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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 8. 2013 - 19:03

Manische Mädchen

Ein paar Notizen zu „Kick-Ass 2“, „Feuchtgebiete“ und „The Bling Ring“.

Was für eine prinzipielle Freude erst einmal: Nach so vielen getriebenen Außenseiterkerlen, kaputten Antihelden und versteinerten Actionkino-Rächern tauchen geballt Filme auf, in denen es nicht um Testosteronausschüttungen und die Folgen geht. Endlich einmal portraitieren Filmemacher weibliche Figuren so wie es meistens Männern vorbehalten ist: Wahlweise wahnwitzig, irrlichternd, tough, durchgeknallt.

Dabei ist „Kick-Ass 2“, mehr noch als das erfolgreiche Original, zunächst einmal ein Ensemblestreifen. Neben dem Titelhelden (Aaron Johnson) und seinem Umfeld tauchen in der zynischen Superheldenparodie diesmal sogar Dutzende weitere Typen auf, die in ihrer Freizeit maskiert auf Verbrecherjagd gehen. Auch auf der Seite der Ganoven gibt es Zuwachs: Eine ganze Armee voller kostümierter Finsterlinge zieht in die Schlacht.

Im Zentrum des Films steht dennoch eine sehr junge Dame, die bei ihren Feldzügen gegen das Böse keinerlei Gefangene nimmt: Mindy Mcready alias Hit-Girl.

Kick-Ass 2

UPI

Kick-Ass 2

Tödliche Rache als Therapie

Mit ihrem phänomenalen Auftritt im ersten Teil, der an der Grenze von Anime-Putzigkeit, Tarantino-Heftigkeit und jugendverbotenen Onelinern balancierte, wurde Chloë Grace Moretz zur Ikone der Geek-Community. Weitere Rollen in einschlägigen Werken wie dem Vampir-Remake „Let Me In“, der Gruselkomödie „Dark Shadows“ oder demnächst der Stephen-King-Neuauflage „Carrie“ verstärkten das rebellische Image der Jungschauspielerin.

Chloë Moretz genießt diesen Ruf, macht aber beim Interview zum Film in London sofort klar: All diese Charaktere könnten nicht diametraler von ihr entfernt sein. „Für mich“, sagt sie, „sind diese Filme meine ganz persönliche Therapie. Ich kann in defekte und weirde Figuren schlüpfen, die im Gegensatz zu mir kein glückliches Familienumfeld haben, in dem wirklich alles stimmt.“

Ein Satz, der noch öfter fällt, extrem fröhlich glucksend beschwört Moretz ihr happy american life. Auf der anderen Seite macht gerade dieser Gegensatz die Faszination der mittlerweile 16-Jährigen aus. Das einstige Kind, das auf der Leinwand in Blut watete und das F-Wort höchstens mal gegen das C-Wort austauschte, hat keinen Kollateralschaden à la Hollywood davongetragen. Sondern mutierte zum gut gelaunten Teenager, der eben auf tödliche Rächerinnen spezialisiert ist.

Kick-Ass 2

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Kick-Ass 2

Killerkids und Kontroversen

Viel Spaß haben auch Regisseur Jeff Wadlow und „McLovin“ Christopher Mintz-Plasse beim Pressegespräch, obwohl die Themen durchaus ernsthafter Natur sind. Hat doch Jim Carrey, der im Film als Colonel Stars & Stripes seinen Schäferhund unter die Gürtellinie diverser böser Buben hetzt, sich im Nachhinein distanziert. Auf Twitter machte der Comedyguru seine Bestürzung über „Kick-Ass 2“ deutlich: Er könne nach all den tragischen Amokläufen auf amerikanischen Schulen dieses Gewaltniveau nicht guten Gewissens unterstützen.

„Ich verstehe Jims Bedenken, aber er hat wohl wie alle Stars nur seine eigenen Stellen im Drehbuch gelesen“, grinst Mintz-Plasse. Der schlaksige Schauspiel-Autodidakt, der es dank der Judd-Apatow-Posse in die obere Hollywood-Liga schaffte, liebt Kinogewalt in allen Varianten. Besonders genießt er seine Rolle als diabolischer The Motherfucker, in der er nun so richtig Superbad sein darf.

Der eher weniger subtile Verbrechername sagt schon viel über „Kick-Ass 2“ aus: Noch greller und gnadenloser als im Original geht es in dem Sequel zu. Dabei funktioniert der perverse Mix aus knallbunter Comicsatire und grausamem Sarkasmus diesmal leider entschieden weniger. Die gemeinen Faustwatschen gegen Konformismus und Superhelden-Stereotypen versinken oft in hysterisch überdrehter Action.

Die besten Momente hat jedenfalls erneut Hit-Girl. Und das nicht nur schwerbewaffnet im violetten Latex-Outfit. Wie die an sich unverwüstbare Mindy im schnöden Highschool-Alltag an diversen perfiden Girl-Ritualen zu scheitern droht, das wünscht man sich als eigene Geschichte. Überhaupt bleibt nach der milden Enttäuschung über „Kick-Ass 2“ die Hoffnung auf einen Spin-Off-Streifen: Hit-Girl forever!

Kick-Ass 2

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Kick-Ass 2

Bücher und Botschaften

Ein paar Worte muss ich schon auch noch zu weiteren Filmen über manische junge Frauen verlieren, obwohl meine Kolleginnen Gerlinde Lang und Pia Reiser ausführlicheres zu sagen haben, erstere demnächst on air, zweitere bereits an dieser Stelle.

Gespannt erwartet die deutschsprachige Filmbranche die Reaktionen auf den Tabubruch-Blockbuster „Feuchtgebiete“. Die Lektüre der nicht gänzlich unbekannten Buchvorlage habe ich seinerzeit mittendrin abgebrochen, ähnlich erging es mir übrigens vor Ewigkeiten mit „American Psycho“. Was die speziellen Werke von Charlotte Roche und Bret Easton Ellis für mich verbindet, ist der Begriff Agenda-Literatur. Da werden in beiden Fällen und auf sehr unterschiedliche Weise radikale Geschichten entworfen, weniger um des Erzählens willen, sondern um eine Message einzuhämmern.

Frau Roche tritt mehr als berechtigt gegen die Hygienediktatur an, die vor allem Frauen mittels Kosmetik- und Körperpflegeprodukten unterjocht. Herr Easton Ellis wendet sich ebenso nachvollziehbar gegen die Yuppiebewegung der Achtzigerjahre, deren gefühllosen Protagonisten wir zum Teil die heutige Finanzkrise verdanken.

Beide Autoren wählen für ihre militante Botschaft das Gefäß eines transgressiven Romans, in dem bewusst monoton Grenzen überschritten werden: Sexuelle und Sauberkeits-Konventionen bei Roche, Gewaltschranken bei Easton Ellis. Gerade weil ich die Agenda der Schreiber ja eh verstehe, nervte und ermüdete mich das Lesen in beiden Fällen ungemein.

Feuchtgebiete

Majestic Filmverleih

Feuchtgebiete

Delikater Inhalt, poppige Verpackung

Nun lässt sich – wie übrigens Bret Easton Ellis unlängst persönlich twitterte – gerade aus einem öden Schmöker eher ein guter Film destillieren als aus einem literarischen Meisterwerk. Siehe die herrlich spöttelnde und unblutigere Filmversion von „American Psycho“ mit dem famosen Christian Bale. Also nichts wie hinein in die morgendliche Pressevorführung von „Feuchtgebiete“, auch noch vor dem ersten Kaffee, da muss man durch.

Gleich der Anfang, in dem knallige Titellogos, Cartoonanimationen von Bakterien und fette Beats die Protagonistin Helen beim lustvollen Gang auf die öffentliche Toilette begleiten, macht klar, welches Vorbild der Regisseur David Wnendt („Die Kriegerin“) hier anpeilt. Das deutsche „Trainspotting“ möchte dieser Film werden, mit allen formalen und inhaltlichen Mitteln. Prompt betritt „Feuchtgebiete“ auch ähnliche Fettnäpfchen und Sackgassen wie damals Danny Boyle mit seinem für mich überschätztesten Streifen.

Während das britische Junkiedrama seine ruinöse Thematik mit Ewan-McGregor-Charme, flotten Schnitten und geilem Soundtrack kaschierte, verpackt die Intimzonen-Tragikomödie ihren delikaten Inhalt ebenso popaffin. Hauptdarstellerin Carla Juri, der möglicherweise eine größere Karriere bevorsteht, wirkt wie eines dieser Models von Hipster-Fotograf Terry Richardson: Bildhübsch, aber zerwuselt und mit vorsichtigen Subkultur-Spuren dekoriert. Dazu passend werden sämtliche herumspritzenden Körperflüssigkeiten, von Menstruationsblut über Eiter bis Sperma, in ein poppiges Patchwork aus - genau - flotten Schnitten und geilem Soundtrack eingebettet.

Die Drei-Tage-Wach-Exkursion der befreiten Helen und ihrer Freundin in Berlin sieht dann schon mal wie das legendäre „Smack My Bitch Up“ Video von The Prodigy aus, etwas angestaubter Electroclash evoziert die Thesen der Überschreitungs-Queen Peaches, am Ende stehen Deutschpop, Tränen und ein Showdown, der das wüste Sexualverhalten von Helen Memel als Ergebnis eines kapitalen Kindheitstraumas denunziert. Ein Kinotrip wie ein verfilmtes "Vice"-Magazin. Auf das Frühstück danach hatte ich trotzdem wenig Lust.

Feuchtgebiete

Majestic Filmverleih

Feuchtgebiete

Lost in Los Angeles

Überhaupt nicht auf Provokation legt es wieder einmal Sofia Coppola an. Die Meisterregisseurin, die mit „Lost in Translation“ und „Somewhere“ zumindest zwei Werke für die Ewigkeit geschaffen hat, erzählt in „The Bling Ring“ eine wahre Geschichte, die eigentlich nach einer plakativen Umsetzung Marke „Spring Breakers“ schreien würde. Dreht sich der Film doch um eine manische Mittelklasse-Mädchen-Gang, die in die Luxusvillen von Stars einbricht, um Klamotten und Schmuck zu rauben.

Einen ultimativen Kommentar zur pathologischen Celebrity-Verehrung und zu sozialen Netzwerks-Neurosen will Coppola allerdings nicht liefern, humorvolle Seitenhiebe in diese Richtungen aber durchaus. Dass „The Bling Ring“ nicht an die Großtaten der Filmemacherin anschließt, liegt aber weniger am sanften Ton als am Personal.

Mit den shoppingsüchtigen und hirntoten Girls kann sich Sofia Coppola offensichtlich viel weniger identifizieren als mit ihren melancholischen Figuren in anderen Filmen. Uns als Zusehern ergeht es ebenso. Einige hypnotische Szenen, in denen die Verlorenheit in der Stadt der Engel zum Ausdruck kommt, sind aber alleine den Kinobesuch wert. Auch ein mittelmäßiger Film von Sofia Coppola ist immer noch ein Ereignis.

The Bling Ring

Tobis

The Bling Ring