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Christian Holzmann

Snap your fingers, snap your neck.

12. 8. 2013 - 11:45

Eine Band mit Rückgrat

Ohne System Of A Down würde Metal heute wohl anders ausschauen. Unser Artist der Woche.

Patrick Wally

FM4 Artist of the Week

Alle auf einen Blick unter fm4.orf.at/artistoftheweek

Wie wird man eigentlich bei FM4 Artist of the Week? Eine sehr gute Frage und es gibt viele Möglichkeiten. Eine davon ist die, dass Sie eine Band gründen, in Hollywood im berühmt berüchtigten Viper Room auftreten und dabei so lässig musizieren, dass der dort zufällig anwesende Rick Rubin Ihnen vor lauter Begeisterung gleich einen Plattenvertrag unter die Nase hält. Wenn es dessen Terminkalender erlaubt, weil Johnny Cash, Slayer und die Beastie Boys gerade auf der faulen Haut liegen, nimmt der Herr Rubin dann mit Ihnen fünf Alben auf. Die sollten sich allesamt freilich so was von gewaschen haben, dass es keine Rolle spielt, wenn das letzte davon schon acht Jahre alt ist.

Cover des Debütalbums von System Of A Down.

American Recordings

Das Plattencover des SOAD-Debütalbums basiert auf einem von John Heartfield 1928 angefertigten Bild für die Kommunistische Partei Deutschlands.

Bei System Of A Down soll es sich jedenfalls 1997 so zugetragen haben. Rick Rubin muss von der Band bei deren Auftritt tatsächlich extrem beeindruckt gewesen sein. Kein Wunder, denn diese Mischung aus jeglicher Metal-Spielart mit Punk/Hardcore und armenischer Folklore war so vorher noch nicht da gewesen. Serj Tankian (Gesang, Keyb.), Daron Malakian (Gitarre, Gesang), Shavo Odadjian (Bass) und John Dolmayan (Schlagzeug) lieferten ein Jahr später dann eines der besten Debütalben seit Rage Against The Machine. Nicht, weil diese beiden Bands sich musikalisch ähneln (wütend sein mit verzerrten Gitarren gilt nicht), sondern weil sie da eine Art Metal fabrizierten, der frei von irgendwelchen Macho-Attitüden und, ähem, Längenvergleichen nach dem Motto "Wer ist härter?" war.

SoaD Live

Kommenden Freitag sind System Of A Down als Headliner auf dem FM4 Frequency Festival zu sehen.

Bei einer Band, die man ohne rot zu werden, sowohl dem Metal und auch irgendwie Hardcore-Punk zuordnen kann, waren Songs im 3/4-Takt inkl. Tuba (Peephole) und orientalische Elemente eine willkommene Frischzellenkur. "Nu Metal" nannten das einige und 1998 war das nicht einmal falsch. Zum Vermarktungsschmäh wurde dieser Begriff erst später und bescherte in der Folge einige Reißbrett-Bands, nach denen heute kein Hahn mehr kräht.

Bandfoto aus dem Booklet des Debütalbums von System Of A Down.

American Recordings

Inhaltlich nahmen sich System Of A Down sowieso kein Blatt vor den Mund und kritisierten unverhohlen sowohl die US-Regierung sowie die Massenmedien. Mit dem Song P.L.U.C.K. (Politically Lying, Unholy, Cowardly Killers) gedachten sie der Opfer des Völkermords an den Armeniern während des ersten Weltkriegs, dem auch Verwandte einzelner Bandmitglieder zum Opfer fielen. Schon vor der Bandgründung schrieb Daron Malakian ein Gedicht darüber und nannte es "Victims Of A Down", woraus später der Bandname System Of A Down werden sollte. Bis heute setzen sich die Bandmitglieder vehement dafür ein, dass dieser weltweit von Historikern als Tatsache anerkannte Völkermord auch in die offizielle türkische Geschichtsschreibung aufgenommen wird.

Man bleibt giftig

Cover des System Of A Down Albums Toxicity.

American Recordings

Das zweite Album "Toxicity" brachte 2001 auch kommerziell den großen Durchbruch für System Of A Down. Sie bekamen den Kunstgriff hin, einerseits Melodien mehr Platz einzuräumen, andererseits aber auch nichts von ihrer Glaubwürdigkeit zu verlieren oder sich gar dem Mainstream anzubiedern. Obwohl sie mit diesem Album genau dort angekommen waren, was man mit einer 3-fachen Platin-Auszeichnung für "Toxicity" in den USA wohl schwer anders sehen kann.

Ausreichend Wut hatten sie immer noch und hielten weiter ihre Finger auf die Wunden des Systems. Da wurden die Verstrickungen der US Außenpolitik mit dem Drogenhandel (Prison Song) ebenso thematisiert wie der Lifestyle in Los Angeles (Toxicity) und Drogenmissbrauch (Needles). Auch die Wissenschaft bekam ob ihres Versagens ein paar Ohrfeigen verpasst (Science). System Of A Down kannten nach wie vor keine Tabus und klagten an, ohne wie Oberlehrer-haft zu wirken.

Bite the hand that feeds you

Cover des System Of A Down Albums Steal This Album.

American Recordings

Zu Unrecht wird das 2002 erschienene "Steal This Album!" von manchen als B-Seiten Sammlung gesehen. Es könnte durchaus als Ausrede der Band durchgehen, dass sie einfach zu viele Songs für Toxicity aufgenommen hatten und sie das Projekt mit "Steal This Album" abschließen wollten. Songperlen wie das anklagende "Bomb!" oder "I-E-A-I-A-I-O" geben der Band aber recht. Das musste einfach veröffentlicht werden und "Steal This Album"" ist ein durchaus vollwertiges Album mit großen Songs.

Weniger Freude hatte die Plattenfirma mit dem Artwork in Form einer selbst gebrannten CD-Kopie. Der Titel mit der Aufforderung, dieses Album doch bitteschön zu klauen, machte das angesichts der ersten großen Panik rund um Napster & Co. auch nicht besser. "Don't bite the hand that feeds you" war offensichtlich nicht das Motto der Band.

Mezmerize/Hypnotize

Drei Jahre vergingen, bis man wieder von System Of A Down hören sollte, doch dann kamen sie 2005 gleich im Doppelpack daher. Wieder hatten sie so dermaßen viele Songs aufgenommen, dass sie sich nicht auf eine Platte besschränken wollen und kündigten ein Doppelalbum an, dessen beide Hälften im Abstand von einem halben Jahr erscheinen sollten.

Cover des System Of A Down Albums Mezmerize.

American Recordings

Ein Schelm, der an "Use Your Illusion I + II" von Guns 'N Roses denkt, allerdings funktionierte das bei "Mezmerize" und "Hypnotize" mindestens genau so gut wie bei den "Gunners". Serj Tankian begründete das halbe Jahr zwischen beiden Alben damit, dass man nicht mit zu viel auf einmal daherkommen wollte. Die Hörer sollten Zeit haben, sich mit den Inhalten des ersten Teils auseinanderzusetzen. Sicher könnte man hier der Band Marketingstrategien unterstellen, wie es auch schon bei "Steal This Album" passiert ist, jedoch spricht auch hier die hohe Qualität von "Mezmerize" und "Hypnotize" für sich. Wahrscheinlich hätten sowieso die meisten beide Alben auch im Doppelpack gekauft.

Auf diesem Doppelopus hielten vermehrt elektronische Elemente Einzug in den Bandsound und es gehört schon einiges an Mut dazu, einen Ausnahmesänger wie Serj Tankian gesanglich etwas in den Hintergrund zu stellen. Bei einigen Songs, wie etwa "Lonely Day", übernahm Gitarrist Daron Malakian die Hauptstimme. Neben all der Wüterei war auch mehr Platz für sehr ruhige Songs wie "Lost In Hollywood" - Balladen will ich das nicht nennen, denn es wäre eine Beleidigung.

Daron Malakian von System Of A Down auf dem Nova Rock 2011.

Patrick Wally / FM4

Daron Malakian (Nova Rock 2011)

Die Klangfarbe von Sytem Of A Down veränderte sich durch all diese Elemente, aber sie verloren dadurch nichts von ihrer Identität. Sie bereicherten ihren Sound um einige Facetten und blieben mit angriffigen Songs wie "B.Y.O.B." (Bring Your Own Bomb), "Cigaro" oder "Violent Pornography" ihrer kritischen Linie treu. Mit so abgedrehten Songs wie "This Cocaine Makes Me Feel Like I'm On This Song" kam aber auch der abstruse SOAD-Humor nach wie vor nicht zu kurz.

We're not making Pizza

Nach der Tour zu Mezmerize/Hypnotize wurde es still um System Of A Down. Die Band hatte sich zwar nicht aufgelöst, jedoch eine Pause auf unbestimmte Zeit beschlossen, in der die Bandmitglieder ihre eigenen Projekte verfolgen wollten. Daron Malakian und John Dolmayan gründeten die Band "Scars On Broadway" und veröffentlichten ein sehr hörenswertes Album, Shavo Odadjian beschäftigte sich mit Filmsoundtracks.

Serj Tankian von System Of A Down auf dem Nova Rock 2011.

Patrick Wally / FM4

Serj Tankian (Nova Rock 2011)

Der umtriebigste von allen ist aber Serj Tankian. Seit 2006 hat er immerhin drei Soloalben (vier, zählt man "Elect The Dead Symphony" dazu) veröffentlicht, letztes Jahr die Sinfonie "ORCA" und und vor einigen Wochen erschien ein Jazz-Album unter dem Titel "Jazz-iz Christ". Schon 2002 gründete er zusammen mit Tom Morello von Rage Against The Machine die gemeinnützige politische Organisation Axis of Justice, womit er bestimmt auch genug um die Ohren hat.

Seit System Of A Down ihre Auszeit ab 2011 zumindest auf der Konzertbühne beendet haben, liegt die Frage nach einem neuen Album natürlich auf der Hand. In letzter Zeit finden sich vermehrt Gerüchte und Serj Tankian verneint nicht, dass es prinzipiell Gespräche gibt. Andererseits hielt er sich zuletzt in einem Interview auf artistdirect.com humorvoll bedeckt und meinte: "You can’t take orders. We’re not making pizza."

Auch wenn das nicht die erhofft guten Nachrichten sind, Ausverkauf kann man System Of A Down nicht unterstellen, selbst wenn ihnen das einige vielleicht ob ihrer aktuellen Live-Auftritte nachsagen werden. Nach wie vor sind sie eine Ausnahmeband, ohne die Metal heute wohl anders aussehen würde. Sie haben das Genre um wichtige Facetten bereichert und gezeigt, dass man auch musikalisch über den Tellerrand hinausschauen kann und sich nicht an vorgegebene sinnlose Codes einer Szene halten muss.

System Of A Down sind eine Band mit Rückgrat und sie sind unser FM4 Artist of the Week.