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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

8. 8. 2013 - 12:52

Touch & Play: Die Schwitz-Edition

Gierige und kleptomanische Zwerge, unkontrollierte Smileys, prügelnde French Touch-Produzenten und isometrische Flüge.

Wenn der Schweiß von der Stirn aufs Tablet tropft oder du vor lauter Schlieren am Bildschirm das Spiel nicht mehr vernünftig siehst, weißt du, dass du mal wieder duschen musst. Immerhin hat mobiles Gaming den großen Vorteil, dass wir unsere Geräte einfach dorthin mitnehmen können, wo es ein bisschen kühler ist. Bei Konsolen und dem Spiele-PC daheim muss man ja aufpassen, dass sie bei 35 Grad nicht im Eifer des Gefechts verschmoren.

Aber die hitzebedingte Pause bei den schweren Geräten trifft sich auch gut mit der Veröffentlichungspolitik: Während nämlich in der "alten Welt" der Computerspiele jahrelang an einem Titel langwierig herumgewerkt und mühsam gecrowdfunded wird und der Sommer sowieso eine ewige Durststrecke in Bezug auf interessante Neuerscheinungen ist, sprudelt es in den App-Stores dieser Welt nur so frische Spiele hervor. Hier eine kleine Auswahl an jüngeren Titeln vom Juli, bevor FM4 Touch & Play im August in eine weitere Sommeroffensive geht.

Greedy Dwarf (iOS)

Games, die sich dem Thema Schatzsuchen nicht nur auf spannende Weise ("Indiana Jones", "Tomb Raider") nähern, sondern auch auf amüsante Art, sind ungewöhnlich. Okay, es gibt "Spelunky", das seit kurzem übrigens auch auf Steam verfügbar ist. Auf tragbaren Geräten gibt es jetzt hingegen den "Greedy Dwarf". Wir steigen dabei als kleiner, kerniger Abenteurer auf eine Grubenlore und versuchen am Weg nach Draußen möglichst viel Gold zu sammeln. Der Gierzwerg muss deshalb so schnell aus der Höhle raus, weil er den schlecht gelaunten Drachen übersehen hat. Irgendjemandem muss das viele Gold unter der Erde ja gehören. Nach einem beherzten Sprung auf die Lore saust unser Zwerg drauf los und wir übernehmen das Steuer: links, rechts und Sprung.

Neben Goldbrocken liegen auch Feuerwerkskörper am Boden verstreut, die geben uns einen kurzen Geschwindigkeitsboost. Schwierig wird es, wenn die Höhle zu einer durchgängigen Röhre wird. Je weiter fortgeschritten das Level, desto mehr Lava und desto weniger Untergrund gibt es. Manchmal hängen wir auch von der Decke runter, was insofern eine Herausfordungen ist, weil dann links und rechts vertauscht ist. Unser Hirn will sich dieser Drehung am Anfang gar nicht hingeben. "Greedy Dwarf" ist von Grafik und Sound her stimmig und amüsant, spielerisch ist es wegen der vielen Drehungen schon nach einer Weile ziemlich herausfordernd - aber nie unfair.

Adventure of Chip (iOS)

Früher waren Text-Computerspiele meistens kontemplative Games wie Abenteuer- oder Rollenspiele. Aber ein aktueller Titel für unterwegs beweist, dass Textgrafik auch für viel Schweiß und Tränen sorgen kann. In "Adventure of Chip" kontrollieren wir einen kleinen Smiley, der in einer abstrakten Welt voller dünner Linien, bouncender Boxen und jeder Menge tödlicher Dunkelheit bestehen muss. Es ist eines der besten Spiele im Retrostil, das ich seit längerer Zeit gespielt habe.

Wenn man etwas Neues lernt, gibt es immer drei Phasen: Zuerst ist man vorsichtig und die ersten Schritte sind zaghaft. Nachdem man die Grundlagen beherrscht, wird man übermütig, schießt übers Ziel hinaus - und fällt auf die Nase. Irgendwann man hat man genug Erfahrung gesammelt um das eigene Können und die Risiken richtig einzuschätzen. Bei "Adventure of Chip" ist dieser Ablauf genau so, bloß besser. Nur, wer genau weiß, was sie/er wie tut, kann es sich leisten, wie ein durchgedrehter Gummiball durch die Levels zu hüpfen. Diese bestehen aus schwarzem Hintergrund, farbigen Plattformen und diversen Gegenständen wie Kisten, die bei Berührung wild herumhüpfen, Trampolinen, tödlichen Lasern und zerbröselndem Untergrund. Ein falscher Sprung, einmal unglücklich abgerutscht und schon ist Game Over. Bei jedem Bildschirmtod lernt man jedoch die Umgebung und die ganz eigene Physik besser kennen.

Es ist eine furiose Fusion: einerseits simple, aber elegante Grafik im 80er-Jahre Terminal-Look mit dünnen Linien, wenigen Farben und karger Umgebung. Andererseits eine Spielfigur, mit der man wahlweise langsam und gezielt oder schnell und ungebremst durch die Levels hechten kann. Schon nach den ersten zehn Abschnitten wirds wirklich schwer, da kommen dann auch Gravitationsumkehrer oder fies platzierte Gegner ins Spiel. "Adventure of Chip" ist ein Geheimtipp für alle, die hohe Ansprüche an ihre Retro-Geschicklichkeitsspiele stellen. Übrigens habe ich den dahinter steckenden Designer/Entwickler Daniel Jarin auf VideoGameTourism interviewt.

Star Thief (iOS)

Hier verlässt man sich mal wieder voll und ganz auf die grundlegenden Tugenden von berührungssensitiven Oberflächen. "Star Thief" sieht auf den ersten Blick wie ein einfaches Kinderspiel aus: Gelbe Sterne, ein blauer Himmel, grüne Wiesen und sanfte Hügel im Hintergrund. "Star Thief" wirkt zunächst wie eine einsteigerfreundliche Kindervariante von "Super Mario Bros.", wo es keine Gegner, sondern nur eine freundliche Landschaft gibt. Die quer über die Welt verstreuten Sterne müssen wir einsammeln, indem wir darauf tippen oder mit dem Finger über sie wischen.

Es handelt sich also um ein todsimples Spielprinzip, das eigentlich schon nach zwei Minuten langweilen sollte. Jetzt ist es aber so, dass sich die Landschaft automatisch von links nach rechts bewegt. Da kann es schon mal passieren, dass wir im Eifer des Gefechts einen Stern verpassen. Und da gibt es auch noch die roten Mauern - wenn wir irrtümlich auf die tappen, können wir für ein paar Sekunden keine neuen Sterne sammeln. "Star Thief" wird innerhalb von wenigen Minuten vom sanften Tappspielchen zum furiosen Stresstest. Wer nicht hochkonzentriert und mit beiden Händen gleichzeitig arbeitet, wird die späteren Levels nie bestehen. Dort sind auch die Sterne gefangen oder versteckt, werden mal unsichtbar oder verschanzen sich in Mauern.

Kavinsky (Android, iOS, MacOS, Windows)

Videospiele lieben die 80er Jahre. Viele aktuelle Games beziehen sich etwa auf die heute so beliebte Pixelgrafik, die in den 80ern ihren Ursprung hat und auf den damals limitierten technischen Möglichkeiten beruht. Aber es gibt auch zeitgenössische Spiele, die komplett in den 80er Jahren spielen. "GTA: Vice City" zum Beispiel oder das erst vor kurzem erschienene "Far Cry 3: Blood Dragon". Neu hinzugekommen ist ein gleichnamiges Spiel zum Electro House- und French Touch-Produzent Kavinsky, der ja auch gerne und oft 80er-Referenzen über uns ausschüttet. Das Game ist in erster Linie eine aufwändige Promotion für Kavinskys erstes Album "OutRun", aber auch darüber hinaus - zumindest eine Weile - spielenswert.

FM4 Touch & Play

Besprechungen zu aktuellen Smartphone- und Tablet-Games gibt es immer wieder in der FM4 Morning Show (täglich von 6 bis 10 Uhr) und auf fm4.orf.at/games.

Comic-Grafik, dazu langsam stampfende Beats mit schmackhaften, Gitarren-artigen Leadmelodien. Wir cruisen mit unserem Testarossa durch die dunklen Straßen von L.A., steigen irgendwo mal aus und treten und schlagen auf diverse Fieslinge ein. Das passiert ähnlich wie in alten Prügelspielen à la "Double Dragon", nur kann man hier in alle Richtungen laufen, was die Koordination nicht einfach macht. Meistens haut man ins Leere und wird umgekehrt von den Bösewichten verprügelt.

Nächstes Level. Ich spiele am iPad und werde aufgefordert, die eingebaute Kamera auf eine bunte Oberfläche zu halten - am besten auf ein Magazin. Das dauert eine Weile, bis es klappt. Dann muss ich das Gerät in dieser Position halten und das Spiel zaubert seine Figuren ins Bild hinein. Augmented Reality also. Das Ganze ist kurios, funktioniert aber nicht so recht. Drittes Level. Jetzt sitze ich endlich wieder im Ferrari und darf diesmal auch selbst lenken. Ich durchfahre Polizeisperren und Checkpoints, irgendwann bin ich am Ziel und das Level ist geschafft. So wirklich gut ist "Kavinsky", das Spiel nicht, dafür kostet es nichts und hat zumindest einen Kuriositätsbonus.

Tiny Thief (Android, iOS)

"Tiny Thief" ist ein putziges Abenteuerspiel, wo man in einer mittelalterlichen Landschaft diverse Nahrungsmittel und Gegenstände, die bewacht werden, klauen muss. Erfolgreich ist natürlich nur, wer zu keiner Zeit entdeckt wird und seine Spuren verwischt.

Zuerst ist es ein harmloser Apfeldiebstahl. Doch als der Tiny Thief - der mit roter Kapuze und blonden Stirnfransen übrigens sowohl männlich als auch weiblich sein kann - auf den Geschmack kommt, wird das Diebesgut immer reichhaltiger. Gleichzeitig wird das verschlafene mittelalterliche Städtchen aufmerksam und stellt mehr Wachposten auf. "Tiny Thief" ist ein Adventure im Stile des Flash-Spiels "Samorost" von vor ein paar Jahren und es erinnert auch an den Klamauk-Knobelklassiker "Goblins" aus den frühen 90er Jahren. Dabei gibt es auf einem Bildschirm viele kleinteilige Dinge zu entdecken. Tappen wir auf einen Gegenstand, passiert entweder gleich etwas oder unser Thief geht dort hin und interagiert damit. In jedem Level müssen wir auch unseren treuen Kumpel, das Frettchen, finden, das sich immer irgendwo gut versteckt.

So putzig und trotzdem gänzlich unkitschig war die Grafik für ein Smartphone-Spiel schon lange nicht mehr. Jedes Level von "Tiny Thief" steckt voller kleiner Details und Überraschungen und nach einer Weile werden die Aufgaben auch recht knifflig und wir fliegen oft auf und müssen unser Glück neu versuchen. Übrigens, "Tiny Thief" ist das zweite von der Publisher-Firma Rovio Stars vertriebene Game. Es ist ein Schwesternunternehmen des finnischen "Angry Birds"-Riesen Rovio. Mit so einem Partner an Bord kann wohl nicht mehr viel schiefgehen.

Futuridium (iOS, MacOS, Windows)

Früher waren Videospiele ja wesentlich herausfordernder als heute, weil sie unnachgiebig waren. Einen einfachen Spielmodus gab es oft nicht und wenn man mal an einer Stelle hängen geblieben ist, hatte man eben Pech gehabt. Viele Entwickler, vor allem Indies, wollen diese harschen Tages des Leidens zurückbringen, wo man noch um jeden Erfolg im Spiel kämpfen musste. Ein aktueller Vertreter dieser Schule ist "Futuridium".

"Futuridium" sieht so aus, als ob es ein aufpoliertes Spiel wäre, das in Wahrheit schon mal vor dreißig Jahren erschienen ist. In den frühen 80ern gab es auch ein ähnliches, recht bekanntes Game namens "Zaxxon", wo man in isometrischer Perspektive, also von schräg oben, ein Raumschiff durch einen engen Korridor navigieren musste. "Futuridium" hat sich "Zaxxon" eindeutig als Vorbild genommen, denn auch hier fliegt unser Schiff automatisch durch eine farbenprächtige, retrofuturistische 3D-Landschaft. Wichtigstes Ziel: Keine Kollisionen verursachen.

Wir können nach links, rechts, oben und unten lenken, schießen und per Knopfdruck eine 180-Grad-Wendung machen. Anhalten können wir nicht. Unsere Tankladung ist schnell erschöpft und finden wir nicht rechtzeitig die begehrten weißen Würfel, ist die Runde so schnell vorbei wie sie begonnen hat. "Futuridium" ist höllisch schwer, vor allem, weil man durch die 3D-Umgebung die Entfernungen am Anfang noch nicht richtig einschätzen kann. Wegen der schicken Grafik und dem abwechslungsreichen Soundtrack, kann man das Spiel trotz des vielen Scheiterns aber doch nicht so schnell wieder weglegen. "Futuridium" ist für Windows und Mac gratis, für mobile Apple-Geräte kostet es knapp 2 Euro. Wem Videospiele für unterwegs oft zu einfach sind und die Ästhetik früher Spielhallenspiele schätzt, sollte sich im Kalender schon ein paar Stunden zum Flugtraining anstreichen.