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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

11. 8. 2013 - 16:48

Liebe, kalt/warm

Der Song zum Sonntag: Lescop - "Ljubljana"

Wir wollen nicht allzu sehr verallgemeinern. Dass französische Musiker aber doch ein Händchen dafür zu haben scheinen, Tendenzen und Signale der Popmusik genau und im besten Sinne schamlos abzugreifen und aus den erbeuteten Reizen und Versatzstücken üppigere, prunkvollere und oft schlicht auch bessere Songs zu bauen, als es die Originale gewesen wären, ist schwer zu leugnen. Oft geht es hier aber auch wirklich bloß um die Oberfläche und den Speichelfluss.

Man muss da nicht unbedingt gleich zur letzten Platte von Daft Punk greifen, deren Hauptzweck es ist, B-Seiten von Chic, weichgezeichneten Daddel-Rock der späten 70er und frühen 80er und Disco - vor allem aber auch das, was man sich unter "Disco" eben so vorstellt - nachzustellen. Daft Punk waren immer schon eine Gruppe, die ausdrücklich ihren "Teachers" huldigt - so nannte sich dann gleich ein Song auf ihrem nach wie vor epochemachenden Debütalbum "Homework" aus dem Jahr, man glaubt es kaum, 1997. Die Kollegen von Phoenix haben aus dem Glam des Electric Light Orchestra, der Geschmeidigkeit von Steely Dan und dem forschen Powerpop von Cheap Trick eine kaum einzunehmende Hitfabrik errichtet.

Die Musik von Air ist ohnehin ein mit Designobjekten, Fundstücken vom Flohmarkt, Souvenirs und Zitaten des guten Geschmacks eingerichtetes Luxusappartement. All das ist große Kunst. Zum einen wird hier überdeutlich die Konstruiertheit von Popmusik sichtbar gemacht, andererseits fehlt dann mitunter doch immer wieder mal der Bruch, das Schiefe, das mulmige Gefühl unter der Oberfläche.

Lescop

Lescop

Lescop

Der ursprünglich aus der französischen Kleinstadt Châteauroux stammende Musiker und Sänger Lescop bezieht sich nun ebenfalls ohne Verschleierungsversuche konzentriert auf allerhöchstens zwei bis drei musikalische Ästhetiken. Sein selbstbetiteltes, sehr gutes Debütalbum ist 2012 von großem Medienecho begleitet in Frankreich beim Label Pop Noire erschienen, jetzt erreicht es mit einem internationalen Rerelease - hoffentlich - den Rest der Welt. Pop Noire - ein Label, dessen Namen schon so einiges verrät, ebenso wie die Tatsache, dass Camille Berthomier, Sängerin der englischen Neo-Postpunk-Band Savages, Mitbetreiberin ist.

Lescop widmet sich also dem Dunklen. Auch hier: Postpunk, wie er um die Jahrzehntwende zwischen 70ern und 80ern aus einem kaputten Großbritannien schepperte, gerne auch elektronisch betrieben. Trübsalblasender Darkwave und Coldwave. Joy Divison, Factory Records, The Cure. Das alles ist nicht neu. Auch nicht in seiner siebten Neuaufarbeitung. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass Coldwave vor allem aber auch eine nicht zuletzt in Frankreich populäre, wenn nicht gar "französische" Musik gewesen ist, in der immer wieder auch der alte Klischeballast von wegen "Charme" und süßlicher Melancholie mitgeschwommen ist.

Lescop gelingt so auf seinem Debütalbum eine seltsame Verquickung von kalter, kalter Musik, Maschinengeräuschen und einem Grundrauschen der Verzweiflung mit einem leisen Glimmen von Zukunftsfreude und gar Romantik. Am schönsten nachzuhören ist das im Stück "Ljubljana", einem gleichsam eisigen und furchteinflößenden wie verschmust-beschwingten Postpunk-Chanson.

Lescop singt hier von wenig mehr als davon, wie zwei Liebende durch die Nacht streunen. Der Song verstrahlt das Gefühl von größter Zuneigung zwischen zwei Menschen, kündet aber auch leise von einer Vorahnung, dass wohl irgendwo im Ungewissen eine Bedrohung lauern dürfte. Über die schöne Stadt Ljubljana ist zudem bislang ohnehin viel zu selten gesungen worden.