Erstellt am: 17. 8. 2013 - 01:44 Uhr
Jung bleiben, gemeinsam einsam
FM4 Frequency
Samstag
- Nachtschattengewächse: Von James Blake und Nick Cave
- Rocken wie Hose: Spaß am Zeltplatz
- Bilder von Bands und Bühnen
- Video: Madsen POV
Freitag
- System Of A Down, Crystal Castles, Left Boy und viel mehr
- Schweiß vermeiden, cool bleiben
- Bilder, Bühnen, Publikum
- Video: A Tribute to Empire of the Sun
Donnerstag
- Tenacious D, Franz Ferdinand, Shout Out Louds und mehr.
- Wald und Wiesenromantik: Tierkostüme überall
- Und los! Bilder, Bühnen, Publikum
- Video: Mit der Helmkamera zum FM4 Frequency Festival
Mittwoch
Grabenkämpfe, die soll es ja gar nicht mehr geben. Wir hören Metal UND HipHop. Dubstep, Indierock UND R’n’B. So heißt es. Die Mainstage steht am Freitag vor allem in Zeichen von Punk/Emo/Hardcore/Metal und Traditionspflege. Pennywise, Fall Out Boy, Bad Religion.
Bad Religion in allen Ehren, so ein Konzert lebt aber tatsächlich fast ausschließlich von der Nostalgie bzw. davon, dass im Werk dieser Band immer neue Generationen junger Menschen einen ersten Soundtrack für die private Revolutionen finden können. Die Band Imagine Dragons (man kann sich vielleicht schon mithilfe ihres Namens schon ein wenig ausmalen, wie diese Gruppe denn klingen mag) kombiniert den nur bruchstückhaft verstandenen Überschwangs-Pathos von Arcade Fire mit Ideen von Dubstep der US-amerikanischen Krawall-Prägung und Texten über zum Beispiel die Schlechtheit der Welt. So etwas ist immens populär.
Auf der Green Stage hingegen wird Zukunftsfroheres geboten, auch schon am frühen, frühen Nachmittag. Die deutsche Gruppe OK KID (vielleicht etwas zu bemüht nach den zwei „klassischen“ Alben von Radiohead benannt) entwirft mit den Mitteln einer experimentierfreudigen Rockband einen im besten Sinne merkwürdigen deutschsprachigen HipHop-Pop-Indie-Hybriden, durchaus auch mit gewieften und gewitzten Texten. Noch einen Tick abenteuerlustiger geht es bei Sizarr zu, einer der interessantesten jungen deutschen Bands der jüngeren Vergangenheit. Synthesizer, wildes Geklöppel und eine schöne Indie-Gefühligkeit verschmelzen bei Sizarr zu einem weich fließenden Tropical-Pop, zu dem es sich auch gut tanzen lässt. Nun mag man beim Hören von Sizarr durchaus das eine oder andere Mal an Bands wie Yeasayer oder das Animal Collective denken - den drei jungen Herren gelingt aber dennoch das Versprühen einer eigener Note.
FM4 Frequency Radio
Samstag, 19 bis 22 Uhr: Livesets, Interviews, Backstage-Gossip und Reportagen vom Leben in der Zeltplatzstadt
Lange Nacht des FM4 Frequency
Dienstag und Mittwoch Nacht, ab 1 Uhr und anschließend für sieben Tage on Demand: Alle Konzerte, die wir mitschneiden durften und für die wir die Rechte erhalten haben. Unter anderem mit:
- Empire of the Sun
- Franz Ferdinand
- Casper
Ein kleiner, unaufdringlicher Höhepunkt hat sich, wie schon am Donnerstag, in der Weekender Stage versteckt: Junip, die Band, der der allseits beliebte feingeistige Songwriter Jose Gonzales vorsteht. Wohl aufgrund seiner immerhin durchschnittlichen Prominenz sind zu diesem Konzert doch nicht gar so wenige Leute erschienen. Sensibel gewobener Indiepop mit Folkeinschlag und der Seele von akustischem Singer/Songwritertum, das ohne die großen Knalleffekte auskommt. Es kann auch ab und zu um die Musik gehen, die man sich anhören möchte, weil sie gut ist.
Auf der Green Stage wird daraufhin ein allgemeines Glücksgefühl zelebriert. Eine kleine Bekehrung, im Angesicht der, wie es heißt, „Atmosphäre“: Man mag vielleicht auf knisternde Elektronik oder vielfach verspiegelten Avantgarde-Pop gepolt sein, der gute, alte Thees Uhlmann kriegt sie dann doch noch, zumal in der Live-Darbietung, fast alle: „Es macht mich froh, dass sich auch Menschen mit grün-rot gefärbten Haaren hier mein Konzert ansehen. Ich war ja früher auch mal Punk“ sagt Uhlmann, auch in der größten Hitze in die klassische Montur aus Jeans, weißem T-Shirt und schwarzer Lederjacke gehüllt. Lieder und Geschichten über das Älter-und Ein-Bisschen-Erwachsen-Werden, Kleinstadtmelancholie, erste Lieben und eine Jugend mit Metal und Punkrock: „Kreator ist immer wichtiger als Stress mit den Eltern“ sagt der Thees. Ein Konzert, das die hohlen Floskel, das nebulöse Gefühl, „Indie“ wieder mit ein bisschen geilem Leben betankt. So kann man sich ein schönes Festival vorstellen. Ein Konzert wie eine geballte Faust der Liebe.
Die Euphorie schwappt über und steigert sich mit den Sympathie-Boys von Madsen. Bei den Funken, die da durch die Luft fliegen, wird sogar das strengste Herz ein bisschen weich. Madsen covern kurz „Get Lucky“: 2013 nicht der originellste Trick im Buch, aber, ja, es funktioniert halt. Immer, immer noch. Außerdem haben sie auch ein sehr feines Lied im Gepäck, das eine Weisheit transportiert, die sich alle, alle gerne hinter die Ohren schreiben mögen: „So cool bist du nicht.“
Danach wird es finsterer: Crystal Castles sind eine interessante Band bzw. ein spannendes Konstrukt. Man kann hier anhand von zwei ideologisch kajal-verliebten und noch halbwegs jungen Menschen sehen, dass man die ganze Teenage Angst, den unbedingten Drang nach Intensität, den Wunsch nach Party und Entgrenzung nicht in komplett stumpfe Ballermann-Elektronik oder in mithilfe des Phrasenbuchs für die Revolution zusammengebauten Punkklischees entladen muss. Nun arbeiten Alice Glass und Evan Kath mit ihrem Projekt Crystal Castles sicherlich auch nicht mit der Pinzette. Sie haben in ihre Musik die schrillsten Signale von Industrial, Noise, Gothic und Wave, EBM und Synthiepop hineinverbraten und daraus eine seltsam schemenhaften und verwaschenen Sound entwickelt, der vor allen Dingen ein heilloser Krach ist und mit allem grellen Geblitzel und allen Stroboskopen der Welt agiert, dabei auf seltsame Weise aber immer auch Pop bleibt.
In den jüngeren Arbeiten des Duos aus Toronto tauchen auch immer wieder weichere Gefühlsregungen auf, Ideen von Ambient, Shoegaze und gut abgefedertem Witch House, 8-bithaft billig klingen sie genauso gern. Die Crystal Castles sind ein Act, der zuvorderst wohl an der Herstellung einer Ästhetik, eines Sounds, eines Lebensmodells interessiert ist – nicht so sehr am Schreiben schöner Lieder. Fuck-You-Attitude, jugendliche Selbstinszenierung und emotionale Gefühlsachterbahnen gehen hier in einem Gesamtkunstwerk auf. Dass Glass und Kath mit ihrer Druckwelle der Energie noch jeden Club der Welt zerlegt haben, ist bekannt. Wie kann es auf einer Open-Air-Bühne, am Samstag ist es die Green Stage, am frühen Abend, zumal noch bei Tageslicht, glücken? Diese Musik und den Sex und den Glam und den Radau des Somnabulen auf wesensfremdem Terrain vorzuexerzieren?
Es funktioniert, auch wenn Crystal Castles freilich am Funktionieren so gar nicht interessiert sind, im Laufe des Auftritts wird es standesgemäß Nacht. Die gut abgefuckte Karaokeshow mit Live-Drummer. Alice Glass, Sonnenbrille, platinerblondet, rauchend, gibt wie gewohnt souverän die Angepisste, mit dem Ambiente scheint sie nicht ganz glücklich zu sein. Aber man ist doch prinzipiell eh nur happy, wenn es regnet. Sie ist immer noch eine der besten Frontpersonen, die man so erleben kann. Crowdsurfing inklusive. Ihre Stimme ist - wie eigentlich immer bei Crystal Castles - kaum zu hören. Das ist der Plan. Klanglicher Terror, immer wieder von süßlichen, wiedererkennbaren Melodien und Motiven durchsetzt - dazu lässt es sich gut wild sein. Am Ende „spielen“ Crystal Castles „Not in Love“, ihren größten, in der bekanntesten Version mit Robert Smith von The Cure am Gesang aufgenommenen Hit. So nah an der Idee „Song“ sind sie bislang nur kaum gewesen. Es ist eine Coverversion. Das Stück stammt im Original (aus dem Jahr 1983) von der ebenfalls aus Toronto stammenden Band Platinum Blonde, einer fesch aufgemachten Wave und Hair-Rock-Kapelle, in deren Namen sich schon ein bisschen eine Haltung des Gelackten und Perfekt-Hingeföhnten manifestiert.
Die Crystal Castles haben also auch Humor und wissen, dass alle musikalischen und auch sonstigen Lager eine eigene Mode pflegen. Oft ist es eben eine Anti-Mode ist, eine Mode des Egalen oder des bewusst Nachlässig-Verwahrlosten. Man kann nicht nicht stylen. Crystal Castles wissen auch, dass ein gutes Lied ein gutes Lied ist. Das Gefühl, von dem „Not In Love“ erzählt, dass selbst die Faszination der einst größten Liebe irgendwann verblasst, kennen der Dosenbier-Punk, der Techno-Head und der schnieke Popper auf dem Motorroller. Die Musik von Crystal Castles ist eine, die zum Glück nur mit den Bildern der Aggression spielt, tatsächlich aber bloß eine allgemein identifizierbare Emotion als Identifikationsfläche anbietet. Lasst uns alle gemeinsam anders sein als alle anderen. Alle Menschen mögen Geschwister werden und in der Entladung, in der Ekstase die Selbstreinigung finden. Danach wird Händchengehalten und geküsst. Digital Hardcore für liebe Menschen.
Es folgt der Headliner der Herzen: So viel wie bei Leftboy ist an diesem Tag, quantitativ wie stimmungstechnisch, vor der Green Stage in keinem Moment los gewesen. Der sympathische Loverboy wird gefeiert wie der Star, der er ist. Sein Auftritt ist überraschend minimalistisch aufgezogen, fast schon wie ein oldschoolige Rap-Show. Leftboy hat einen DJ und einen Hypeman mitgebracht. Und eine Tanztruppe, bestehend aus Männern in Glitzershorts - eine klitzekleine, nette, simple Verkehrung der bei HipHop- oder R’n’B-Shows gerne präsentierten Rollenvorstellungen.
Hier ist eine Show, die sich auf den Übermut und den Klamauk der frühen Beastie Boys genauso beruft wie auf aktuelle, hittauglich ins Popformat gegossene Clubmusiken. Der ganze Auftritt gestaltet sich eher wie in quirliges Club-Mixtape, weniger als tatsächliches „Konzert“: Da dürfen dann schon auch kurz immer wieder gar sehr berühmte Hits und Samples verbraten werden: „A Milli“, „Sweet Dreams“, „Call Me Maybe“ und, ja, klar, „Video Games“. Gehörigen Charme erhält die ganze Angelegenheit durch den Umstand, dass die Show nicht mit hundert Lichtern, Prunk und LED-Wänden auffährt, sondern Leftboy und seine Kollegen eine putzige Do-It-Yourself-Bastel-Performance auf die Bühne stellen: Mit bunten Gummiwürsten, Klopapierrollen, Luftballons. Eine konfettigeladene Partywundertüte für die ganze Familie. Sehr lustig und sehr gut, seriously, no hating, y’all.
Das Problem, mit System of a Down, am Freitag der Headliner auf der Mainstage, ist ein ähnliches wie das mit Tenacious D am Vortag. Womit aber nichts gegen System of a Down gesagt sein soll. Für diejenigen, die etwas anderes sehen wollen, hat es vielleicht ohnehin vorher den Leftboy gegeben. Er hat milde, milde gestimmt.
System Of A Down haben Metal nicht bloß mit folkloristischen Elementen durchsetzt und das Genre in neue Richtungen gedehnt. Sie sind in dem was sie tun, sehr gut. Beim Überhit „Chop Suey“ tanzt fast schon der letzte Zweifler. Dennoch meint ein diffuses Gefühl, eine vage Erinnerung, dass man irgendwann vielleicht geglaubt haben könnte, dass so eine Band doch thematisch auf einem anderen Festival eventuell besser aufgehoben gewesen wäre. Aber das ist wohl bloß die eigene Engstirnigkeit.

Franz Reiterer