Erstellt am: 29. 8. 2013 - 17:26 Uhr
Wahlkampflieder
An Tagen wie diesen ist Campino sauer. Obwohl die Toten Hosen kein Problem damit haben, wenn ihre Musik „vom Punkschuppen bis zum Oktoberfest“ eingesetzt wird, wollen sie mit Wahlkampf nichts zu tun haben. Dass gleich beide wahlwerbenden großen Parteien und die Piraten ihren Fußballschunkelhit „An Tagen wie Diesen“ auf ihren Wahlkampfveranstaltungen einsetzen, finden sie „unanständig“, dagegen tun können sie aber nichts.
Bei Wahlkampfspots oder dergleichen wäre das etwas anderes, aber wer das Lied wo auch immer laufen lässt, muss lediglich seine Gebühren abführen (in diesem Fall an die deutsche GEMA) und kann dann darüber verfügen – egal ob Punkschuppen, Oktoberfest oder Wahlveranstaltung. Alles was die Hosen tun können - und auch taten – ist, in einem offenen Brief darüber aufzuklären, dass der beabsichtigte Schluss, die Band würde den jeweils von dem Lied untermalten Kandidaten in irgendeiner Form unterstützen, unzulässig und aus der Luft gegriffen sei, und die Band noch einen spannenden Wahlkampf wünscht – das war's.
Ähnlich geärgert hatten sich schon verschiedene Rockstars aller Länder und politischen Lager.
So hatte die Mulitinstrumentalistin und Bürgermeisterin der bayrischen Kleinstadt Kollnburg, Josefa Schmid, erst kürzlich eine Coverversion von Rainhard Fendrichs „Weus’d a Herz hast wie a Bergwerk“ in einer eigenen Version auf You Tube gestellt und kurz darauf beteuert, die Aufnahme sei nur als „Liebeserklärung an ihre Heimat“ zu verstehen und habe mit ihrer Kandidatur für den Bayrischen Landtag im September auf der FDP Liste gar nichts zu tun. Rainhard bezweifelte das, zeigte sich unamüsiert und das Video ist auf Drängen von seinem Musikverlag wieder von YouTube verschwunden. Die Publicity war der Jungpolitikerin aber nicht mehr zu nehmen.
Gegen den Einsatz seines Songs „Right Here, Right Now“ beim britischen Wahlkampf 2004 hatte sich Norman Cook alias Fatboy Slim nicht mehr wehren können – aber auch er distanzierte sich in einem Artikel in der „Sunday Times“ vom wahlwerbenden Spitzenkandidaten Tony Blair und bezeichnete die hergestellte Nähe zu Blair schon deshalb als peinlich, weil seine Freunde denken könnten, er würde sich hintenrum mit ihm etwas ausmauscheln. Stattdessen stellte Cook in dem Brief klar, dass er nicht seine Musik aus der Politik draußen haben wolle, sondern einfach nicht Tony Blair unterstützt, sondern etwa den linken Londoner Bürgermeister Ken Livingston oder die Blair Kritikerin Glenda Jackson.

Billy Brag
Die Unterstützung von Labour zu Zeiten Margaret Thatchers hatte eine schwierige Geschichte: Nachdem Thatcher-Gegner Billy Bragg und Paul Weller den „Red Wedge“ gegründet hatten, ein Konzerttross voller Stars wie Madness oder The Smiths, die die jungen Briten dazu bewegen sollten, Thatcher abzuwählen, musste der „Rote Keil“ trotz unermüdlichen Tourens und Agitierens mitansehen, wie Thatcher den Tories ihren dritte Wahlsieg in Folge bescherte.
Auch die erste Unterstützung eines US Präsidentschaftskandidaten, die das damalige Post-Hippie-Kultur-Establishment und das nahezu komplett versammelte „New Hollywood“ zur Unterstützung eines Kandidaten mobilisieren konnte, war nicht von übermäßigem Erfolg gekrönt. Die 1972er Kandidatur von George McGovern gegen den amtierenden Präsidenten Richard Nixon war sich der Unterstützung von Leuten wie Barbara Streisand oder Jack Nicholson sicher, Shirley MacLaine und Warren Beatty sollen rund um die Uhr bis zur Erschöpfung gefundraised haben, Neil Young schrieb einen eigenen Song und Paul Simons „Bridge over troubled Water" wurde der erste Hit, der je offiziell zur Unterstützung eines Politikers verwendet wurde – McGovern wurde in Watergate ausspioniert und verlor die Wahl 37 zu 60 %
Wer Tom Petty kennt, konnte sich beim Wahlkampf von Bush Jr. im Jahr 2000 schon wundern, dass dieser die Erlaubnis haben sollte, Pettys Nummer „I won’t back down“ für seine Kampagne verwenden zu dürfen. Hatte er auch nicht: Petty war ungehalten über die präsidentialen Versuche und erwirkte eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung. Nachdem Konkurrent Al Gore damals die Nachzählungen der Stimmen in Florida akzeptiert und seinem Gegner in einer der umstrittensten Wahlen der US Geschichte den Wahlsieg überlassen hatte, soll Petty die Nummer in Gores Haus gespielt haben.
Barack Obamas beide Kampagnen waren von Musik nur so erfüllt. Zur ersten hatte unter anderen Black Eyed Peas Will.i.am eine eigene Nummer, „Yes We Can“, komponiert, Springsteen, Ben Harper und Joss Stone waren im Boot, zur Wahlparty war der Auftritt der greisen Gospellegende Odetta geplant, die leider kurz davor verstarb. Für Obamas Konkurrenten blieb nur wenig übrig. So ist der Ärger eines Wahlkampfmanagers von Obamas Konkurrent McCain überliefert, dass fast alle Songs, auf die die jungen Amerikaner emotional reagierten, von den Republikanern nicht verwendet werden könnten, weil die KünstlerInnen dies nicht erlauben würden. Ausnahme ist Country Musik, weshalb Romney, Gingrich und Santorum fast sämtlich auf die traditionellste aller amerikanischen Musiken zurückgreifen mussten.
Mangels Springsteen- Freundschaft setzt man in Österreich - mit Ausnahme Waterloos - in Wahlkämpfen weniger auf bekannte Musiker. Stattdessen singt man oft gleich selber. Ob HC Straches einst vom Bingoboys/DJ Ötzi Mastermind produzierter Rap oder das von Wolfgang Schüssel und Elisabeth Gerer herausgebrachte Liederbuch und Günther Platters Versuche als John Fogerty. Sogar der Kulturstaatsekretär und Musiker Franz Morak hatte sich einst im schwarzblauen Wahlkampf zu einer Interpretation eines seiner Hits hinreißen lassen.
Und Campino darf nur kurz aufatmen: Nachdem SPD Generalsekretärin Andrea Nahles den weiteren Einsatz von "An Tagen wie diesen" für die Wahlveranstaltungen ihrer Partei ausgeschlossen hat, lässt sich Angela Merkel - selbst derzeit bei Mick Jagger wegen "Angie" nicht gut angeschrieben - von ihrem grimmig dreinblickenden Parteifreund und Mitkandidaten Leslie Mandoki, der früher ausgerechnet in einer Band namens Dschingis Khan tätig war, einen Wahlkampfsong schreiben. Der Titel: "An jedem neuen Tag".