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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

1. 9. 2013 - 17:07

Eine Zukunft wie die Zukunft, bloß ohne Zukunft

Der Song zum Sonntag: Mäuse - "Nichts ist besser als gar nichts"

Kann man Mäuse eigentlich als Band bezeichnen? Sind sie nicht viel mehr ein Konstrukt, eine Kunstintervention, eine Installation? Manchmal gibt es die Gruppe Mäuse, manchmal ist sie gar nicht da. Wenn sie sich auflöst, muss es offiziell verkündet werden, sonst würde man es zunächst vielleicht gar nicht bemerken. Irgendwann aber wäre der Stachel des Phantomschmerzens doch zu giftig. Was dieses in Wien stationierte Duo sich nämlich an komischer, im Sinne von merkwürdiger, interessanter und wunderbarer Musik so ausdenkt, lässt das Leben ein bisschen weniger eine fade dünne Suppe sein.

Mäuse sind Gerhard Potuznik und Tex Rubinowitz. Potuznik kennt man schon seit Jahrzehnten als extrem umtriebigen Musiker auf vor allem den unterschiedlichsten Spielfeldern der Elektronik, Rubinowitz als Zeichner und als Autor von Berichten über Orte, an die sonst kaum einer hingeht.

Potuznik macht bei Mäuse in musikalischer Hinsicht so ziemlich alles, Rubinowitz singt, murmelt, schreit. Manchmal spielt er Violine. Wenn Mäuse live auftreten, bekommen Rubinowitz und Potuznik Unterstützung vom in Dauertrance stehenden Wunderorgler Philipp Quehenberger und dem großen Schlagzeuger Didi Kern. Live klingt das alles meistens ganz anders als auf Platte, der Legende nach wird im Haus Mäuse nicht geprobt. Wozu auch?

Das ist die alte Version.

Die aktuelle ist hier.

Im Juli ist das neue, wieder einmal sehr gute Album von Mäuse erschienen. Je nachdem, ob man ihre Huldigung der Gruppe Sparks (wie Mäuse immer ohne Artikel) "Made in Japan" aus dem Jahr 1998 als lange EP oder Album werten möchte, ist die aktuelle Platte von Mäuse ihr drittes bzw. viertes Album. "Das Judasevangelium" heißt es, und da kann man vielleicht schon am Titel ein bisschen sehen, um was es hier gehen könnte. Ein Dokument, ein Manifest, wenn auch nicht von Judas, verfasst von jemandem, dem die Geschichtsschreibung nicht ganz traut. "Das Judasevangelium" ist für Mäuse-Verhältnisse überraschend poppig. Postpunk, Wave, Schlagerhaftes und gar ein wenig Hardrock-Pomp. Die Stücke nennen sich "In der Schlichtheit liegt der verdorrte Pomp" oder "Der Hammer in der Hand des Idioten", der gar nicht so geheime Mäuse-Hit "Il Pullover" wird neu zum endgültigen Überhit auffrisiert.

Man könnte über einige der auf "Das Judasevangelium" versammelte Stücke im Werk von Mäuse in anderer Version schon früher einmal gestolpert sein. Auch den Eröffnungssong des Albums hat es schon einmal gegeben: Auf der 2011 erschienen, richtig "Nichts ist besser als Mäuse" betitelten EP war das Stück "Nichts ist besser als gar nichts" ein elektronischer Schunkler aus der Alleinunterhalterorgel, heute wird es als rumpelnder Postpunk, Subdivision Joy Division, gegeben. In den Texten von Mäuse manifestiert sich das Schlechte der Welt jedoch nicht in trüber Schwermutspoesie, sondern entlädt sich in "Nichts ist besser als gar nichts" in solch großartigen Zeilen wie "Die Zeit erwürgt mich im Mischwald" oder "Kommunisten sind Tote auf Urlaub".

Im Refrain heißt es: "Wir sind elastische Scheren". Elastische Scheren - sind wir also nutzlos oder einfach geschmeidiger und eleganter als diese blöden, alten, normalen Scheren? Die letzten Zeilen vor dem Refrain lauten: "Ich habe die Zukunft gesehen. Ich werde nicht hingehen. Ich bleibe hier, wer bleibt mit mir? Die Zukunft ist nicht schön." Das stimmt.