Erstellt am: 25. 8. 2013 - 16:57 Uhr
Die ganz und gar ausgedachte Popmusik
Man ist geneigt sich zu wundern, dass diese junge englische Band The Hics ein Sextett sein soll. Für gewöhnlich kann man sich angesichts von derlei elektronisch unterfüttertem Minimal-Pop, wie ihn The Hics da auf ihrer eben erschienenen Debüt-EP so punktgenau ausgemessen vorexerzieren, nur bestens ausmalen, dass hier wohl eigentlich einzig zwei Menschen am Werk gewesen sein dürften: In einem kalten Basement, alleine mit ihren wunderhübschen Stimmen, einem Synthesizer, einer Drum-Machine, einer alten Rassel und ein bisschen bedeutungsschwangerem Händeklatschen.
The Hics
The Hics, die mit ihren teils noch nicht einmal 20 Jahren schon so abgeklärt und altersweise, teils vielleicht auch ein wenig altklug klingen, haben an der Pimlico Academy, London zueinandergefunden. Sie sind in Jazz und klassischer Komposition ausgebildet, eines der sechs Mitglieder spielt Saxophon, in der weich fließenden und höchste Gefühle transportierenden 80er-Jahre-Sinnlichkeits-Variante.
Auch wenn man das im Titel-Stück der EP namens "Tangle" vielleicht nicht so richtig hören kann, das Saxophon - im Verdacht, so ein richtig ungebügelter Punkrock zu sein, wird man The Hics dennoch nie haben. Dies ist die bestens abgemischte und edel abgewogene Coffeetable-Musik mit der wohlgeformtesten Milchschaumkrone ever oben drauf.
Soul und R’n’B fließen in die Musik von The Hics, die im weitesten Sinne dann doch nach dem Modell "Indie-Band" funktionieren, nicht als ironisches Gimmick oder als Weitsicht signalisierende Zeichen ein, sondern werden komplett als ernstzunehmende Musiken vereinnahmt – und verstanden. Vor dem inneren Auge manifestiert sich ein Bild, dass die Hics in warmen Farben zeichnet, wie sie sich im Mahagoni-Salon als stubenhockende Konservatoriumsschülerinnen und – schüler die Sexiness der Werke von D’Angelo und Erykah Badu erarbeiten.
The Hics sind aber aus England. Die Schwundspuren von Dubstep, ein von der Melancholie geküsster Bass, ein paar Claps, ein präzises Zischeln der Becken - ähnlich wie schon James Blake und The xx haben The Hics die Echos britischer Clubmusik ins Songwriter-Format eingepasst. Bei The Hics klingt das in seiner kunstvollen Berechnung jedoch mittlerweile schon nach Meta-Postdubstep, so als hätten sie selbst einen tatsächlichen Club und seinen Schweiß noch nie von innen gesehen.
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Die Stimmen von Sängerin Roxanne Dayette und Frontmann Sam Paul Evans umspielen sich in geisterhafter Eleganz, sie singen vom Verblassen – aber auch vom Vielleicht-Dableiben. Dazwischen ist viel Raum zum Atmen, ein paar einsame Töne fallen aus den Instrumenten. Ein perfekt zu Ende designter Popsong; wenn schon nicht im Rest der Welt, so müsste derlei Musik doch immerhin in Großbritannien sehr erfolgreich sein können. Lange nicht mehr war in einer dermaßen ausgedachten und konstruierten Musik so viel Schmerz und Leben zu hören. Und, "natürlich", möchte man nach dem hundertsten Hördurchgang von "Tangle" meinen, auch zu: fühlen.