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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

26. 8. 2013 - 16:39

Animals were harmed before this movie

Die innigste und traurigste Umarmung dieses Kinojahres und ein Skandal: "Unter Menschen" erzählt von Laborschimpansen in Österreich.

Es gibt Geschichten, vor deren Vorstellung man sich fürchtet. Man will sie nicht hören - und noch weniger sehen. Genau so eine Geschichte erzählt die Dokumentation "Unter Menschen": Was passiert mit Labor-Schimpansen in Österreich, infiziert mit Hepatitis- und HI-Viren und von der Forschung längst als unnötiges Tiermaterial abgeschrieben? Die Doku zeigt den Alltag von vierzig ehemaligen Laboraffen. Bei ihnen blieb über Jahre ausschließlich weibliches Pflegepersonal, das sich um eine Art Resozialisierung der traumatisierten Tiere bemüht.

Ein Tierfilm, der von Menschen erzählt

Das Schild, das Unbefugten den Zutritt untersagt, ist verwildert. Lange bevor man einen der Schimpansen erblickt, hört man die einstigen Wildtiere kreischen. In mehreren Zooms bewegt sich die Kamera voller Suspense auf das Gelände zu, betritt die dunklen Gänge, über die schmale, vergitterte Gänge quer führen. Als sich Autos nähern, ist man bereits drinnen in diesem Affenhaus.

Pflegerin Bianca lotst die Affen in ihre Schlafkojen. Jahrelanges Training und Vertrauen sind nötig, um die Schimpansen zwischen den Gruppenräumen und Einzelkäfigen zu bewegen.

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Frauen schieben Frühstückswagerl mit Obst und Weißbrot zu den Käfigen. Öffnen und schließen Metallriegel und Schieber. Schimpansen werden einzeln über die Käfiggänge von einer Seite und einem Käfig auf die andere Raumseite in einen anderen Käfig gebeten. „Bonnie überlegst du noch? Gehma essen?“ Ein Schimpansenkopf erscheint, weicht zurück. „Aber gleich!“, ruft die junge Tierpflegerin. Da regt sie sich, diese Neugier auf diese schwarzen Körper.

Berührende Szenen erlauben, dass man sich der Illusion hingibt: Ein Freigelände soll für diese Menschenaffen entstehen, die fast zwei Jahrzehnte in einzelnen Käfigen steckten und nur für die Experimente betäubt herausgenommen wurden. Der verantwortliche Pharmakonzern ging insolvent. Schließlich hat sich Baxter entschlossen, dass die Tiere einen Lebensabend bekommen, erklärt eine Fachtierpflegerin, die an den Tierversuchen mitgearbeitet hat. Ein Happy-End wünscht sich der Mensch: Dass alles gut ausgeht mit diesen Versuchskaninchen, die einst frei lebende Schimpansen in Sierra Leone waren.

Die Pflegerinnen Renate und Bianca führen einen Schimpansen in einem Rollwagenkäfig. Jakob, 1983 als Baby dem Urwald entrissen, darf probeweise in eine neue Gruppe.

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1977 kam der Schimpanse „Pepi“ als einer der ersten ins Labor der Firma Immuno AG Wien. Nach Laborversuchen zur Erforschung von Hepatitis folgen ab 1981 Versuche an den Menschenaffen, um AIDS zu erforschen. Ein Jahr später will das Pharmaunternehmen so richtig in die AIDS-Forschung einsteigen und mehr Schimpansen. Doch seit 1975 besteht das CITES-Abkommen, das die Menschenaffen als vom Aussterben bedrohte Art schützt.

In wenigen Interviewsequenzen umreißt die Doku einen Skandal, der Mitte der Achtziger Jahre niemanden interessiert hat und heute im Film nur mit Bedacht formuliert wird. Ein Triumvirat alter weißer Männer in Wien und Sierra Leone machte seine Geschäfte mit dem „Tiermaterial“. Gegen die Tatsache, dass Schimpansen bereits damals „für kommerzielle Zwecke nicht verhandelbar“ waren und gegen den Protest der damals zuständigen Artenschutzbeauftragten der Stadt Wien. Die wurde daraufhin abgezogen. Das Pharmaunternehmen hätte agiert wie ein Staat im Staat, sagt der Sachverständige für Artenschutz Josef Schmuck.

Als Wildfang wurden die Schimpansen aus ihrem Familienverband entrissen: Bis zu zehn Schimpansen wurden erschossen, um an ein Baby zu kommen. Viertausend Schimpansen wurden so geraubt und von einem deutschsprachigen Exotenhändler in Sierra Leone ins Ausland verkauft. Als nach Jahrzehnten Einzelhaltung zwei Tiere von den Pflegerinnen wieder angenähert und aufeinander losgelassen wurden, umarmten sich zwei Schimpansinnen. Minutenlang.

Schimpansenhand, aus Käfig gestreckt

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Annäherungen hinter Glas

"Unter Menschen" kommt ohne Archivbilder von Tierversuchen aus.

Die überwiegende Spielzeit begleiten die Filmemacher Christian Rost und Claus Strigl die Tierpflegerinnen zu den Schimpansen und räumen den ZuschauerInnen Zeit ein, diese Bilder zu erfassen. Hinter Gitterstäben und hinter Glas werden die Tiere unruhig. Einzelne sitzen still, den Blick immerzu dem Personal zugewandt. „Der Johannes ist 29“, erklärt Renate Foidl. Hinter der trennenden Glasscheibe bewegt der Schimpanse seine Hände und Arme auf dieselbe Höhe, wo seine menschliche Kontaktperson an die Scheibe lehnt. Es fühlt sich an, als ob einem jemand das Herz wie eine Zitrone ausquetscht.
Der Schimpanse mit dem menschlichen Rufnamen Johannes hat lange gebraucht, dem Boden unter seinen Füßen zu trauen. Das Tier hat Agoraphobie: Es fürchtet sich vor freien Flächen. Johannes wurde fast drei Jahrzehnte allein und in einen Käfig gepfercht gehalten.

"Unter Menschen" ist ein Tierfilm, der weit mehr menschliches Verhalten dokumentiert. Ohne Off-Kommentar wirft die Doku mehr ethische Fragen auf, als sie tatsächlich stellt. Geht es um das Wohl der Menschen oder um das Wohl der Tiere? War Euthanasie nie eine Option?

"In Deutschland werden Affenversuche nicht mehr an Schimpansen gemacht, dafür ganz aktiv mit Makaken. Und so kann man das immer weiter durch deklinieren und landet bei der Labormaus", sagte Co-Regisseur Claus Strigl im Interview. "Damit muss sich jede und jeder auseinandersetzen: Was mute ich anderen Wesen zu meinem Wohle zu?"

Pflegerin Renate steht vor Glasscheibe und greift mit Hand darauf. Auf der anderen Seite der Glasscheibe steht ein Schimpanse, aufmerksam und der Pflegerin zugetan.

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Rechte für Roboter

"Unter Menschen" läuft derzeit in österreichischen Kinos.

Vor wenigen Monaten wurden auf der Re:Publica Rechte und Schutz für Roboter gefordert. Das mag irritieren, doch der Grundgedanke ist ein zutiefst menschlicher: Das schützen, an dem man hängt. Indes wurde Patent für speziell gezüchtete, gentechnisch veränderte Schimpansen angemeldet: Schimpansen, denen Menschen Krankheiten wie Epilepsie anzüchten.

Zwei Schimpansen schauen durch Fensterglas auf ein Gelände, wo Bagger arbeiten.

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