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Daniel Grabner

Geschichten aus on- und offline, zwischen den Zeilen und hinter den Links

28. 8. 2013 - 18:04

Armut als Selbstversuch

Sechs Wochen lang wanderte David Groß ohne Geld durch Österreich. Die Aktion brachte ihm breite mediale Aufmerksamkeit, aber auch Kritik ein.

Am frühen Vormittag treffe ich David Groß ein paar Kilometer östlich von Fürstenfeld. Gut gelaunt erwartet er mich am Hof eines alten Bekannten von ihm, der hier Schafe hütet und ihm für eine Nacht Obdach gewährt hat. David sieht erholt aus. Man sieht ihm nicht an, dass er schon mehr als drei Wochen teils zu Fuß, teils trampend durch Österreich unterwegs ist. Ohne Geld und auf die Gutmütigkeit der Menschen angewiesen, die er auf seiner Reise trifft.

David Groß

Daniel Grabner / Radio FM4

Eigentlich war geplant, ihn einen Tag lang zu begleiten, doch das will er jetzt nicht mehr. In den vergangenen Wochen hat er immer wieder Interviews gegeben. Einen ganzen Tag lang, das sei ihm inzwischen zu viel. Also beschließen wir gemeinsam nur bis ins nahe Fürstenfeld zu gehen.

Raus aus der Komfortzone

David Groß ist freier Journalist und Dokumentarfilmer, zuletzt machte der 35-jährige mit dem Projekt „Waste Cooking“ auf sich aufmerksam. Als seine Ersparnisse vor drei Wochen zu Ende gingen, beschloss er die Gelegenheit zu nutzen und einen lang erdachten Plan in die Tat umzusetzen. Er packte seinen Rucksack und marschierte los. "Einerseits wollte ich aus meiner Komfortzone raus, unabhängiger vom Geld werden, mit Menschen in direkten Kontakt kommen. Andererseits hab ich gesellschaftliches Interesse am Wohlstandsland und an den verschiedenen Facetten des Wohlstandes: Armut, Reichtum, all diese Schlagworte. Ich will wissen, was dahinter steckt, und das will ich auch am eigenen Leib erfahren."

Eiswaffeln und Brot

Lebensmittel

Daniel Grabner / Radio FM4

Zuallererst ist es die sengende Hitze, die wir an diesem Tag am eigenen Leib erfahren. Es sollte einer der heißesten Tage dieses Sommers sein, bei 38° und nach zwei Stunden Marsch kommen wir zur Mittagszeit in Fürstenfeld an. Ich bin über die Wasserflasche in meiner Tasche froh, auch David hat noch etwas Wasser, für ihn gilt es nun etwas Essbares aufzutreiben.

"Nach einer gewissen Zeit entwickle man ein Sensorium für Menschen und auch Geschäfte, in denen man schnorren könne", erzählt er mir und steuert auf eine Eisdiele zu. "Guten Tag, ich befinde mich auf Wanderschaft und mir ist das Geld ausgegangen, hätten sie vielleicht ein paar Eiswaffeln für mich?" Die Reaktion der Verkäuferin, folgt prompt: "Aber natürlich!" Eine Minute später verstaut David fünf Eiswaffeln in seinen Rucksack. Ich bin erstaunt. Er habe sich in letzter Zeit sehr oft von diesen Eiswaffeln ernährt, erzählt er. Auch die nächste Anlaufstelle, eine kleine Bäckerei, stellt sich als sehr freigiebig heraus. David erhält einen halben Laib Mischbrot und ein paar Scheiben schon etwas trockeneren Schwarzbrots.

"Geld hab‘ ich selber keins."

Nach nur fünfzehn Minuten im Stadtzentrum Fürstenfeld hat David fünf Eiswaffeln, eine Banane, Brot und eine Kugel Eis bekommen. Ich frage die Eisdielenbesitzerin warum sie so freigiebig war. Eine Kugel auf oder ab spiele keine Rolle, wir seien doch alles nur Menschen, sagt sie. Auf meine Frage, ob sie David auch Geld gegeben hätte verneint sie: "Na, Geld hab‘ ich selber keins."

Die Menschen geben viel lieber Lebensmittel, als Geld, erzählt David. Um Geld habe er nur einmal gebeten. Fünf Minuten nachdem er vor ein paar Wochen aus Salzburg aufgebrochen ist, habe er einen Euro erschnorrt. Fünfzig Cents davon hat er für eine Obdachlosenspeisung ausgegeben, den Rest hat er noch.

Aufmerksamkeit und Kritik

Ich bin über die Freigiebigkeit der Menschen erstaunt. Offensichtlich ist es nicht so schwierig ohne Geld durchzukommen, wenn man schon nach fünfzehn Minuten sein Tageskontingent an Lebensmittel zusammen hat.

Allerdings würde es vielleicht anders aussehen, wenn David nicht mit sauberen Kleidern, Ray Ban - Brille, Trekkingrucksack, perfektem Deutsch und einem Journalisten im Schlepptau in die Geschäfte gehen würde. Es stellt sich die Frage nach der Authentizität des Experiments, auch deswegen, weil David jederzeit abbrechen, sich in den Zug setzen und nach Hause in seine Wohnung fahren kann. Die Unmittelbarkeit und Bedrohlichkeit der Armutserfahrung wird dadurch sicherlich abgeschwächt. Der Begriff Armutstourismus drängt sich auf und führt auch zu kritischen Überlegungen: Er wäre ein Selbstdarsteller, der auf Kosten anderer lebt, die Aktion hätte mit Armut oder Nachhaltigkeit rein gar nichts zu tun und wäre "einfach nur ein 'Spiel' oder 'Freizeitvergnügen' des Jungen Mannes" hieß es zum Beispiel in den ersten Wochen seiner Reise im derstandard.at-Forum.

„Ich bin ein Wohlstandskind“

David kennt all die Einwände bereits und fühlt sich teilweise miss- oder unverstanden. Er gebe gar nicht vor, arm zu sein. Das wäre völlig daneben. "Ich bin ein Wohlstandskind, und daraus mach ich auch überhaupt keine G’schicht. Man kann das überhaupt nicht mit jemanden vergleichen, der wirklich arm ist, und das ist auch überhaupt nicht meine Absicht." Er könne auch nicht beweisen, wie der sogenannte Österreicher auf "echte Armut" reagiert. Sein Vorhaben sei ein Selbstversuch und auch als solcher deklariert. Sein Ziel sei es, auf seiner Reise etwas zu lernen, und diese Erfahrungen zu teilen. Als große Nachhaltigkeitsmission sei sein Experiment auch niemals gedacht gewesen. "Ich denke allerdings schon, dass es nachhaltiger ist, über den eigenen Konsum nachzudenken und dieses Weniger kann mehr sein zu konkretisieren", erklärt er.

Serviten Kloster, Roma-Camp und Villenviertel

Auf Davids Reiseroute gibt es wenige Fixpunkte, die er besuchen will. Es sind die Orte seiner sozialen Landkarte, die er im Kopf hat. So hat er beispielsweise im Villenviertel in Wien-Döbling um Wasser gebeten, wurde von einigen Roma in Oberösterreich aufgenommen und hat eine Nacht im Serviten Kloster bei den Votivflüchtlingen verbracht. "Es ist schon ein krasser Kulturschock, der zeigt was gleichzeitig ein paar Meter voneinander entfernt bei uns los ist", erzählt er.

Diese und andere Erfahrungen hat David auf seinem Blog ohnegelddurchösterreich.at geteilt. Am 26. August endete seine Reise, als er in seiner Heimatstadt Salzburg ankam.