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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

5. 9. 2013 - 13:56

Quentin Tarantino meets Gebrüder Grimm

"Königreich der Schatten" von Michael Stavarič

C.H.Beck Verlag

Einem jungen Mann begegnen Phänomene und Ungeziefer. Irgendwann hängt er sich ein Krokodil um („Ich war immer schon ein Taugenichts“). Eine junge Frau verfolgt den handfesten Plan, Fleischhauerin zu werden. Diese zwei jungen Menschen kennen einander nicht und sie wissen auch nicht, dass sich ihre Großväter (zwei Fleischhauer) im Zweiten Weltkrieg gegenüber gestanden sind. Das Schicksal wird die beiden Enkelkinder aus Wien und New York letztlich in Leipzig zusammenbringen.

Im Grunde ist das aber egal, denn, so Michael Stavarič, er hätte irgendeinen an den Haaren herbeigezogenen Plot verwenden können, es ging ihm um etwas anderes. Er wollte einen illustrierten Roman schreiben, im Text plastische Bilder erzeugen, die in die Zeichnungen der Illustratorin Mari Otberg Eingang finden. Diese Zeichnungen unterstützen den Text in seiner Ironie (zum Beispiel der Lederknoten zum Hemd eines Pimpf oder ein treuherziger Schäferhund, der sich fragt, wie es ist, schon zu Lebzeiten tot zu sein).

Michael Stavaric

Lukas Beck

Michael Stavarič, fotografiert von Lukas Beck

Vordergründig und in der ersten Hälfte des Buches geht es um die junge Frau, deren schöne Kindheitserinnerungen allesamt um eine Fleischerei kreisen. Die Mutter nervt, die junge Frau zieht aus. Nach Leipzig, wo zu ihrer großen Freude just einen Tag nach ihrer Ankunft eine internationale Fleischhauermesse beginnt. Sie saugt das angebotene Wissen eifrig in sich auf, netzwerkt, übernimmt alsbald eine Fleischhauerei, besorgt sich scharfe Messer und eine Antirutschmatte, die Handschlachtung für Anfänger hat sie ja schon gelernt.

Weshalb verfolgt man diese seltsam entrückte Geschichte? Weil sie einen nachdenken lässt über Massentierhaltung, über gesunde Ernährung und den Effizienzwahn von Karrieremodellen. Es wäre eben plump, über die Leipziger Buchmesse zu schreiben oder über Supermarktketten, die Fleisch zu Dumpingpreisen anbieten, Michael Stavarič nimmt die Hintertür.

Schmimmende Person, hinter ihr schwimmender Tod (Illustration)

Mari Otberg

Mari Otberg hat den Roman illustriert.

Der zweite Teil des Romans dreht sich um den selbst ernannten Taugenichts, er lebt in New York, wo tote Insekten vom Himmel fallen, reist nach Frankreich, wo Vögel nur mehr als Attrappen am Himmel hängen, besucht dort ein von Krokodilen bevölkertes „Naherholungsgebiet“ in einem Atomreaktorpark. Dann bricht das Telefonnetz zusammen. Um den Ausgang des Romans und der Welt kann es nicht gut bestellt sein („Wie hatte man jemals annehmen können, dass das gut gehen könnte?).

Mit Splatterelementen, lebenden und toten Tieren, von Fabeln inspirierten Wesen, dem Tod als lächerliche Figur mit Badekappe wird dieses Königreich von Dystopie überschattet. Es steuert wer weiß wohin.

Quentin Tarantino meets Gebrüder Grimm, um einen Roman über industrielle Fleischproduktion und Karrieremodelle im 21. Jahrhundert zu entwerfen. Beunruhigend schön ist das.