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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

14. 8. 2013 - 11:15

Macao

Von einem Schiffskoch, der schon die ganze Welt gesehen hat. Oder zumindest davon erzählen kann.

Macao ist ein alter Seewolf. Ich lernte Маcао bei meiner Arbeit bei einer Maturareise in Kroatien kennen. Macao war der Schiffskoch. Niemand wusste, wie er in Wirklichkeit heißt. Es gibt solche Leute, deren Spitzname wie ein Handschuh für sie geschaffen ist. Sie sind schon so gewöhnt an ihre Spitznamen, dass sie gar nicht mehr reagieren, wenn man sie mit ihrem echten Namen ruft. So war es auch mit Macao. Sein Spitzname entstand, als er vor mehr als zwei Jahren auf einem Tanker gearbeitet hat. Als die Nachbarn seine Frau fragten, wo ihr Mann sei, antwortete sie immer, "in Macao". Das hörte sich für sie an wie "das Ende der Welt" und nur so konnte sie erklären, wo sich genau ihr Ehemann befindet. Eines Tages kam er zurück und stellte mit Verwunderung fest, dass ihn alle nur Macao nannten. "Macao ist schon okay", sagte er zu sich. "Nicht, dass ich nicht schon mal in Macao war", erzählte mir der Koch, "dort war ich zum ersten Mal in einem türkischen Bad!" "Ein türkisches Bad in Macao? Wie kann das wahr sein?", fragte ich. "Na einfach so", erzählte er weiter, "und die Chinesinnen sind mit dir zusammen im Bad!" Er zwinkerte mir zu.

Tanker

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Es folgten unzählige Geschichten aus seiner Baron-Münchhausen-Welt. Dort gibt es wirklich alles – einsame Inseln, tote Seemänner, die ins Meer geworfen wurden, riesige Meeresstürme, Meeresungeheuer und Piraten. Ja, ja, Piraten, jene somalischen Piraten, die immer noch Schiffe kapern. Er war in jedem Hafen dieser Welt und hat überall ein Liebesabenteuer erlebt. Als er erfuhr, dass ich aus Bulgarien bin, fingen seine Augen zu leuchten an. "Ooooh, Bulgarien, Schwarzes Meer! Sehr guten Champagner habt ihr in Bulgarien! Und Frauen mögen Champagner! Ich habe dort in Bulgarien so viel..." Die Sprache der Seeleute ist nicht als die schmeichelhafteste bekannt. Natürlich basierte die Hälfte von Macaos Geschichten auf Handlungen, die ich auch schon in Abenteuerromanen gelesen habe. Eigentlich ist Macao ein ewiges Kind.

Am letzten Abend, bevor ich nach Hause fahren sollte, fragte ich ihn, ob er schon immer ein Schiffskoch gewesen sei. Tränen erfüllten seine Augen. Es schien, als ob er mir diese Geschichte nicht erzählen wollte. Da er mir aber schon so viele Geschichten erzählt hatte, erzählte er schließlich auch diese. Eigentlich war er Schiffsnavigator, sogar zweiter Kapitän. Aber er hatte Pech: Eines Abends geriet sein Schiff in einen starken Sturm, die Kette des Ankers riss und das Schiff wurde in Richtung Felsenküste getrieben. Mit letzter Kraft schaffte es Macao, das Schiff auf eine Sandbank zu lenken. Jetzt weinte Macao mit voller Kraft. Damals verlor er seine Kapitänslizenz. Niemand wollte ihn mehr am Bord haben, man glaubte, er bringe Pech. Aber wie hätte er sonst nach Hause kommen sollen? So wurde Macao Schiffskoch. Vor zwanzig Jahren.

Ich wusste, dass er mich anlog. Warum weinte Macao? Wegen seiner verlorenen Jugend? Wegen den ganzen schönen Abenteuern, die ihm nie passiert sind? In seiner Erzählung lebte er das Leben, das in Wirklichkeit an ihm vorbeigegangen ist. Ich wollte ihn trösten, aber ich wusste nicht wie. "Ich wollte auch Seemann werden", sagte ich, "als ich mir als kleines Kind das Meer in Varna anschaute…"

Macao winkte mit der Hand. Irgendjemand hat ihn in die Küche gerufen.