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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

2. 9. 2013 - 19:58

Generation Maybe

"Rausgehen, Welt erobern" ist der Plan von Gerard. Der in Wien lebende Rapper ist der FM4 Soundpark Act des Monats September.

FM4 Soundpark Act des Monats

Im September: Rapper Gerard

Gerard im FM4 Soundpark

Gerald Hoffmann zählt zu einer österreichischen Minderheit: Er sudert nicht. Er ist optimistisch, blickt trotz aufkeimender Selbstzweifel positiv in die Zukunft und biedert sich nicht an. Gleichzeitig legt er sich die Messlatte höher als vielleicht andere, denn "Realistisch sein ist Schwachsinn, Unmögliches versuchen, um das Möglichste zu schaffen" ist sein Credo. Angelehnt an das englische Sprichwort "Shoot for the moon, even if you miss, you'll land among the stars" lanciert er diese essentielle Zeile schon in der ersten, titelgebenden Nummer seines neuen Albums "Blausicht".

Gerard

Gerard, ehemals Gerard MC

Wo genau er damit landen wird, entscheidet sich nach dem 20. September. In den deutschen Charts könnte er die "Blausicht" von ziemlich weit oben genießen, vielleicht sogar Seite an Seite mit Caspar, dessen Album "Hinterland" auch im September erscheinen wird. Wenn nicht, dann gibt es zumindest ein produktionstechnisches Nahverhältnis der beiden, denn Gerard hat die Platte in dem gleichen Studio, der Krabbe von DJ Stickle aufgenommen wie Casper sein mit Gold prämiertes Album XOXO. DJ Stickle und der in Wels aufgewachsene Gerard sind alte Homies. In Linz haben die beiden vor acht Jahren noch gemeinsam gejammt. Nach Stickles Umzug nach Berlin haben sie sich aus den Augen verloren, aber sich zufällig bei Gerards Support für Prinz Pi wieder getroffen. Kurze Zeit später hat sich Gerard dann in der Krabbe eingenistet, wie Caspar ein paar Jahre zuvor:

"Das war krass. Auf einmal schläfst du auf der gleichen Studio-Couch wie Casper, zu Zeiten wo er eine Platte produziert hat, für die er dann Gold bekommen hat. Das gibt halt auch extremen Mut und auf der anderen Seite gibt es dann keine Ausreden mehr. Weil früher hat man sich gerne mal darauf ausgeredet, dass der ein besseres Studio hat oder bessere Kontakte, aber das gab es halt dann nicht mehr."

"Blausicht" besteht aus 13 höchst persönlichen Kleinoden, mit denen er, ähnlich wie sein Idol Mike Skinner von The Streets, vom Kleinen auf das große Ganze schließen will. Thematisch kreisen diese essayistischen Gedankensplitter von einem gängigen Reimschema befreit auf futuristischen Beats um die sogenannte "Generation Maybe". Gerard zählt mit seinen 26 Jahren selbst auch zu dieser unentschlossenen Generation, der alle Türen offen stehen und sich deshalb nicht entscheiden kann:

"Das Album packt die ganze Thematik von einer Mut machenden, anspornenden Ebene aus an. Also nicht jammern, weil man überfordert ist. Es ist geil, dass wir so viele Möglichkeiten haben. Jeder für sich muss eben ein Ding finden, das seine Leidenschaft ist. Etwas, das er sein restliches Leben lang machen will und kann und da sollte er seine ganze Energie hineinstecken. Und dann wird das ganze funktionieren. Hoffentlich."

Letztes Jahr hat Gerard sein JUS-Studium abgeschlossen und stand dann vor der Entscheidung, ob er alles auf eine Karte, die Musik, setzen soll:

"Aber irgendwann dachte ich, hey, wenn ich was kann, dann wahrscheinlich das. In jedem anderem Bereich würde ich wahrscheinlich nicht mein volles Potential ausschöpfen können. Darum einfach mal probieren und wenn es nicht klappt, dann kann man sich wenigstens nicht vorwerfen, es nicht probiert zu haben. Aber ich bin optimistisch."

Diese Übergangsphase behandelt er in "Alles Jetzt" und seinen Gerechtigkeitssinn, den er als Jurist zweifelsfrei hat, lässt er in "Wie Neu" zu Wort kommen, wenn es heißt: "Ihr habt doch alle enttäuscht, alle Revolutionen versäumt. Jetzt liegt hier alles in Trümmern. Wir machen alles wie Neu."

Diese Nummer kann laut Gerard auf viele Bereiche umgemünzt werden, sowohl auf die Politik als auch auf Plattenfirmen oder die Industrie:

"Einfach all diese veralterten Infrastrukturen, in denen Fehler passieren. Zum Beispiel, dass bei Besetzungen Freunderlwirtschaft im Spiel war. Anstatt dass man einen Jungen auf wichtigen Positionen einsetzt, der Visionen hat, nimmt man einen alten Freund, der in diesem Bereich vielleicht gar nicht die beste Leistung erbringen kann. Gegen so etwas geht’s in diesem Song in erster Linie."

Neben dieser Aufbruchsstimmung in Sachen Selbstfindung oder neuer Liebe, thematisiert Gerard auch die Abbruchsstimmung, wenn Beziehungen und Freundschaften wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen. Zum Beispiel in der aktuellen Single "Irgendwas mit Rot".

Obwohl "Blausicht" schon das dritte Album von Gerard ist, sieht er es selbst viel mehr als sein tatsächliches Debüt. Aus Gerard MC wurde Gerard, weil ihm die Bezeichung MC nicht mehr zeitgemäß erscheint.

Jetzt setzt er auf zeitgemäße, futuristische Arrangements von Nvie Motho, der für 80 Prozent der Beats auf "Blausicht" verantwortlich war. Um die richtige visuelle Umsetzung und die Gestaltung der Videos kümmert sich Kiddizn Sane. Aber es hatten noch einige andere Kreative ihre Finger im Spiel: DJ Stickle hat den fliegenden Klangteppich für "Manchmal" geknüpft, Fid Mella, Mainloop und Clefco haben ebenfalls ein paar Beats geliefert und Megaloh und OK Kid sind die stimmlichen Zugaben auf "Blausicht". Der finale Feinschliff kam von Patrick Pulsinger, erzählt Gerard:

"Wir waren sehr bedacht auf das richtige Mastering und Mixing und haben auch schon Testmischungen in Deutschland gemacht. Durch einen Tipp sind wir dann zu Patrick gekommen und haben ihn und sein göttliches analoges Equipment besucht. Er hat sofort verstanden, wie es klingen soll. Wir wollten eine gewisse Edge reinbringen. Es sollte nicht zu glatt und zu poppig klingen, der Sound sollte seine eigene Persönlichkeit haben."

Aber nicht nur der Sound, der sich an Voraus- und Querdenkern wie Hudson Mohawke orientiert, hat Persönlichkeit, sondern das gesamte Album. Am Ende des Jahres wird man es zu den bedeutensten heimischen Produktionen 2013 zählen können.