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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

19. 8. 2013 - 10:38

Meet the Frackers

Die abenteuerliche Geschichte der Schiefergas-Ausbeutung in Großbritannien liest sich wie ein schlechter Film. Immerhin gewinnen in Teil eins die UmweltschützerInnen.

Öfter als erlaubt kommt es vor, dass das Leben Drehbücher schreibt, die man ihm am liebsten als „viel zu offensichtlich“ wieder zurückwerfen würde. Zum Beispiel jenes gewisse, verbockte Desaster Movie, angesiedelt in Großbritannien in der Zeit der anbrechenden Klimakatastrophe:

Ein von wirtschaftlichen Interessen vereinter Klüngel aus Gas-SpekulantInnen und Politik pfeift auf alle Bedenken umweltschützerischer Art und wirft sich, beflügelt vom Glauben an einen neuen Goldrausch, kopfüber in die Produktion von Schiefergas, das gewonnen werden soll, in dem man mit hohem Druck Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden pumpt. Was soll da schon schiefgehen in einem dicht besiedelten Land wie Großbritannien?

Alle wissenschaftlichen Warnungen, dass diese ziemlich unglaubwürdig dümmlich „fracking“ (kurz für "hydraulic fracturing") genannte Technologie das Grundwasser vergiften und Erdbewegungen auslösen könnte, werden von den BefürworterInnen dieser Gasgewinnung in den Wind geschlagen. Unsinn, sagen sie, es wird höchstens ein bisschen zittern in der Blumenvase, und was das Wasser angeht, passen wir schon auf.

Vor allem ginge es um Wachstum und Sicherung der Energieversorgung, die Hoffnung für die Zukunft, wie vorgetanzt in Amerika, und demnächst auch in diesem Kino.

Soweit so plausibel, aber spätestens, wenn ein Politiker mit dem Namen Mark Reckless (Markus Fahrlässig) als Fracking-Verfechter auftritt, wissen wir endgültig, wo hier die Baddies zuhause sind.

Dazu kommt noch der Sub-Plot rund um einen aristokratischen Super-Villain in Gestalt des Wortführers der Fracking-Lobby Lord Howell, ehemaliger Energieminister in Maggie Thatchers Regierung, die sich einst mit derselben Begeisterung der Ausbeutung der (mittlerweile vorzeitig versiegten) britischen Gasvorkommen unter der Nordsee annahm.

Howell stellt sich in einer seifenoperreifen Wendung als Schwiegervater des Schatzkanzlers George Osborne heraus, welcher seinerseits die Steuern für alle künftigen Profite der Schiefergasgewinnung vorsorglich von 62 Prozent auf 30 Prozent senken und allen Gemeinden, die sich willig fracken lassen, £100,000 Taschengeld pro Bohrloch spendieren wird.

Nachdem das ganze in England spielt, muss logischerweise auch ein bisschen Klassengesellschaft mit in die Story fließen. Erwähnter Lord Howell gibt im House of Lords die herzlos weltfremde Marie Antoinette, indem er anregt, man könne doch munter den fernen Nordosten des Landes fracken, dort wo's eh schon „desolat“ sei und die Leute (Leute wie er?) keine „Residenzen“ hätten. Ein dummer Irrtum, wie sich herausstellt, der Lord meinte eigentlich eher den Nordwesten. Na dann.

Aber dieser gesellschaftskritische Moment bleibt nur ein Seitenstrang der Handlung, deren moralischer Hauptkonflikt im Endeffekt dann doch eher an die im wörtlichen Sinne konservativen Instinkte des Publikums appelliert – in diesem Fall die Bewahrung der (irgendwie schon auch zurecht) heiligen englischen Countryside; ein löblicher, aber bei Bedarf auch gegen Wind- und Sonnenfarmen anwendbarer nationaler Grundkonsens.

Es schürzt sich:

Eine Firma mit dem verdächtig nach freitagnachmittags abgebrochenem Brainstorming riechenden Namen Cuadrilla wagt sich nach fehlgeschlagenen Fracking-Versuchen im Norden des Landes in den pittoresken Süden vor und trifft dort nahe dem lieblichen Ort Balcombe auf Widerstand seitens einer wackeren Menge von überall her angereister UmweltschützerInnen, unter ihnen die unerschrockene Modeschöpferin Vivienne Westwood und deren Sohn und Reizwäschenzar Joe Corré.

public domain

Die Fracker auf der anderen Seite des Konflikts sprechen von der demokratischen Ordnung, die respektiert werden müsse. Die Umweltschutzbewegung wird von den Wachstumsevangelisten als diktatorischer Mob angeschwärzt, der Arbeitsplätze verhindern, verarmte PensionistInnen in den Erfrierungstod treiben und das ganze Land zur Geisel nehmen will (keine Links hier zu einer reichen Auswahl an Hetzartikeln, der Fairness aber zu Charles Moore vom Daily Telegraph, der noch gemäßigt klingt, wenn er diffamierend unkt: "Wenn ich Präsident Putin wär [...], würde ich unsere grünen Lobbies so stark wie möglich finanzieren").

Eine Rückblende ruft uns allerdings in Gedächtnis, wie David Cameron noch vor der letzten Wahl behauptete, seine Regierung werde die "grünste aller Zeiten" werden. Vom "dash for gas" (Sausen zum Gas, ein echter Slogan, kein Witz) war im Wahlprogramm eher nicht die Rede.

In dramatisch grobkörniger Enthüllungsästhetik sehen wir Cuadrilla-Chef bzw. Ex-BP-Chef Lord (was sonst?) Browne als Regierungsberater feist im Kabinett sitzen, eingeladen von niemand anderem Kabinettsminister Francis Maude, der als Unterhausabgeordneter ausgerechnet für den (das Örtchen Balcombe miteinschließenden) Wahlkreis Horsham zuständig ist.

Soviel zum von der Planungsbehörde repräsentierten, demokratischen Prozess.

Schnitt ins grüne West Sussex, nahe Balcombe. Eine beachtliche Menge an DemonstrantInnen (nicht bezahlt von Putin, aber unterstützt durch Crowdfunding über die Plattform 38 Degrees) belagert die Bohrstelle, umringt von neongelben Polizeianoraks. "Frack off" ist auf den Transparenten zu lesen, "Get the frack out!“, "Don't frack with my future!", "Fracking bonkers", und "No fracking way" (Das sahen wir aber schon von ganz weit her kommen, Mr Drehbuchautor).

Und siehe da, nach ein paar Tagen Belagerung und Anrücken der Kamerateams aus dem nahen London gibt Cuadrilla nach und bläst seine Bohrungen ab. People power gewinnt, Gospelchor und Streichorchester.

Falls dem Publikum dieser Ausgang ein bisschen zu einfach und rosig vorkommen sollte: Die für die nächsten Jahre angesagten Sequels gehen mehr in Richtung Standard-CGI-Schinken, samt einstürzenden Häusern, feuerspeienden Wasserhähnen, Explosionen und allem drum und dran. Alles unrealistische Panikmache, entwarnen die PragmatikerInnen (hier die Analyse des Economist). Der den nächsten Plot-Twist witternde, kleine Verschwörungstheoretiker in mir fragt sich wiederum, ob die lautstarke Dementierung apokalyptischer Ahnungen nicht vielleicht eher dazu da ist, vom Kern der Debatte abzulenken: Dass nämlich die Investition in Schiefergas wieder eine in fossile Brennstoffe ist, von denen wir uns doch eigentlich losreißen wollten.

Auch möglich allerdings, dass allen gasförmigen Spekulantenträumen zum Trotz die ganze Story noch vor der ersten Fortsetzung verpufft.

Eine Erklärung für den gar so schnellen Rückzug der Fracker in West Sussex wäre schließlich, dass es da längst nicht so viel zu holen gibt wie zunächst gehypet.

PS: Nach ein paar Stunden sieht alles schon anders aus. Heute hat die Polizei die Belagerung der Cuadrilla-Baustelle aufgelöst und dabei die demonstrierende grüne Unterhausabgeordnete Caroline Lucas festgenommen.