Erstellt am: 18. 8. 2013 - 02:59 Uhr
Nachtschattengewächse
In der Nacht von Montag auf Dienstag und in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch zwischen 1 und 3 gibt es Frequency-Mitschnitte der Konzert von Casper, Empire of the Sun und Tenacious D zu hören. Nach der Sendung sind diese Mitschnitte für 7 Tage on demand auf der Website zu finden.
Will man am Samstag ein bisschen etwas über aktuelle, moderne und vielleicht auch zaghaft in die Zukunft schielende Popmusiken erfahren, dann muss man auch an diesem Tag wieder vor allem die Weekender Stage und die über weite Strecken sehr stimmig und gut programmierte Green Stage aufsuchen.
Nach den fidelen und feinen Schweden von Friska Viljor und dem vor allem durch das Jack-White-Vehikel The Raconteurs bekannten Brendan Benson, der weiß, dass gute Rockmusik auch unmachoid daherkommen kann, widmet sich die Hauptbühne primär wieder Rock’n’Roll der härteren Prägung, Punk, Hardcore. Skunk Anansie, The Gaslight Anthem, Billy Talent. Auf der Weekender Stage geht der gute Chad Valley derweil seinem nach Zimt duftenden Werk nach.
FM4 Frequency
Samstag
- Nachtschattengewächse: Von James Blake und Nick Cave
- Rocken wie Hose: Spaß am Zeltplatz
- Bilder von Bands und Bühnen
- Video: Madsen POV
Freitag
- System Of A Down, Crystal Castles, Left Boy und viel mehr
- Schweiß vermeiden, cool bleiben
- Bilder, Bühnen, Publikum
- Video: A Tribute to Empire of the Sun
Donnerstag
- Tenacious D, Franz Ferdinand, Shout Out Louds und mehr.
- Wald und Wiesenromantik: Tierkostüme überall
- Und los! Bilder, Bühnen, Publikum
- Video: Mit der Helmkamera zum FM4 Frequency Festival
Mittwoch
Weichgezeichneter Synthiepop mit Indieboy-Flair bzw. andersherum gedacht, Indiepop mit elektronischem Unterfutter und eine gefühlvolle Weiterverwaltung der Chillwave. Da dockt am frühen Nachmittag auf der Green Stage auch der Produzent Slow Magic an – bloß ohne Gesang oder Songs, dafür stärker an Beats interessiert und eher im Clubkontext verortet. Einem Club für sensible Tagträumer und Liebende, die auf einem pfirsichfarbenen Samtsofa fläzen. Danach gibt’s noch einmal Synthiepop und Glitzer-Disco von Little Boots, die auch in schärfster Sonne überraschend gut ankommt. Oder den aus Soul, Reggae, HipHop und Singer/Songwritertum gerollten Weltmusikpop von Max Herre. Das ist natürlich die Ausformulierung von Festivalmusik. Ein sehr guter Ratgeber ist dabei wie so oft die Nostalgie: Afrob ist am Start (super T-Shirt: „Sorry I’m FRESH“), Herre spielt die alten Gassenhauer „Esperanto“, „A.N.N.A“, „Tabula Rasa“ und „Wenn der Vorhang fällt“.
Danach wird es filigraner und vor allem dunkler: Der folgende Abend wird im Zeichen der trüberen Gefühlsregungen, des Schwelgerischen, Vernebelten und gar Nachtschwarzen stehen. Über James Blake gibt es nicht mehr viel zu sagen. Der junge englische Produzent, Musiker und Sänger hat mit seinem selbstbetitelten Debütalbum einen modernen Klassiker geschaffen. Da können sich noch so viele dran dumm und dämlich samplen oder versuchen seine Ästhetik zu adaptieren. Die Prägnanz von James Blake hat noch keiner so hinbekommen. Die Verwebung von Songwriter-Elektronik, Soul und Post-Dubstep. Sehr schön, dass so etwas auch hier sehr gut aufgeht.
Blake gibt mit gewohnter, drei-köpfiger Mini-Bandbesetzung zwar auch beispielsweise das frühe, Kelis-samplende Stück „CMYK“, das stärker dem Dancefloor zuarbeitet als der Großteil seines sonstigen Oeuvres, oder auch im letzten Teil einen kleinen rave-haften Exkurs, letztlich würden auch seine schlicht atemberaubenden, wunderbaren, leisen Lieder ohne Mühe eines seiner Konzerte alleine tragen. „I Never Learnt To Share“, die Vocoder-Herrlichkeit „Lindisfarne“, „Limit To Your Love“, an das man sich mittlerweile beinahe schon gar nicht mehr als ein Stück von der wunderbaren Frau Feist erinnern kann, „The Wilhelm Scream“. An dieser Stelle sollten eigentlich drei Herzsymbole stehen.
Auf Blake folgt das englische Duo Hurts, das auch ganz genau weiß, wie man perfekt auskalibrierte Popsongs schreibt – auch wenn bei ihnen nicht gar soviel unter der glattpolierten Oberfläche versteckt sein dürfte.
Mittlerweile deuten Hurts ihren anfangs ausdrücklich und fast ausschließlich auf zärtelnde Synthie-Musik der frühen 80er, wie etwa jene von Depeche Mode in ihren zarten Momenten oder Alphaville, aufbauenden Kuschelpop deutlich rockiger: Inzwischen ist man teils gar bei elektronischem Blues angekommen, Depeche Mode anno „Personal Jesus“ oder „Songs of Faith and Devotion“.
Das alles ist sehr vorhersehbar und aufs Stadion d’Amour hinkonstruiert, auch wird da und dort Schlager- und Autodrom-Techno bemüht – dennoch: sehr ergreifend, ein aus dem ganz großen Schmalztopf gewonnenes Kalkül. Viel mehr wollte diese Band nie. Am Schluss steht das große Stück „Stay“. Überbordende Popmusik, zuhause wird man sie sich nicht allzu oft anhören müssen, ohne Unter- und Überbau, ohne Diskurs, Revolution und Theorie. Es kann manchmal ohne gehen. Sie funkelt doch so schön.
Tricky, einst Inbegriff des Verwaschenen, Schemenhaften und Verspukten tritt mit Rockband auf. Er covert „Ace of Spades“ von Motörhead und holt dazu viele Menschen aus dem Publikum auf die Bühne. Minimalistischer, knochiger Rockrock mit ein paar Restspuren von Groove. Wenn es, selten, selten, sphärischer wird, ein bisschen synthesizerlastiger, fast schon ist man geneigt zu sagen „Triphop“, blitzen alte Glanztaten auf. Sonst verstörend, und das nicht auf die interessante Art und Weise.
Während man sich mittlerweile schon gar nicht mehr wundern mag und muss, dass am letzten Abend eine Band namens Die Toten Hosen als Headliner auf der Main Stage steht und dort wiedermal mit Durchhalteparolen für die ganze Welt Punk als Massenkultur definiert, findet sich auf der Green Stage zur gleichen Zeit ein großer Vereiner und Konsens von der fast ganz genau gegenüberliegenden Seite des Entertainment-Verständnisses ein.
Vielleicht zieht man sich schon seit Mitte Zwanzig feine, dreiteilige Anzüge an oder immerhin ein gut gebügeltes Hemd, lässt sich mit Mitte Vierzig einen wirren Vollbart stehen oder sich immerhin einen fetten Schnauzer ins Gesicht wachsen. Später rasiert man sich wieder. Das ist dann in einer Welt, in der abgeschnittene Army-Hosen und bunte Haare die übliche Uniform sind, die ärgere Provokation.

Franz Reiterer
Aber um Provokation muss es Nick Cave und seinen Bad Seeds freilich lange schon nicht mehr gehen. Einzig kann man bei dieser – einer der wenigen tatsächlich herausragenden der letzten 35 Jahre – Künstlerpersönlichkeit und seinen Gefährtinnen und Gefährten sehen, dass der einst schöne Begriff „Subversion“ und das Herumfuhrwerken und Granteln an den Außenrändern des sogenannten Mainstreams auch bei großem Erfolg mit Stil und Würde exerziert werden kann. Und selbst das würdelose Altern in einer Schweinerockband mit zotigem Altherrenhumor wie dem Nebenprojekt Grinderman geschieht bei Cave mit einiger Finesse. Grinderman scheinen mittlerweile aufgelöst, das dieses Jahr erschienene, wieder einmal sehr gut gewordene, fünfzehnte Studioalbum von Nick Cave und den Bad Seeds namens „Push The Sky Away“ kann als die Platte des Runterkommens und Abkühlens gelesen werden.
Es ist das erste Album der Bad Seeds, das ohne Caves ewigen Partner Mick Harvey entstanden ist; hier war der Violinist und Multiinstrumentalist Warren Ellis, auch bei Grinderman wichtiger Strippenzieher, neben Cave der hauptverantwortliche musikalische Direktor. Dass „Push The Sky Away“ nun kein vor „Hits“ im eigentlichen Sinne berstendes Album ist und so auch nur kaum der landläufigen Definition von „festivaltauglich“ entspricht, ist dieser großen, großen Band, der kein Weihwasser mehr etwas anhaben kann, zum Glück und klarerweise egal.
Der Abend beginnt mit „We No Who U R“ , einem Stück, das schon in der Schreibweise des Titels verrät, dass in Cave, der ja fälschlicherweise oft gerne ausschließlich als betulicher Hochkünstler und alttestamentarischer Wüterich, dem das Archaische das Hauptthema ist, missverstanden wird, selbstredend Humor schlummert. Und dass er ebenso die schrillen Signale der sogenannten Popkultur als immerhin interessant zu deuten bzw. sie neu beleuchtet in sein Werk einzupassen weiß. Im Stück „Higgs Boson Blues“ beispielsweise, einem Bob-Dylan-haft ewig vor sich hin mäandernden Höhepunkt des Albums, der auch an diesem Abend noch folgen soll, stellt Cave den Blues-Großgott Robert Johnson, Luzifer höchstselbst und Miley Cyrus sinnstiftend und quasi gleichberechtigt in eine Reihe.
„We No Who U R“ stellt im Werk von Cave einen jener Songs dar, die relativ einfach und schnell als schlicht „schön“ zu verstehen sind. „We No Who U R“ kann an der Oberfläche locker als „Ballade“ gehört werden und gefühlstechnisch so ziemlich jeden abholen, der üblicherweise nicht unbedingt ausschließlich Extreme Metal oder GANZ alte, krawallige - vermutlich im Heroin-Rausch – auf Kassette aufgenommene Demos der Cave-Frühband The Boys Next Door hört. Auch an diesem Abend. „We No U R“ scheint ein Rückgriff auf Caves Album „The Boatman’s Call“ zu sein, ein Album, eines seiner besten, das den Meister vor allem als einsamen Piano Man mit Hang zu immerhin auf musikalischer Ebene leicht nachvollziehbaren, eingängigen Gefühlsliedern, freilich mit dunklem Unterton, inszeniert. Insgesamt aber ist „Push The Sky Away“ ein frei fließendes, wenn man so will, atmosphärisches Album.
Oft bilden hier spartanisch angerichtete Geigen-Loops von Warren Ellis, der sich auf der Bühne gerne als zeigefreudiger Derwisch, auch an der Querflöte, präsentiert, das Fundament der Stücke. So auch bei der Nummer, auf Platte, „Jubilee Street“, noch so ein unaufdringlicher Höhepunkt des Albums, der bei Caves Auftritt auf „We No Who U R“ folgt. In der Live-Darbietung deutlich rockiger aufbereitet.
Sicherlich: Bei allem Vertrauen in das neue Material – es muss auch Hits geben. Cave, der am Samstag Abend zum Handkontakt mit dem Publikum immer wieder höflich triumphierend den Weg an die Absperrung vor dem Bühnengraben findet, hat sie - und sehr viele davon: „From Her To Eternity“ beispielweise, ein sehr frühes Stück im Schaffen Caves, zu dem er sich so richtig in die Pose des geladenen, zu wildem Blues-Punk gestikulierenden und mit Fingerzeig alle Geister anrufenden Predigers aufschwingt.
Oder „Tupelo“, „Deanna“, „People Ain’t No Good“. Das mächtigste Stück ist vielleicht nach wie vor „The Mercy Seat“: Es ist einer der größten Hits Caves, es ist ein Hit über den elektrischen Stuhl. Hier ist eine Band und ein Mensch im Vollbesitz der Kräfte, ein Konzert, leider mit etwas über einer Stunde Spieldauer viel zu kurz dimensioniert, perfekt durchorchestriert, die Eruptionen des Zorns (vielleicht auch jenen Gottes) und die Momente der Kontemplation an den Tasten meisterlich ausbalancierend. Schuld und Sühne, Mord und Totschlag, Liebe, Sex, Vergebung.

Franz Reiterer
Die Welt ist schlecht und die Nacht kalt. Es gibt auch Wonne und Glück im Leben, Nick Cave weiß die ganze wirre Existenz in seiner Kunst zu verdichten. Ohne Zweifel das beste Konzert des gesamten Wochenendes.
Ein Glühen steht in der Luft, er hat uns den Abgrund gezeigt, am Ende jedoch ist Nick Cave der einzig wahre Bote der Erlösung. Steh auf, wenn du am Boden bist. Oder erfahre den Genuss des Liegenbleibens.