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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 8. 2013 - 16:24

Fußball-Journal '13. Eintrag 36.

Wenn sich die Austria Wien jetzt nicht höchst kritisch ihren Fehlern stellt, wird sie - von der medialen Verblödungsmaschine kaputtgemacht - zum Prügelknaben der Champions League werden.

Das ist das Journal '13, die heuer im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 nicht regelmäßige oder gar tägliche Web-Äußerung in ungeraden Jahren - Heute wieder mit einem Eintrag ins Fußball-Journal 13, natürlich zum Einzug der Austria Wien in die Champions-League.

Es hat bis zu den Tränen von Heinz Lindner direkt nach Spielende gebraucht, bis auch mir die Rührung in die Augen stieg und dieses Ziehen im Hals einsetzte, das gerade Sätze und unverschleierte Blicke verunmöglicht. Ja, es ist echt schön wieder einen Verein in der obersten Liga dabeizuhaben. Und es war schön, den Akteuren ihre ungebügelte Freude darüber anzusehen.

Bis zu Lindners Tränen war mein vorrangiges Gefühl aber ein anderes, ein weniger auf die Gegenwart als vielmehr auf die Zukunft gerichtetes: Ärger. Ärger über den (allzu erwarteten) Rückfall im Heimspiel, Ärger über die grotesken Erwartungshaltungen im Vorfeld, die vielen Fellverteiler angesichts des sehr lebendigen Bären, Ärger über die Blödheit der Medien-Berichterstattung, die Fehleinschätzungen der Leistungen angesichts blanker Resultatsfixiertheit; Ärger über die völlige Abwesenheit von Reflexion und Analyse.

Dieser Ärger war bis zur 82. Minute des gestrigen Rückspiels gegen Dinamo Zagreb sogar noch im Cinemascope-Format der Wut vorhanden, verschwand danach aber nicht im bedenkenlosen Tal der Freude, sondern übersah die Mühen der folgenden Ebene und bedachte gleich den medial völlig unbedachten Champions-League-Herbst mit.

Tränen der Rührung und Ärger über Analyse-Armseltigkeit

Wenn die Fehler, Irrtümer und Dummheiten nämlich nicht aufgearbeitet werden, droht eine Herbst-Saison wie die von Rapid 2005: sechs Spiele, sechs (hochverdiente) Niederlagen - ein Homecoming als europäischer Prügelknabe.

Im Gegensatz zur damaligen Rapid-Hochnäsigkeit, als es dem Coach (dem bereits designierten Teamchef) allzu merklich allzu egal, das Team allzu unreif und das Umfeld so wie heute (also diffus bis konfus) war, scheint die Austria Wien einen realitätsnäheren Weg zu gehen.

Es war gut von Coach und Spielern zu hören, dass man gegen eine fußballerisch deutlich bessere Mannschaft durchaus glücklich gewonnen habe, verdient nur durch erhöhten Einsatz und besseres Zusammenspiel als Team - sowas hält Vertrottelungen wie die jüngste Mär dass etwa Salzburg besser als Fenerbahce gewesen wäre, zumindest intern hintan.

Allerdings droht in den nächsten Monaten (beginnend mit der Auslosung am Freitag) ein Medien-Marathon, der sich in kritikloser Bewunderung, debilem Society-Schmonzes und anschleimender Verblendung erschöpfen wird und dem Team so eine (sportliche) Relevanz vorgaukeln wird, die es nicht hat.
Die Austria Wien ist ein Champions-League-Zwerg, der nur mittels Steigerung um zumindest 50% überhaupt einen einzigen Punkt einfahren wird. Und das ist vielleicht nicht das finanzielle, aber das in seiner Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzende moralische Ziel des Meisters als Vertreter Österreichs in der Königsklasse Europas.

Ein Anforderungsprofil an die Mannschaft...

Auch wenn die Spieler jetzt noch geschätzte hundertmal das Bild vom erfüllten Jugendtraum in Mikros und Notizblöcke setzen werden: nächste Woche, nach der nochmaligen Freude über eine hoffentlich lässige Auslosung muss das weg. Wer mit dem Ziel des Trikot-Tausches mit einem Idol in ein Spiel geht, hat es bereits aufgegeben und wird es nur als staunender (und ausgenommener) Tourist bestreiten.

Wer sich gegen einen Zwerg wie Hafnarfjördur schon so in die Hosen macht, dass es ein Weiterkommen-Gezitter sondergleichen gibt; wer sich von Dinamo Zagreb, eine Mannschaft, die noch halbwegs in Reichweite agiert, die meiste Zeit der 180 Minuten derart hinten reindrücken lässt; wer also mit soviel Fortune in diesen Bewerb schlittert, ist nämlich gut beraten, sich auf die klassemäßig allesamt klar überlegenen Teams härtestens und derbstens vorzubereiten.

Weil es jetzt, in der Gruppenphase, also der Kür, keine Ausreden von wegen Aufgeregtheiten mehr geben kann. Weil jetzt 540 Minuten lang höchste Konzentration jenseits der Bubenstücke angesagt ist.

Die strategischen Schwächen des Trainers...

... waren nie augenfälliger als in den vier Quali-Spielen für dieses Meisterstück. Immerhin ist Nenad Bjelica so schlau, dass er die grotesk überhöhten Zuschreibungen zumindest partiell als das hinstellt, was sie sind: medial zugespitzter Blödsinn.

Bjelica ist ein strategisch und taktisch sehr unbeweglicher Trainertyp, der sich so gut wie gar nicht außerhalb des eigentlichen Systems bewegt.
Er ist nicht einmal ein Zauderer, er ist ein Beharrer. Denn dort liegt seine große Stärke: Bjelica kann das Momentum nützen; er ist ein verdammt guter Surfer, er erwischt ziemlich jede Welle.
Das war schon bei Wolfsberg so. Und das ist jetzt, bei der Austria, wo er ein in sich ruhendes, selbstsicheres Team mit einer starken Philosophie und einem extraklug austariertem System übernommen hatte. Bjelica änderte nichts, changiert nur ein wenig beim Personal (und das auch eher nur im Verletzungs-Fall) und nutzt nicht einmal die vorjährige Stöger/Schmid-Bandbreite (die ja neben dem extra hingetuntem 4-3-3 auch ein 4-2-3-1 oder ein 4-1-3-2 im Köcher hatten). Sein Hollywood in Schlussphasen, in denen es etwas herumzureißen gilt, ist ein oldfashionedes 4-2-4.

Bjelica mag ein (Achtung, lächerliches über Gebrauch benutztes und deshalb bereits aussagekraftlos gewordenes Modewort) akribischer Arbeiter sein - geviefter Taktiker ist er keiner.
Das zeigte sich nicht nur in der hilflosen Coaching-Performance auf Island, sondern just auch gegen "seine" Kroaten. Bjelica prophezeite vor dem Spiel in Zagreb folgendes: "Sie spielen 4-3-3 bzw. 4-1-4-1. Wenn aber Sammir dabei ist, werden sie 4-2-3-1 spielen, weil dann zwei defensive Mittelfeldspieler seinen Rücken sichern werden."

Nur damit hier nicht der Verdacht des Gscheitelns im Nachhinein aufkommt: ich habe all das schon vor dem Hinspiel geäußert, bei Twitter auch in aller nerdhaften Ausführlichkeit.

Nicht nur dass Spielmacher/Antreiber Sammir deutlich zu rekonvaleszent war um von Anfang an spielen zu können (das hätte man mit Bjelicas Kontakten auch wissen können): das avisierte 4-2-3-1 fand nie statt.
Im Hinspiel kam Sammir nach 62 Minuten und übernahm in Jurcic' 4-3-3 bruchlos die Rolle des halblinken Achters, für den er eingewechselt wurde. Und im Rückspiel probierten es Krznar/Mamic mit einem 4-3-3 mit Sammir als falscher Neun, also in der Messi-Position.

Bjelicas Einschätzung war also von Anfang an falsch. Dafür dass der kroatische Fußball sein Fachgebiet sein sollte und dass von richtiger Gegner-Beobachtung so viel abhängt, ist das eigentlich erschreckend schwach.

Im Hinspiel hatte die Austria das Glück, dass sich Dinamo Zagreb als zwar exzellent ein- und aufgestellte Mannschaft mit den deutlich besseren Individualisten, aber als unentschlosseneres Team präsentierte, die Chancen in Halbzeit 1 nicht nutzte und es in Halbzeit 2 vorzog, sich darüber beleidigt dem Spiel nicht mehr mit voller Kraft zu widmen. Dinamo hatte dieses Spiel deutlich klarer verloren, als es die Austria gewonnen hatte.

Und schon beim Abpfiff in Zagreb war klar, dass die Austria kein strategisches Gegenmittel für ihr Heimspiel finden würde, sondern sich wieder auf Team- und Kampfgeist verlassen würde. Das ist, spatzenelf-technisch gesehen, eh fein; für modernen Fußball in einer enger zusammengerückten Welt, in der die Qualität des Coaching deutlich wichtiger geworden ist, aber ein wenig ärmlich.

Das führt uns zum nächsten Punkt, zur...

Verblödungs-Maschinerie Sportmedien

Weil denen (zu 95%) der Blick für das, was wirklich passiert, abgeht und weil die ökonomischen Zwänge die Sportredaktionen dieses Landes geradezu hineinzwingen in eine vollkommen unkrtitische Kumpanei mit den Mächtigen der jeweiligen Bereiche, gibt es sowas wie eine Analyse nur in Ausnahmefällen - das wird durch hurrapatriotische, rein vom Ergebnis ausgehende Anlass-Berichterstattung ersetzt. Sprich: wenn ein Spiel verloren geht, war alles schlecht und es muss Schuldige geben; wenn ein Spiel gewonnen wird, schreibt man Helden-Epen.

Etwa das über Marin Leovac. Der linke Verteidiger musste in Zagreb Teamspieler Markus Suttner, der in Island eine unendlich dumme Sperre ausgefasst hatte, ersetzen und schaffte es, Hilal Soudani, den rechten Flügel aus Algerien, zum besten Mann am Platz aufsteigen zu lassen. Leovac wandelte am Rande des Ausschlusses und am Rande des Umfallens, war der defensive Knackpunkt des Spiels, sprintete dann aber bei einem Gegenangriff richtig mit und brachte eine gute Hereingabe zum vorentscheidenden 0:1 unter. In der Nachbereitung nun war Leovac ausschließlich ein Held, über seine Rolle als Fast-Sargnagel war in den Fachmedien nichts zu lesen.
In Wien war wieder (der deutlich bessere) Suttner aktiv - und von Soudani war kaum etwas zu sehen. Auch dieses Faktum wird in Mainstream-Media nicht vorkommen.

Es ist diese Ignoranz und Analyse-Faulheit, die sich auch auf die Mannschaft selber verheerend auswirken kann, vielleicht sogar muss: die Abwesenheit einer echten Kritik lässt die Akteure das schmierlappige Tageslob wirklich glauben, selbst wenn das Coaching-Team die Probleme ansprechen sollte.

Und genau dieser Gefahr der Erschaffung einer parallelen medialen Realität, sieht sich die Austria in den nächsten Wochen und Monaten massiv ausgesetzt. Wenn es Coach und Mannschaft nicht schaffen sich der immer nur resultatsbezogenen, an unsinnigen Oberflächlichkeiten orientieren Pseudo-Rezension zu entziehen, werden sie nicht die realistische Selbsteinschätzung aufbringen könne, die für die Champions League nötig sein wird.

Was wiederum zu Tränen nach den Spielen führen könnte, aber solchen der unerwünschten Art.