA-System vorstellte. Das von Le Monde aufgedeckte zentralisierte Datenbanksystem, das vom französischen Militärgeheimdienst DGSE betrieben wird, sei um Dimensionen größer als bis dahin angenommen, sagte Follorou.

Das Erschreckende dabei sei die Erkenntnis gewesen, dass sich die Zugriffsmöglichkeiten auf diesen Verbund von Datenbanken keineswegs auf das DGSE und den Zweck der Fahndung nach Terroristen beschränke. Von Steuerfahndung und Zoll angefangen könnten auch Polizeibehörden routinemäßig diese Datensätze abfragen, sagte Follorou.

Anfangsverdacht erhärten

Das deckt sich mit wiederholten Berichten aus Großbritannien, wo Polizeibeamte routinemäßig bei den Geheimdiensten mit dem stets gleichen Anliegen vorstellig werden. Mangels ausreichenden Anfangsverdachts komme man mit den Ermittlungen nicht weiter und benötige deshalb von den Diensten zusätzliche Informationen, um den Anfangsverdacht zu erhärten.

Aktuell dazu auf ORF.at

Auf dem G20-Gipfel ist US-Präsident Barack Obama bezüglich seiner Position zu Syrien ziemlich isoliert. Als Beweise für eine Urheberschaft des Assad-Regimes am Giftgasmassaker wurden von der NSA angeblich abgehörte Telefonate oder Funksprüche syrischer Militärs angeführt.

Was ihn an der Affäre aber wirklich schockiert habe, sagte Follorou, war die fehlende Reaktion von Politik und Öffentlichkeit in Frankreich. Die Aufdeckerserie von Le Monde habe nur wenig Aufregung ausgelöst, die Politik wiederum habe mit kollektiver Abwiegelung reagiert. Die Mannen vom DGSE seien doch verfassungstreue Patrioten und hohen ethischen Standards verpflichtet, denen der Bürger einfach vertrauen sollte. "Trust us", das war bisher stets das Narrativ der NSA gewesen, wenn eben diese Fragen an die Agency gestellt wurden.

Zugriff auf Wirtschaftsdaten

Auf diese Aktivitäten der NSA ging dann der nächste Redner auf dem Panel ein, der Aufdeckungsaktivist Jacob Appelbaum. Er wies darauf hin, dass "Prism" nur einen winzigen Ausschnitt des gesamten Überwachungssystems darstelle.

Jacob Appelbaum

EPA

Jacob Appelbaum

So gebe es ein eigenes Programm, das nur "Business Records", also Firmen betreffende Daten abziehe und dauerhaft speichere. Auf diese Daten haben laut Appelbaum neben den Mitarbeitern der Geheimdienste und deren privater Vertragsfirmen auch andere Behörden Zugriff.

Die Tauschbörsen der Dienste

Appelbaum zitierte aus einer ganzen Reihe weiterer, noch unveröffentlichter NSA-Programme und gab einen Abriss über Art und Hierarchie des Informationsaustauschs unter den westlichen Geheimdiensten. Nur Großbritannien und die USA sind im seit 1947 bestehenden UKUSA-Bündnis vollwertige Partner, Australien, Kanada und Neuseeland stehen in der zweiten Reihe. (Details dazu in der Infobox zum Echelon-System weiter unten.)

Deutschland müsse als Partner dritter Ordnung eine gewisse Quote an eigenen Informationen einspeisen, um selbst Abfragen durchführen zu können, sagte Appelbaum. Auf der Ebene der Geheimdienste seien nämlich vergleichbare Regeln gültig, wie in besseren Tauschbörsen erst eine Uploadquote erfüllt werden müsse, um an die Downloads zu kommen. Diese bisher unveröffentlichten Programme würden, so Appelbaum ganz nebenbei, zu einem passenden Zeitpunkt veröffentlicht.

Anschlag auf die Pressefreiheit

Alan Rusbridger, The Guardian

EPA / The Guardian

Alan Rusbridger

Die folgende Fragerunde unter den Parlamentariern verlief etwas unübersichtlich, weil schlicht zuviele Fragesteller pro Durchgang zugelassen waren und dadurch sehr vieles offen blieb. Die von den Abgeordneten am häufigsten gestellte Frage war, ob solche Schleppnetzmethoden denn in anderen, womöglich sogar in allen EU-Staaten üblich seien? Nicht einmal letzteres konnte ausgeschlossen werde.

Im Anschluss wurde Alan Rusbridger, der Chefredakteur des Guardian, per Video zugespielt, der sich auf das Thema der bedrohten Medienfreiheit fokussierte. Erst vor kurzem waren hochrangige britische Geheimdienstmitarbeiter beim Guardian aufgetaucht und hatten ultimativ die Herausgabe des gesamten Materials von Edward Snowden verlangt.

Da sich Rusbridger weigerte, fand eine bizarre Zertrümmerungsaktion von Festplatten und Laptops in den Räumlichkeiten des Guardians statt. Der Gefährte von Guardian-Aufdecker Glenn Greenwald, der Brasilianer David Miranda wurde im Transitbereich von London Heathrow stundenlang unter Terrorverdacht festgesetzt. Rusbridger appellierte an die Parlamentarier, ein Zeichen gegen diese Bedrohungen der Medienfreiheit zu setzen.

The Guardian-Journalist Glenn Greenwald und sein Lebensgefährte David Miranda

EPA / EFE/Agencia O Globo

Journalist Glenn Greenwald und sein Lebensgefährte David Miranda

Weitere Irritationen

Im Zeichen von Prism und Co werden am kommenden Samstag in Berlin, Wien und anderen europäischen Städten die mittlerweile traditionellen "Freiheit statt Angst"-Demonstrationen gegen Überwachung stehen.

Sein Kollege Follorou setze noch eine Überraschung drauf, indem er auf ihm vorliegende Aussagen aus französischen Geheimdienstkreisen verwies. Demnach gibt es ein enormes, gemeinsames Datenbanksystem für westliche Geheimdienste, an dem auch Frankreich beteiligt sei. Follorou befürchtete ganz offen, dass weitere Enthüllungen durch die Medien immer offenere staatliche Repressalien zur Folge haben könnten.

Nach einer weiteren Fragerunde, in der die Irritation der Parlamentarier über die geschilderte Situation der Medien nicht mehr zu übersehen war, war Appelbaum wieder an der Reihe. "Ich bin lieber ein Immigrant in Berlin als ein Bürger in den USA. Meine Berliner Nachbarin ist Laura Poitras. Greenwald lebt in Brasilien. Warum glauben Sie, ist das so?", eröffnete Appelbaum, was folgte war eine explosive Mischung aus Fastenpredigt und Brandrede gegen Überwachungsapparat und -Industrie, Medien und den Präsidenten der USA.

Spionageantennen, Botschaften

Den Parlamentarierern wurde schlussendlich auch noch Duncan Campbell vorgesetzt. Der schottische Aufdecker war maßgeblich am Auffliegen des Echelon-Skandals um 2000 beteiligt gewesen und beim folgenden Untersuchungsausschuss der maßgebliche Experte.

Neben Fotos von neuen Stationen des Funküberwachungsystems Echelon im Oman und anderswo auf der Welt hatte Campbell auch Luftaufnahmen von den Antennenmasten auf Botschaften der USA und anderen Staaten mitgebracht. Warum da einige Antennen wohl eindeutig GSM und drahtlosem Breitband zuzuordnen seien, fragte Campbell maliziös ins Publikum und wies darauf hin, dass die US-Botschaft in Brüssel vom Fenster dieses Parlamentssaals in Sichtweite sei.

Brasilien

Obwohl Glenn Greenwald nicht zugeschaltet war, gab es doch Nachrichten aus Brasilien. Das Hearing im EU-Parlament war noch keine halbe Stunde alt, da kam die Nachricht über die Ticker.

Als Reaktion auf die durch Edward Snowden aufgedeckte Überwachung ihrer Telefonate hatte die brasilianische Staatspräsidentin Dilma Roussef ihren lange geplanten Staatsbesuch in den USA abgesagt.