Erstellt am: 17. 8. 2013 - 08:42 Uhr
Das Streetfood der Expats
Es hat sich zwar wieder keine lang erwartete neue Jugendkultur oder ein neuer Musikstil entwickelt, aber im Moment ist "Streetfood" das neue Ding. Streetfood, also Straßenessen wird als "Straßenküche" oder "Bürgersteig-Delikatessen" übersetzt und ist voll der neue Hype.
Christiane Rösinger
Dabei ist Streetfood erst einmal nichts anderes als ein Trend im mobilen Imbissgeschäft, der von den amerikanischen Metropolen in Berlin gelandet ist. Das Kochen auf der Straße hat in vielen asiatischen Ländern eine lange Tradition - und Streetfood heißt ja nix anderes als "das Essen wird am Straßenrand zubereitet und gleich an Ort und Stelle verkauft". Beim Berliner Streetfood werden nicht eigens Garküchen aufgebaut, die Zutaten werden bereits vorbereitet angeliefert und vor Ort sind nur noch ein paar Handgriffe nötig.
Christiane Rösinger
- "Expats"
Abkürzung von Expatriats - allgemein Menschen, die nicht in ihrer Heimat leben. Im Unterschied zu Migranten sind Expatriats Menschen, die für eine gewisse Zeit in der Fremde leben, aber ihrer Heimat verbunden bleiben, ihren Aufenthalt in dem fremden Land als befristet ansehen und sich seiner Kultur nicht assimilieren und auch keine fremde Staatsbürgerschaft anstreben. Damit sind in erster Linie gutverdienende Fachkräfte aus den USA, aus Asien oder Nordeuropa gemeint, bei den Berliner Expats handelt es sich vorwiegend um junge Künstler, DJs, Autoren, Webdesigner. Da Expats meistens in den englischsprechenden Communities bestens vernetzt sind, haben sie kaum Berührungspunkte zur einheimischen Bevölkerung.
Den Trend nach Berlin gebracht haben die sogenannten Expats. Die Streetfood-Anbieter sind entweder professionelle Köche, die Werbung für ein Restaurant machen wollen, oder es sind Menschen, die in Berlin wohnen und die Küche ihrer Eltern, Heimatländer oder ehemaligen Wohnorte vermissen. Einige gehören dem internationalen Netzwerk kitchensurfing an, der modernen Form der Privatkoch-Vermittlung, bei dem sich jeder einen Koch für seine Partys oder Firmenevents mieten kann.
Generell hat sich ja in den letzten Jahren das Interesse am Essen und an Restaurants gesteigert, Essen Gehen ist das neue Ausgehen und das Essen Gehen wird allgemein überbewertet. Fancy Restaurants, Geheimrestaurants in Wohnungen, Überraschungsdinners mit Fremden an ungekannten Orten, gehört alles längst zum Standardrepertoire. Was beim Streetfood hinzukommt, ist neben der Freude am Essen aber auch der Distinktionsgewinn: "Ach wie habe ich die Garküchen aus Kambodscha vermisst!" oder "Toll, endlich ein Streetfood Market wie in unserem Viertel in London!", kann der Weitgereiste fachmännisch ausrufen und sein kosmopolitisches Know How geschickt in Szene setzen.
Bizarrerweise wird so eine ehemalige Arme-Leute-Küche zum Life-Style-Habitus der Besserverdienenden.
In Kreuzberg hält man den Streetfood Market nicht auf der Straße, sondern in einer alten Markthalle ab - ein architektonisches Kleinod, erbaut am Ende des 19. Jahrhunderts.
Insgesamt zehn dieser Markthallen wurden damals in Berlin errichtet, um bessere hygienische Marktbedingungen zu schaffen und Kaufleute und ihre Kunden vor widrigem Wetter zu schützen. Die Kreuzberger Markthalle IX war in den letzten Jahren wie ausgestorben, nur zwei Discounter residierten noch in dem riesigen Gebäude. Neue Betreiber versuchen die alte Halle mit Leben zu füllen, am Wochenende zieht ein Biomarkt dort ein und jeden Donnerstag wird mit großem Zulauf der "Streetfood Market" abgehalten.
Christiane Rösinger
Der Erfolg in der Markthalle hat schnell Nachahmer gefunden. Auf dem Gelände neben einem Badeschiff an der Spree hat der "Bite Club Spree" eröffnet - prosaischer ausgedrückt haben sich mehrere Imbissstände dort ausgestellt. Natürlich legen DJs dazu auf und man kann sich die Nägel bemalen lassen. Sehr beliebt sind dabei die putzig umgebauten Wohnwagen des Allgäuer Spätzle-Express, der Burger Food Truck und der Retro-Frozen-Joghurt-Wagen. Auch an einem Brachgelände am bei Expats beliebten Schlesischen Tor bauen sich mittags mehrere Imbisswagen zum "Streetfood Market" auf.
Christiane Rösinger
Christiane Rösinger
Beim Gang durch die alte Kreuzberger Markthalle kommen bei allem Interesse und der Freude an den verschiedenen Speiseangeboten, dem Flair der Halle und der Begeisterung der vielsprachigen Köche und Köchinnen doch auch gemischte Gefühle auf. Am Streetfood-Tag sieht man zwar viele Menschen, die aus anderen Bezirken nach Kreuzberg angereist sind, aber die Anwohner, die Nachbarn nehmen nicht teil am großen Food- Happening. Die Besucher und Expats stehen am Austernstand und die Kreuzberger Nachbarn gehen zu Aldi und kaufen sich da ihr billiges, eingeschweißtes Zeug.
Christiane Rösinger
Treffendes Bild einer Klassengesellschaft - aber das fällt den Besuchern und Expats natürlich nicht auf.
Das Straßenessen in der Markthalle ist voll der Renner und viele Foodblogger haben bereits über den Street Food Thursday enthusiastisch berichtet. Wahrscheinlich wird der Street Food Market bald in die Reiseführer aufgenommen werden – es bleibt einem nix erspart.