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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

3. 9. 2013 - 12:35

Scheinritual Wahlkampf

Der Blick von JournalistInnen deutscher Medien auf den österreichischen Wahlkampf - und warum unsere Politik ein bisschen anders ist.

fm4.ORF.at/wahl13

Am 29. September wählt Österreich einen neuen Nationalrat, FM4 berichtet umfassend. Bereits am Sonntag davor, also am 22.9., wählt unser größter Nachbar, die Bundesrepublik Deutschland, ebenfalls einen neuen Bundestag. Letzten Sonntag gab es dazu das TV-Duell der Spitzenkandidaten Steinbrück (SPD) und Merkel (CDU), am Montag debattierten dann die Vertreter der drei kleineren Parlamentsparteien, Brüderle (FDP), Trittin (Grüne) und Gysi (Die Linke).

Joachim Riedl hat sein Büro unweit des Herzens von Wien, zwei Gehminuten zum Stephansdom, wohl auch in Deutschland eines der bekanntesten Wahrzeichen Österreichs. Der gebürtige Österreicher gestaltet als Wien-Korrespondent die Österreich-Seiten der renommierten, deutschen Wochenzeitung "Die Zeit". Das Thema Nationalratswahl war bislang, knappe vier Wochen davor, allerdings noch kein Quotenbringer, meint Riedl, der anhand der Online-Zugriffe abschätzen kann welche Geschichte gut oder weniger gut läuft.

Die Stronach-Story ist ein Hit

"Bei der Zeit-Leserschaft war die Geschichte über Frank Stronach ein Hit! Das wollten viele lesen - Der Milliardär, der mit viel Geld in die Politik einsteigt, das hat was. Allerdings haben die übrigen Geschichten Zugriffszahlen aus Deutschland, die man mit der Lupe suchen muss."

Es ist also immer das Außergewöhnliche, das österreichische Innenpolitik zumindest am bundesdeutschen Radar sichtbar macht. Zuerst war das natürlich der Aufstieg Jörg Haiders und des Rechtspopulismus, dann auch die FPÖ-Regierungsbeteiligung in Schüssels Wenderegierung. Ganz generell bewegt sich das Interesse an österreichischer Politik - und zwar nicht nur jenes der deutschen Bevölkerung, sondern auch das deutscher Journalisten - freilich weit unter der Aufmerksamkeitsschwelle.

Joachim Riedl

Joachim Riedl

Joachim Riedl ist Journalist, Schriftsteller und Publizist und hat vor der Zeit auch schon für den Spiegel, Profil oder die Süddeutsche Zeitung geschrieben. Er betreut die Österreich-Seiten der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit"

Ähnlichkeiten und Unterschiede

Selbst wenn die grundsätzliche Struktur der politischen Topografie, also der Parteienlandkarte, ganz prinzipiell vergleichbar ist (es gibt kaum ein Land, das Österreich in dieser Beziehung mehr ähnelt als die Bundesrepublik), gibt es auch Unterschiede: Vor allem was die FDP und die FPÖ betrifft, eine liberale und eine rechtspopulistische Partei, die so gut wie alles trennt.

Riedl: "Dort wo es bei uns eine rechtspopulistische Partei gibt, gibt es in Deutschland eine linkspopulistische (Anmerkung: gemeint ist Die Linke). Was aber unvergleichlich ist, und zwar nicht nur in der Parteienlandschaft, sondern auch im politischen Denken: Dass wir diese Idee der großen Koalition, also das harmonische Zusammenraufen der beiden großen gesellschaftspolitischen Blöcke, eigentlich als staatliches Grundprinzip haben. Anders in Deutschland: Dort gilt die große Koalition als größte anzunehmende Katastrophe, eine absolute Notlösung, während sie in Österreich quasi das Standardprogramm darstellt. Man geht von vornherein davon aus, dass man sich schon irgendwie arrangieren wird."

Lagerwahlkampf vs. Arrangieren aus Staatsräson

Und insofern unterscheidet sich natürlich auch der Wahlkampf. Das Gefühl, dass es sich die beiden größeren, politischen Lager "eh irgendwie richten werden" desavouiert natürlich die inhaltliche Debatte. Was bleibt, ist eine bemüht sportliche "Jeder gegen Jeden"-Show inklusive dutzender Livedebatten, während es in Deutschland nur zwei gibt.

"Es ist in Österreich dadurch eben ein Scheinritual. Ein Scheingefecht. Aus deutscher Sicht wäre ungläubig festzustellen, dass ohnehin allen bewusst ist: In der herrschenden Konstellation kann sich nichts ändern, alle können ganz gut damit leben und wollen auch gar nicht von einer Alternative ausgehen, da sie sich mit den bestehenden Zuständen gut arrangiert haben."

Und noch einen gravierenden Unterschied sieht der Wien-Korrespondent der Zeit in den politischen Strukturen Österreichs und Deutschlands. Klar, hier haben wir eine Kanzlerin Merkel, die immerhin im Alleingang versucht die Eurokrise niederzuringen, und dort eine kleine Alpenrepublik. Trotzdem, die Erstarrung durch das genannte "sich richten" hat auch noch mehr negative Folgen. Vor allem eine gewisse Tradition des Nicht-Sanktionierens, einer fehlenden Rücktrittskultur, hat hier zu einer beginnenden Ohnmacht geführt, die sich bestenfalls in humoristischer Häme Luft machen kann.

Verspielte Reputation

"Die politische Klasse hat in Österreich in diesen vergangenen zehn Jahren so viel an Reputation verspielt, dass viele Wähler das agierende politische Personal vielleicht nicht als Kasperln sehen, das wäre das falsche Wort, dann wären sie ja noch unterhaltsam. Nein, sie sehen das eher als einen Bereich, mit dem man nichts mehr zu tun haben möchte. Die Verweigerungshaltung scheint aus meiner Sicht schon vergleichsweise hoch. Was in Deutschland nicht der Fall ist. Sowohl Steinbrück als auch Merkel genießen doch in einem hohen Grad Respekt und das nicht nur in ihren eigenen Reihen. Ich glaube, dass Respekt im deutschen Wahlkampf durchaus eine Währung ist. In Österreich bin ich mir da nicht so sicher."

TV Duell: Angela Merkel und ihr Kontrahent Peer Steinbrück

EPA/WDR

In ein ähnliches Horn stößt übrigens auch Cathrin Kahlweit, sie ist seit mehreren Jahren Österreich-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung. Und sie kann manchmal nicht so ganz nachvollziehen, warum Österreichs Politiker beim Volk fast schon im Genre Kabarett angesiedelt sind. Ihr fällt selbst bei heimischen Polit-Berichterstattern auf, dass alle Politiker als Lachnummern betrachtet werden, während Merkel, Steinbrück oder Trittin eher gefürchtet als verlacht werden. Ansonsten hält Cathrin Kahlweit es nicht für möglich, dass eine deutsche Partei innerhalb der demokratischen Satisfaktionsfähigkeit einen Wahlkampf wie die FPÖ führen würde oder aber ein Milliardär so einfach eine Partei kaufen könnte. Dafür amüsiert die Korrespondentin das eine oder andere heimische Wahlplakat, während da in Deutschland eher biedere Seriosität angesagt ist - auch wenn sie manchmal vor Schrecken fast vom Fahrrad fällt, wie sie mir am Telefon erzählt.

Und immer am Ende: Fehlende Konsequenzen

Joachim Riedl von der "Zeit" findet es gar nicht zum Lachen, wie sich der politische Umgang und die moralische Kultur angesichts all der Skandale der letzten Jahre unterscheiden. Nicht nur der Telekom Parteispenden-Skandal - und da sind sich beide Korrespondenten aus Deutschland einig - hätte in Deutschland eine Rücktrittswelle immensen Ausmaßes ausgelöst. Diese fehlende Kultur von Verantwortung ist neben der "Herumwurschtlerei" samt zementierter Großkoalition wohl der maßgeblichste politische Unterschied zweier Länder, die sich hinsichtlich Parteienlandschaft so ähnlich sind - und sich hinsichtlich ihrer Größe und Bedeutsamkeit doch so massiv unterscheiden.