Erstellt am: 26. 8. 2013 - 14:36 Uhr
Still awesome
Neulich war ich im Londoner „Electric“ (vormals „The Fridge“) gemeinsam mit geschätzten fünf- bis sechshundert Fans vorübergehender Bewohner der Welt von Franz Ferdinand, eines Planeten im luftleeren Raum irgendwo zwischen den Universen von nachlässigem Indie-Charme und geschliffenem Pop-Glamour.
Da kann es sich etwa Schlagzeuger Paul Thomson leisten, einen Fehlstart von „Michael“ mit einem unbekümmerten „Sorry!“ abzubrechen, Alex Kapranos stimmt sich seine Gitarre selbst, und Bob Hardy bricht mit dem selbstironisch an die Stimmung der Saiten erinnernden „EADG“-Sticker auf dem Schlagbrett seines Rickenbacker-Basses eine Lanze für das in der brot- wie humorlosen Karriere-Popwelt des frühen 21. Jahrhunderts fast schon vergessene Ethos des Anti-Professionalismus.
Als dann wiederum Nick McCarthy auf der brusthoch, quasi als meta-rockistisches (Anti-)Statussymbol getragenen weißen Vintage-Gibson im Intro von „Take Me Out“ eine Saite reißt, lässt er sich vom Stagehand ein fast identes Modell auf die Bühne reichen, ohne auch nur einen Beat des mit gnadenloser Vorhersehbarkeit und ebenso unwiderstehlicher Vehemenz über uns hereinbrechenden Monster-Riffs zu verpassen. Typisch Franz Ferdinand. Kaum glaubt man, sie wären auch nur Menschen, kommt man drauf: Die tun nur so als ob.
Robert Rotifer
Es ist natürlich unmöglich, Nick McCarthy in diesem Saal beim lustvollen Stagediven zuzusehen, ohne daran zu denken, dass FF im ersten Überschwang ihres Welterfolgs weiter ausverkaufte Doppelkonzerte in der Brixton Academy ein paar Straßen zu spielen pflegten. Die war wohl zehnmal so groß wie der Schauplatz dieses Londoner Live-Comebacks, aber an Nicks Stelle würde ich mich eher dem kleineren, aber loyaleren Händemeer hier im Electric anvertrauen, wo nicht nur die neuen Songs hervorragend ankamen, sondern auch Wiederbelebungen so mancher fast schon wieder vergessener Glanzstücke sowohl der Band als auch ihrem Publikum gefühlt noch mehr Spaß machten als beim ersten Mal (siehe „No You Girls“ bzw. „Walk Away“, das ich selbst gestern noch summen musste, wann immer ich eine reife Brombeere vor mir sah - also so gut wie ständig, denn ich war am Land).
Nun sind die Ferdis nicht die Sorte Band, die sich in die Sicherheit des Selbstbetrugs zurückzieht. Sie wissen schon, dass es in den letzten paar Jahren unter den MeinungshaberInnen schick war, sich an ihnen abzuputzen. Sie merken, dass selbst die besten Kritiken nicht ohne die pop-polizeiliche Anmerkung auskommen, dass ihre laut Hype-Gesetz zugelassene Zeit am Sonnendeck eigentlich schon seit Jahren abgelaufen sei.
franz ferdinand
Aber sie haben wenig Lust, sich für ihre anhaltende Existenz zu entschuldigen oder einen jener bei Hipster-Buzz-Bands mittlerweile Usus gewordenen kompletten musikalischen Identitätswechsel durchzuexerzieren, die die Kritik am falschen Fuß erwischen sollen, tatsächlich aber bloß verraten, dass von Anfang an nicht viel an eigenem Charakter da war.
Und so ist ihre vierte LP „Right Thoughts, Right Words, Right Action“ kein Shoegaze-, Elektro- Neo-Synthpop-Album geworden, sondern eine ganz entschiedene Franz Ferdinand-Platte samt schepperndem Funk-Geschrammel, straff wie Gummibänder um die Hi-Hat-Patterns gespannten Gitarrenriffs, sich melodramatisch mit der Dominanten duellierenden Moll-Akkorden (insbesondere „Evil Eye“) und von Kapranos' Kehle im Multitrack-Eigenblutdoping-Chor getragenen, heroischen Hyper-Refrains.
Die Zusammenarbeit mit Alexis Hot Chip Taylor, Todd Terrje und Björn von Peter, Björn und John lässt sich darin zwar heraushören, aber mindestens genauso wichtig war die Entscheidung, große Teile des neuen Albums in Nick McCarthys eigenen, winzigen Sausage Studios aufzunehmen (Fans seines Seitenprojekts Box Codax werden im FF-Song „The Bullet“ übrigens den Text des Box Codax-Klassikers „Seas of Seven Silvers“ wiedererkennen).
So oder so ist „RT RW RA“ alles andere als das radikale Makeover, das Franz Ferdinand sich vor ein paar Jahren zwischen ihrem zweiten und dritten Album von Brian „Xenomania“ Higgins verpassen lassen wollten. Jenes abgebrochene Experiment hatte dieser Pop-begeistertsten aller Rockbands vor Augen geführt, wo die Grenzen ihrer Anpassungswilligkeit liegen. Bzw. dass nicht jede Grenzüberschreitung per se einen sinnvollen Schritt bedeutet.
FM4 Artist Of The Week
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Diese Erkenntnis war dann gewissermaßen das in ihrem Titel unerwähnt gebliebene erste Glied des Edlen Achtfachen Pfades (selbst Bob Hardy gibt zu, das nur gegoogelt zu haben), der zur neuen LP führte. Die verbliebenen vier Buddhisten-Tugenden – der rechte Lebensunterhalt, das rechte Üben, die rechte Achtsamkeit und die rechte Konzentration – hätten wohl zuwenig nach Rock'n'Roll geklungen, gehören aber durchaus mit ins Programm.
Grundsätzlich fällt mir ja kaum eine andere Band ein, die mit so einem guten Vorsatz als LP-Titel davonkäme. Aber zu diesen hyper-integren Meistern der Autosuggestion passt das perfekt.
Trotz all ihrer Entschlossenheit, den Erfolg, den sie all die Jahre zuvor in all ihren anderen Bands nicht erreicht hatten, gefälligst zu genießen, muss es irgendwann selbst für sie ermüdend gewesen sein, der nicht replizierbaren Aufregung des ersten Durchbruchs hinterher zu jagen.
Ihre Strategie des Rechten Handelns in diesem Sinne war es zunächst, nicht bloß im angloamerikanischen oder europäischen Saft zu schmoren, sondern neues Publikum in allen Erdteilen zu erobern. Und als irgendwann auch das vollbracht war, wurden Kinder geboren, alternative Lebensinhalte erkundet, diverse Weltstädte bewohnt und großteils wieder zugunsten der schottischen Basis verlassen.
In dem Jahrzehnt seit der Veröffentlichung ihrer ersten Single "Darts of Pleasure" (das war der Song mit dem ironischen Prä-Bankenkrise-"Schampus und Lachsfisch"-Outro) hat sich die Popwelt bis zur Unkenntlichkeit verändert, einstige Konkurrenten wie Razorlight existieren bloß noch als geisterhafte Jugenderinnerung desillusionierter Dreißigjähriger, das musikalische Erbe der Nullerjahre scheint so ephemer wie eine Spotify-Playlist in den dunklen Tunneln der Glasgower Subway (bitte jetzt nicht sagen, dass es dort eh guten Empfang gibt, ich hab diese mühsam herbei geschriebene Metapher nicht in der Praxis getestet).
Mit anderen Worten: Franz Ferdinand stehen praktisch alleine da, was sich bezeichnenderweise wieder fast so anfühlt wie damals in den angehenden Nullerjahren. Und es ist gar nicht sooo paradox festzustellen: Ihrer music for grown women as well as girls to dance to tut gerade das verdammt gut.
Den Schlusssatz überlasse ich einem Tweet von Paul Thomson, versendet ein paar Tage nach dem Londoner Konzert:
„Hello haters, sorry we're still awesome.“