Erstellt am: 19. 8. 2013 - 20:47 Uhr
Don't break away, I waste away
"6 Feet Beneath The Moon" ist eine Platte wie ein Teigschneider. Eine runde Sache mit Ecken und Kanten, die tiefe Spuren und bleibenden Eindruck hinterlässt: Ja, der Wirbel um den gerade 19 Jahre alten Rotschopf mit der Bariton-Stimme und der feinen Beobachtungsgabe ist berechtigt.
King Krule
Schon vor vier Jahren hat Archy Marshall aka King Krule Aufsehen erregt, nicht nur musikalisch: Anlässlich seiner ersten EP, wurde er von Pitchfork interviewt und sympathisierte mit den damaligen Unruhen in London, die seine Hood, Croydon und Packham, verwüstet haben. Mehr haben die Medien nicht gebraucht, als einen charismatischen Aufwiegler im zarten Alter von 15 Jahren. King Krule sollte die Stimme einer Generation und das intellektuelle Aushängeschild der Riots werden. Doch seine Mutter hat damals rechtzeitig die Notbremse und ihn aus dem Verkehr gezogen.
Jetzt ist Archy Marshall wieder da, wobei, wirklich weg war er nie. Als Edgar the Beatmaker oder DJ JD Sports programmierte er für und mit seinen Freunden entschleunigte Beats, über die er mit seiner markanten Stimme rappt. Man könnte es auch shouten oder croonen nennen, denn nicht nur sein tiefes Organ, sondern auch die Art und Weise wie er damit umgeht, ist eigen und erinnert an Spoken-Word-Performer wie Mike Skinner von The Streets, den er auch sehr verehrt.
Jamie James Medina/True Panther
Andere stimmliche Steilvorlagen waren für ihn Rockabilly und Punk-Sänger wie Malcolm von The Rats, Ian Dury oder Dave Vanian von The Damned und als musikalische Stilvorlagen nennt er Fela Kuti, Roy Orbison, Screaming Jay Hawkins und Chet Baker.
Aus einer Ursuppe aus Hip Hop, Punk, Jazz und Elektronik formt er sein eigenes Universum, das sich um seine Heimatstadt dreht. Er erzählt wütende und verzweifelte Geschichten vom harten Pflaster des sozial schwachen London:
"It´s about feeling really lost, coming out of education, not having good grades and not being able to get a job like that and not knowing where to go. That´s a theme that runs through the Album and I know so many people, who are still in this circumstances. Me myself, I´m privileged, I got this music stuff taking off now. And I think, my music is a natural way of combating it. But not enough people these days are putting aggression and despair into their music. It needs to be sort of stated that it is alright to feel like this. It´s alright to feel angry and it´s alright to be upset about the state of your life. You know, you can´t get out of it and you got to keep on fighting shit."
Offensichtlich wird seine Lage in Songs wie "Easy Easy":
"I think the whole Track is just an observation walking through South London, walking through Croydon and Packham. And back then I was having troubles at my house, with my mum and the man she was seeing at that time and stuff like that. It was kind of a naïve observations of the things above me. I like it because it´s naïve."
Wie man im Video zu "Easy Easy" oder Octopus erkennen kann, hat King Krule eine Vorliebe für alte Anzüge, die nicht von irgendwo kommt:
"The Suit in the Videos is a very surreal element. It is not a normal thing for someone in my age wearing a suit, especially a nice 1940s-Zoot-Suit with a nice tie. And I get labeled a lot and it´s very very true that people call me an old soul with an old voice and it´s merely saying that I am aware of that until that extent. This Suit puts me into an almost dream-like state like lucid and it´s just a nice element to bring some mystic to it for sure. And it´s a homage to the Jazz-Style like Suits of Bill Evans, Miles Davis and Chet Baker."
Archy Marshall ist für seine 19 Jahre sehr reflektiert und weiß, wie viele andere Digital Natives, um die Musikgeschichte Bescheid wie keine Generation vor ihnen. Dennoch, ein Problem hatte bisher noch jede Generation: Liebeskummer. Da heißt es dann zum Beispiel im Text von "Out Getting Ribs": "Hate Runs Through My Blood, Well, My Tongue was in Love" oder auch berührend verzweifelt "Don't break away, I waste away".
Die Texte von King Krule sind emotional und intim. Die Last seines Lebens wird von einem fragilen, aber dennoch stabilen Gerüst getragen: eine unaufdringliche Gitarre, die auch mal funky und jazzy tönt, bildet das Fundament, die Säulen sind Trip Hop und zärtliche Post-Dubstep-Beats, umwoben von verspulten Synthie- und Piano-Loops, in deren Gänge sich auch mal ein Saxophon verirrt oder ein Telefon klingelt. Laut King Krule ist auf seinem Album die Paranoia zu Hause, auf "Will I Come" kann man sie tatsächlich schreien hören:
"Living and growing-up in London, that´s where my Paranoia comes from. There is so much CCTV. You´re watched constantly and you´re getting fearful because of that."
Aber bei "6 Feet Beneath The Moon" hat King Krule den Spieß umgedreht: Das Album wird auf seiner Homepage gestreamt und durch CCTV-Bilder illustriert, die entlang einer Buslinie, die er häufig benutzt, aufgenommen werden. Wenn man das weiß, verwandelt sich diese pixelige Alltagstristesse in die banale Schönheit der Selbstbestimmung. Als solchen Akt kann man auch das Veröffentlichungsdatum des Albums deuten: Es kommt nämlich genau am 19. Geburtstag von King Krule heraus:
"It was quite a calculated move. I´ve done it because it was a clear cut-off point, you know, 19 years of creating a debut. Some Songs are seven years old. So when is it ready to come out? On the 19th birthday!"
Der junge Mann mit der verrauchten Whisky-Stimme wurde bei der Produktion seines Albums von Rodaidh McDonald unterstützt, der auch schon mit The XX, Adele oder Gil Scott-Heron zusammen gearbeitet hat. McDonald und sein Studio XL-Recordings haben ein Schäuflein dazu beigetragen, dass Archy Marshall jetzt von seiner Musik leben kann.
Wäre das nicht der Fall, würde er wohl arbeitslos zuhause auf der Couch chillen, viel rauchen, vom erfolgreichen Musik machen träumen und jeden Montag ins Jobcenter gehen. Genauso, wie seine Freunde auch.
Diese Sehnsucht nach einem besseren Leben macht sich auch im Albumtitel "6 Feet Beneath The Moon" bemerkbar:
"It´s a really bold image that runs throughout the Album and it´s the image of feeling lost and the idea of being six feet beneath your aspiration where you look up to. You look up to the moon, you see it on a day-to-day-basis. I´ve spent a lot of time walking in the night contemplating with the moon and I feel six feet beneath it. And I always look up to it and it´s my aspiration to be there. You know, it´s a constant battle because if your six feet down your aspiration, you´re dead and buried beneath it. It´s open to interpretation as well, but that is how I see it."
Auch wenn es ums Verlorensein geht, lässt einen King Krule nie im Stich. Er reicht dir die Hand auf dem atmosphärisch dichten, manchmal zornigen, aber hoffnungsfrohen Soundtrack für nächtlichen Wanderschaften.
Nachdem seine Erzählungen über London nicht die Besten sind, sollte er vielleicht wegziehen?! Über diese Option hat Archy Marshall auch schon nachgedacht, vielleicht wird es Brüssel oder, eh klar, Berlin.
Nachdem nach Berlin jeder geht, schlage ich ihm Wien vor. Er lacht: "No bad Idea. It is close to Prague and I always wanted to go there".
King Krule ohne London – wie das wohl klingen wird?