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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

13. 8. 2013 - 15:50

Menschliches Vermessen

Die Entschlüsselung des eigenen Genoms kann viel Erkenntnis bringen. Doch falsche Testergebnisse können einen auch ziemlich aus der Bahn werfen. Eine Abwägung.

Es war eine verblüffende Story, die kürzlich in den Medien zu hören und lesen war: Die Krebs-Früherkennung, hieß es da, schieße in einigen Bereichen übers Ziel hinaus. Bei manchen betroffenen Patienten führe die Diagnose zu bleibender Verunsicherung obwohl der jeweilige Krebs möglicherweise lebenslang gar nicht tödlich sein würde. "Overdiagnosis and Overtreatment" heißt es im Titel des Papers, das den Anlass für diese Geschichte lieferte. Es ist in gewisser Weise ein Tabubruch in Zeiten, wo einen die Gesellschaft gerne als unverantwortlich ziemt, wenn man ab 30 nicht regelmäßig Gesundheitschecks macht und stets den Impfpass bereit hält.

So, wie seit einigen Jahren schon die Welt vermessen wird, gehen wir nun immer mehr auch dazu über, uns selbst zu vermessen und in allen Belangen durchzuchecken. In einigen Bereichen - Stichwort Brust- und Hodenkrebs - ist das natürlich wichtig und mit entsprechend sicheren Testmethoden verbunden. In vielen anderen Fällen wird zwar viel gemessen, aber nur wenig bestätigt. Die Methoden von diversen Gesundheitstests - so diese dem Patienten überhaupt mitgeteilt werden - führen nicht immer zu klaren Ergebnissen. Und im noch jungen Feld der persönlichen DNA-Analyse fallen die Diagnosen mitunter noch abenteuerlicher aus. Hier wird hauptsächlich mit Annäherungen und Wahrscheinlichkeiten hantiert.

Genetische Besonderheiten

Im Jahr 2006 wurde die Biotechnologie-Firma 23andMe gegründet, unter anderem von Anne Wojcicki, der Frau des Google-Gründers Sergei Brin. Dementsprechend großzügig ist das von Google zur Verfügung gestellte Startkapital ausgefallen, das vor allem in das eigens entwickelte Testverfahren von 23andMe geflossen ist. Wie das genau funktioniert, bleibt für Außenstehende jedoch weitgehend im Dunklen. Grundsätzlich läuft es folgendermaßen ab: Die DNA einer Person wird mittels Speichel auf einen speziellen Chip aufgetragen ("OmniExpress Plus Genotyping BeadChip" der Firma Illumina). Auf diesem Chip sind alle bisher verfügbaren Infos über menschliche genetische Abweichungen und Besonderheiten, und was man bisher darüber weiß, gespeichert. Wenn besondere Basensequenzen der zu testenden DNA eine Übereinstimmung mit bereits vorhandenen Sequenzen haben, dann schlägt das Gerät bzw. der Algorithmus an und spuckt dazugehörige Infos aus.

Pipetten und Prüfröhrchen

flickr.com, User Goldmund100 (CC BY-SA 2.0)

Die menschliche DNA ist bei allen Menschen zu 99,9 Prozent gleich. Der geringe Prozentsatz, der uns voneinander unterscheidet und uns einzigartig macht, sind die 0,1 Prozent der Abweichungen. Der biologische Fachterminus dafür lautet Single Nucleotide Polymorphism oder kurz SNP. Diese SNPs sind größtenteils dafür verantwortlich, ob wir rote oder schwarze Haare haben, wie groß wir sind und unzählige andere Dinge. Nur ein Bruchteil davon kann von Firmen wie 23andMe bereits analysiert und bestimmt werden. Der Berliner Programmierer, Startup-Gründer und 23andMe-Kunde Lukas Hartmann hat zu seiner DNA bisher immer harmlose Ergebnisse bekommen. Doch eines Tages wurde ihm Gliedergürteldystrophie, eine fatale Form des Muskelschwundes attestiert.

Der Mann, der seine vermeintliche Krankheit fehlerbereinigt

Nach dem ersten Schock war Lukas aufgestachelt. "Wenn ein Nerd in eine lebensbedrohliche Situation gerät, liest er erstmal das Internet leer, bis er die Situation restlos verstanden hat." schreibt er später in einem Artikel auf CTRL-Verlust, einem Blog des deutschen Autors und Journalisten Michael Seemann, wo der Fall komplett aufgerollt wird. Lukas liest sich alle wichtigen Fachbegriffe in der Wikipedia zusammen, schaut YouTube-Videos, zieht Schlüsse, analysiert sein Testergebnis nochmal detailliert und kommt schließlich drauf: Irgendwas kann hier nicht stimmen. Er schickt seine Analyse an 23andMe und bekommt eine Weile keine Antwort. Dann heißt es recht knapp: Entschuldigung, da ist uns ein Fehler unterlaufen. Sie bekommen demnächst ihre korrigierten Ergebnisse zugeschickt. Ist man nach so einer Reaktion nicht ziemlich verärgert, wenn man vorher so ein Gefühlsauf und -ab hinter sich hatte?

Lukas Hartmann ist Programmierer und Bugfixer, seine aktuelle Firma heißt "Spacedeck" und ist eine visuelle Kollaborationsplattform im Netz.

Lukas Hartmann

Lukas Hartmann

Lukas hätte Verständnis für die zuständigen Softwareentwickler, sagt er im Interview mit FM4, doch sei es schon enttäuschend, dass hier keine bessere Qualitätssicherung am Werk ist, die solche fehlerhaften Ergebnisse verhindert. Die Firma 23andMe selbst wirbt auf ihrer Site freilich nicht mit dem Damoklesschwert, das in Form einer möglicherweise diagnostizierten hohen Wahrscheinlichkeit einer tödlichen Krankheit drohen könnte. In den entsprechenden Werbevideos, in denen man sauber herausgeputzte junge Menschen und glückliche, spielende Kinder sieht, geht es stattdessen um die Diagnose harmloser medizinischer Besonderheiten wie diverse körperliche Unverträglichkeiten, als auch die Möglichkeit, mehr über seine ethnische Geschichte sowie Verwandte und Vorfahren herauszufinden. Unternehmensmitgründerin Anne Woycicki spricht in diversen Vorträgen zusätzlich dazu gerne über die Selbstermächtigung, die 23andMe ihren Kunden geben würde.

Genom-Analyse als Ware

Gesundheitsrisiken, Erbkrankheiten, Medikamentenunverträglichkeiten, Ahnenforschung - die Ergebnisse eines ausführlichen DNA-Tests können durchaus reichhaltig ausfallen. Über gesundheitliche Besonderheiten rechtzeitig Bescheid zu wissen, kann in der Kommunikation mit Ärzten tatsächlich hilfreich sein und die eigene Gesundheitsvorsorge effektiver gestalten. Darüber hinaus ist der Preis für die Analyse von vormals circa 1000 in jüngster Zeit auf unter 100 Euro gesunken.

Bereits 2010 haben falsche Ergebnisse von 23andMe Schlagzeilen gemacht.

Nur: Sollte man seine eigenen DNA-Daten, also quasi den eigenen Bauplan, wirklich ebenso kaufen können wie ein neues Paar Schuhe? In den Warenkorb legen? Wer nimmt einen Angst und Sorge im Falle besorgniserregender Testresultate, wenn hier nur Speichel und Ergebnisbögen via Post hin und her geschickt werden? Und nicht zuletzt: Will man diese Daten, die auch etwa für Versicherungsunternehmen von großem Wert sein könnten, wirklich einfach mal so einer US-amerikanischen Firma zur Verfügung stellen?

Open SNP

Die Reaktion aus Hacker- und Open Data-Kreisen ist bereits erfolgt: Das Projekt openSNP hat zum Ziel, DNA-Daten öffentlich verfügbar zu machen und sie damit frei zur transparenten Analyse zur Verfügung zu stellen. Die Crux an der Sache: Die ursprünglichen Testergebnisse dafür müssen weiterhin von privaten Firmen à la 23andMe geliefert werden. Das Equipment und das Know-How sind in diesem Bereich anscheinend noch zu komplex als dass offene Lösungen zur selbstständigen DNA-Analyse zur Verfügung stehen könnten. Dennoch ist openSNP ein vielversprechender erster Ansatz.



Die Geschichte von Lukas Hartmann, der sich sein falsches Ergebnis selbst fehlerbereinigt hat, zeigt, dass im Bereich IT und Gesundheit sowohl methodisch als auch kommunikativ noch einiges im Argen liegt. Das Happy End dieser Geschichte ist ein Einzelfall, denn wie viele Leute sind schon so schlau und hartnäckig, so einem Fehler tatsächlich auf die Spur zu kommen? Wäre Lukas nicht er selbst, sondern jemand anderer, würde er womöglich heute noch unter dem ursprünglichen - falschen - Ergebnis leiden und verzweifelt von einem Arzt zum nächsten laufen, in der Hoffnung, Gewissheit zu erlangen. Doch von Gewissheit und klaren Ergebnissen ist die DNA-Analyse - trotz ihrer faszinierenden Möglichkeiten - zum jetzigen Zeitpunkt noch weit entfernt.