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Pia Reiser

Filmflimmern

16. 8. 2013 - 09:08

Chanel, aber schnell

Reiche Teenager bestehlen noch reichere Stars. Mit "The Bling Ring" zeichnet Sofia Coppola ein ernüchterndes Stück Jugendkultur zwischen "Celebrity Culture" und Markenwahn.

Von wegen Print ist tot. Zwar haben die Protagonistinnen in "The Bling Ring" ihr Smartphone immer griffbereit und Laptops herumstehen, doch die Wände ihrer Mädchenzimmer sind zugepflastert mit Collagen bestehend aus - von Zeitschriften ausgeschnittenen - Starskonterfeis und Markenlogos. Da klebt ein Chanel-Logo an Angelina Jolies strahlendem Lächeln, da legt sich der Dior-Schriftzug ganz nah an Lindsay Lohans Schlafzimmerblick. Sofia Coppolas Filme haben sich bisher ebenfalls hervorragend als Lieferant für Mädchenzimmer-Behübschungen geeignet. Ein gold gerahmtes Bild, das die Lisbon-Schwestern aus "The Virgin Suicides" zeigt, steht seit fast zehn Jahren in meinem Bücherregal.

Kirsten Dunst in "The Virgin Suicides"

paramount

"The Virgin Suicides"

Die träumerischen Bilder von Jungmädchen, die in der Wiese liegen oder an ihren frischgewaschenen Haarsträhnen kauen waren ebenso erstklassiges Postermaterial wie die entsättigten Bilder aus "Lost in Translation", der fluffige Poptraum in Pastell namens "Marie Antoinette" (der zwei Besessenheiten der tumblr-Mädchen vorwegnahm, bevor es noch tumblr gab: Kleine Hunde und Cupcakes) oder auch die unerträgliche Leichtigkeit des Seins im Chateau Marmont aus "Somewhere". "The Bling Ring" liefert als erster Film von Sofia Coppola kein schwelgerisches Material für Mädchenzimmer-Wände.

Taissa Farmiga und Emma Watson

Tobis

Kein Platz für Melancholie

Nur einen kleinen Moment scheint die Sonne auf Nicki (Emma Watson) und Sam (Taissa Farmiga), wie sie es auch in den anderen Filmen von Sofia Coppola tut: Sie bricht sanft herein durch einen leichten Vorhang, erleuchtet ein Mädchenzimmer und kreiert einen fast romantischen Moment. Auf einem Bett schlafen zwei Teenager. Dann durchbricht eine Stimme, die brüllt, es sei Zeit zum Aufstehen und Zeit für die Adderall-Tabletten die Stille, Nicki und Sam erheben sich und spätestens mit Sätzen wie "I would totally do that Manager guy" und "You were so wild yesterday" ist klar, dass für schwärmerische Nostalgie oder die süße Schwere der Melancholie kein Platz ist in "The Bling Ring". Und auch für Elternfiguren nicht wirklich. Die Mütter und Väter der wohlsituierten Los-Angeles-Teenager sind größtenteils abwesend, sie sind beruflich viel unterwegs oder stehen arg- und ahnungslos im Pyjama in ihren großen Häusern herum.

Eine wahre Geschichte

Sofia Coppola streckt also einen Zeh ins "True Story"-Gewässer, doch auch diese wahre Geschichte dreht sich um ein Thema, das man in vielen ihrer Filme findet: Ruhm, Startum und dessen (Halb)schattenseiten. Das zarte Bewundern aus der Ferne, wie es in "The Virgin Suicides" zu finden ist, wo die männlichen Teenager schwärmerische Blicke auf die Lisbon-Schwestern werfen, weicht in "The Bling Ring" einer Obsession. Das Objekt der Begierde: Celebrities. Und deren Tand.

Beruhend auf einem Artikel der Vanity Fair, erzählt Coppola die Geschichte von Teenagern, die im Zeitraum von Oktober 2008 bis August 2009 des Nächtens losziehen, um sich an den Kleider- und Schmuckschränken von Paris Hilton, Rachel Bilson oder Lindsay Lohan zu bedienen. Man braucht dafür noch nichtmal wirklich viel kriminelle Energie: Medien wie E! Online oder TMZ berichten, wo sich Stars gerade aufhalten. Steht die L.A-Villa also leer, muss man nur mehr die Adresse ergooglen und am besten via Street View rausfinden, wo man am besten einsteigt. Irgendeine Tür ist immer offen oder der Schlüssel mit Blinbling-Anhänger liegt sogar unter der Fußmatte.

Katie Chang in "The Bling Ring"

tobis

Voyeurismus und Schadenfreude

Sympathisch sind sie nicht, die Schülerinnen mit den strahlend weißen Zähnen und kurzen Hosen. Nur, sympathisch ist einem Paris Hilton ja auch nicht. Wenn nun also privilegierte Kinder, so schön frisiert wie dumpf, in den Hilton-Stadtpalast einsteigen und dort Louboutin-Schuhe, Alexander McQueen-Sonnenbrillen und Schmuck im Wert von 2 Millionen Dollar stehlen, so mischt sich Voyeurismus (immerhin stellte Paris Hilton tatsächlich ihr Haus bei den Dreharbeiten zur Verfügung) mit einer gewissen Schadenfreude. Die Antipathien gegen Täter und Opfer halten sich die Waage, wäre da nicht Marc (Israel Broussard).

Der Junge und die Mädchen

Der Junge mit den brauen Augen und kleinen Sommersprossen, der auf der neuen Schule zum ersten Mal sowas wie Freunde findet. Der Junge, der eine große Freude an schönen Dingen hat. Tatsächlich scheint Marc der einzige zu sein, der die Schönheit der geklauten Dinge liebt, nicht unbedingt die Marke. Er packt sein Diebesgut liebevoll und umsichtig in einen alten Koffer. Manchmal zieht er rosa Highheels an und liegt auf seinem Bett. Die Leichtigkeit, mit der Coppola Marcs Homosexualität streift, ohne sie zum Thema oder zum Problem zu machen, wünsche ich mir von viel mehr Regisseuren. Marc ist der nervöseste bei jedem Raubzug, er mahnt zum Aufbruch und zur Eile. Rachel (Katie Chang), die treibende Kraft hinter den Diebstählen hingegen ist die Ruhe selbst. Nimmt auch schonmal Decken, Polster und Bilder mit, zur Dekoration für das Haus ihres Vaters, wie sie erklärt.

tobis

I want some chanel

Den Nervenkitzel, der bei Einbruchszenen im Film sonst gerne zelebriert wird, gönnt einem Sofia Coppola nicht. Nicht Spannung, sondern Gier, begleitet von den immergleichen, affirmativen, ironiegetränkten Dialogfetzen, steht im Vordergrund. Vielleicht bleibt einem eine Einbruch-Szene, wo die Kamera weit entfernt positioniert wurde und wir in dem beinah komplett verglasten Haus Marc und Rachel herumhuschen sehen, deswegen so eindrucksvoll in Erinnerung, weil sie ohne Dialoge stattfindet.

Was der Bling Ring, wie die Clique später genannt wurde, von sich gibt, mag man während des Films als unterhaltsame Satire einer Jugendkultur wahrnehmen, die irgendwo zwischen Selbstüberschätzung und dem Tanz um ein goldenes Kalb namens Konsum irrlichtert, doch spätestens, wenn man den "Vanity Fair"-Artikel von Mary Jo Sales liest, gruselt es einen. Denn Sofia Coppola zitiert bloß. Hanebüchene Aussagen wie "I think that my journey on this planet is to be a leader. I see myself being like Angelina Jolie but even stronger, pushing even harder for the universe and for peace and for the health of our planet." sind tatsächliche Aussagen von Alexis Neiers, Vorbild für die Figur der Nicki.

Emma Watson in "The Bling Ring"

Tobis

In LiLos Schlafzimmer

I want some Chanel und "I just love her style sind die Sätze, die die nächtlichen Ausflüge einleiten. Das hier sind nicht die knapp bei Kasse seienden College-Studentinnen aus Harmony Korines "Spring Breakers", die zunächst mal einen Schnellimbiss überfallen, um das Budget zu haben, ein wenig am eskapistischen Party-Kuchen mitzunaschen. Es ist auch nicht - wie man es bei Sofia Coppola vermuten könnte - die herrliche Schwere von Teenager-Ennui und Wohlstandsverwahrlosung und schon gar nicht irgendeine Art von Protest, der in den Jugendlichen brodelt. Es ist irritierend simpel: I want some Chanel. Und mit dem Stückchen Chanel eben ein Stück von Rachel Bilson.

In einer Szene, die auf bizarre Weise Poesie und Stalking vereint, sehen wir, wie sich Rebecca am Schminktisch im Haus Lindsay Lohans deren Parfum aufträgt. Ein kleiner nasser Fleck am Hals bleibt zurück, so nah war sie ihrem Style-Idol noch nie. (Nun, bis jetzt. Später wird sie Lohans Zellennachbarin sein). Während ich ein Wort wie Style-Idol schreibe, krümmt sich mein Innerstes ein bisschen, aber genau darum geht es. Bewundert wird an den beklauten Stars nicht deren Werk, sondern bloß deren Look. Die Diebstähle scheinen eine konsequente Steigerung des Konsumverhaltens: Die Einkäufe mit gestohlenem Geld sind nicht halb so spaßbringend wie das Durchwühlen von Paris Hiltons Kleiderschrank. Man will keinen Louis Vuitton Koffer, man will einen Louis Vuitton Koffer, der Lindsay Lohan gehört.

Szenenbild aus The Bling Ring

tobis

Like and share

Immer wieder streut Coppola Fotos von Berühmtheiten am roten Teppich ein, Kurzinterviews mit Stars, wo auf dämliche Fragen auch nur dämliche Antworten folgen können. Immer wieder sehen wir, wie die Teenager Fotos von sich mit erbeuteten Taschen und Brillen auf Facebook posten. Denn was nützt der schönste Glitzertand, wenn man ihn nicht herzeigen kann. Und auch abseits von Facebook leben sie nach dessen Grundprinzip - was dir gefällt, sollst du (mit)teilen - und beginnen mit der Zeit, mit ihren Raubzügen anzugeben.

Etwas irritiert mich an "The Bling Ring" und erst spät kann ich es festmachen: Alle weiblichen Figuren Sofia Coppolas umwehte bisher ein Hauch von Unschuld und Geheimnis. Beides ist etwas, was in ihrem neusten Film - zurecht - völlig fehlt. Das Wort innocence fällt nur in juristischem Zusammenhang. Unschuld gibt es in der Welt aus Celebrity Culture, Revolverblättern und Paparazzi nicht mehr. Auch ist der Paparazzo nicht mehr bloß der Eindringling in die Promi-Privatsphäre, wir wissen, dass eine Vielzahl der Fotos auf Arrangements zwischen Berühmtheit, PR-Manager und Paparazzi passiert. Und Klatsch ist längst nicht mehr nur für Omas Lesezirkel interessant, der sonntags eben nachlesen will, was Königin Silvia denn in ihrer raren Freizeit macht.

Das Schundblatt mit Fotos von Stars beim Sandwich-Mampfen oder am Weg zur Magenspiegelung landet in der hipsterischen Badetasche neben der "Zeit" und dem neuen Roman von Jonathan Safran Foer. Eine eigene, neue Sprache ist um die - gerne schadenfrohe - Berichterstattung von side boobs, nip slip, oder pulling a Britney entstanden. Coppola erzählt selbst, dass sie sich dessen bewusst ist, Teil dieser Welt zu sein. Erstens manchmal als Teil der Berichterstattung, zweitens als jemand, der auch mal Boulevard-Magazine liest.
"The Bling Ring" aber skizziert, wie die Welt von Jugendlichen aussieht, bei denen sich das guilty pleasure namens "Celebrity Culture" zu einem alles definierenden Wertesystem ausgewachsen hat. Gerne hat man Coppolas Filmen "style over substance" vorgeworfen, in "The Bling Ring" geht es um genau das.

tobis

Zahme Inszenierung

Angesichts des irrsinnigen Spiels um Aufmerksamkeiten, Skandale und Schlagzeilen ist der Film erstaunlich zahm. Für Zynismus ist kein Platz in Sofia Coppolas Welt, selbst Sarkasmus ist nicht ihre inszenatorische Stärke, das merkt man in den Szenen, in denen Leslie Mann als New Age Mama beim Heimunterricht mit ihren Töchtern gezeigt wird. Wie mild Coppola hier ist, zeigt sich wieder, wenn man im "Vanity Fair"-Artikel die Beschreibung der von Leslie Mann gespielten Figur liest: "A former Playboy Playmate, Dunn—now married to Jerry Dunn, a production designer for television—is a masseuse and holistic health-care practitioner. Their house, which sits on a rolling, manicured street, is decorated with religious talismans and floor-standing statues of Buddha which Dunn said she got at the closing of a Thai restaurant."

Leslie Mann in "the bling ring"

tobis

Manchmal ist eben die Realität schon Satire genug. Die Verhaftung von Dunns Tochter Alexis wird übrigens damals zufällig von dem Kamerateam von "Pretty Wild" begleitet, einem Reality-TV-Format, das auf Alexis in einem Club aufmerksam wurde. Auch darauf verzichtet Sofia Coppola in ihrem Film.

Wahrscheinlich ist die Zurückhaltung die Stärke von "The Bling Ring", manche Dinge muss man überhöhen, um den Wahnsinn zu sehen, der in ihnen steckt, in Sachen Celebrity Culture ist das nicht nötig. Beinah nüchtern erzählt der Film von Ernüchterndem. Das Lachen über die Teenager-Bande verebbt in den Szenen, die nach ihrer Verhaftung spielen; jetzt haben Nicki und Rachel etwas, das noch aufregender ist als eine Hermes-Tasche: Sie sind jetzt selbst Berühmtheiten mit einer Kamera vor der Nase, einer Vanity Fair Autorin im Wohnzimmer und Lindsay Lohan als Zellennachbarin. (She wore orange, like everyone)

Keine Unschuld, kein Geheimnis

Das Selbstbild der Jugendlichen ist verquer und verzerrt. Nicki sieht in den Geschehnissen einen tieferen Sinn für ihren weiteren Weg, um für Frieden auf dem Planeten zu sorgen, Marc vergleicht die Gruppe mit Bonnie and Clyde. Aber gegen Ende erhebt "The Bling Ring" doch ein wenig zu sehr den moralischen Zeigefinger und klingt wie ein oller Onkel, der zwischen vielen "Ts ts ts" vermutet, dass das Internet und der Hip Hop an allem Schuld sind. Im Abspann rappt dann auch noch Fran Ocean über so many fake friends, ungefähr zwei Minuten nachdem Marc stolz von 800 Facebook-Freundschaftsanfragen erzählt hat. Hier wird alles doppelt ausformuliert, ich vermisse die Andeutung, das Schwebende, das Geheimnis wie am Ende von "Lost in Translation".

tobis

Bay und Coppola

C. neben mir im Kinosessel murmelt, "The Bling Ring" ist eine verfilmte "InTouch". Vielleicht ist das auch nur konsequent, die oberflächliche Inszenierung einer bloß an Oberflächen interessierten Welt, doch so unzufrieden hat mich noch kein Sofia-Coppola-Film zurückgelassen. Ich murmle zurück, dass mich "Pain and Gain" mehr beeindruckt hat. Aus dem bin ich wenige Stunden zuvor aus einer nachmittäglichen Pressevorführung gestolpert. Ich hätte nie gedacht, dass es zwischen einem Film von Sofia Coppola und Michael Bay so viele Gemeinsamkeiten geben würde. In beiden holen sich Leute auf illegale Weise etwas, von dem sie überzeugt sind, dass es ihnen zusteht. Beide drehen sich stark um äußere Erscheinungen (bei Bay gibt es statt Markenkleidung eben braungebrannte Muskelmasse und Silikonbusen). Beide kriminellen Aktivitäten fliegen auf, weil es sich nicht wirklich um wirkliche Masterminds handelt. Und beide beruhen auf wahren Begebenheiten. Mehr zu "Pain and Gain" gibts dann nächste Woche.

P.S. Alexis Neiers, auf der die Figur der Nicki basiert, twittert übrigens gern und viel, zum Beispiel, dass sie sich mit ihrer neugebornenen Tochter gerade "E!News" anschaut. Ich sags ja, manchmal ist die Realität schon Satire genug.