Erstellt am: 7. 8. 2013 - 16:12 Uhr
Die einsame Straße zur Freundschaft
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.
Seit kurzer Zeit verfügt Bulgarien über ihre erste komplette Autobahn – von Sofia bis zum Schwarzen Meer. Für ihren Bau hat man 40 Jahre gebraucht. Ich mag keine Autobahnen. Während man auf der Autobahn reist, sieht man nichts. Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, dass man auf einer Autobahn ganz Europa durchqueren kann und wenn man auf einer Tankstellen anhält, überhaupt nicht mitbekommt ob man in Deutschland, Frankreich oder Spanien ist? Alles schaut gleich aus. Natürlich reist man so schneller, aber wozu die Eile? Was sparen wir, wenn wir schneller dran sind?
Eine andere Sache sind die zweitklassigen Straßen. Sie laden euch wie alte Freunde immer auf eine Pause ein. Während ihr das lest, reise ich wahrscheinlich gerade auf so einer Straße in Richtung des schönen Balkanstädtchen Kalofer. Auf meiner linken Seite befindet sich der Balkan – das Gebirge, nachdem die ganze Halbinsel benannt ist. Wenn ich auf der Autobahn fahre, fühle ich mich so, als wenn ich meine alte Freundin, die zweitklassige Straße betrüge.
Claus Pirschner
Eigentlich fahre ich dorthin um mich von einer alten Freundin zu verabschieden. Ich fahre zu einer Hochzeit. Meine Freundin Agi heiratet. Agi war immer mein treuster Fan und meine gnadenlose Kritikerin. Sie ist die erste Person, die sich meine erste Pilotenkolumne vor ungefähr drei Jahren angehört hat. Nach der Hochzeit verlässt Agi Wien. Sie zieht mit ihrem Mann in die deutsche Stadt Gießen, wo er an der Universität arbeiten wird. Agi hat mir vergewissert, dass sie meine Kolumnen weiter online verfolgt.
Ich werde sie vermissen. Immer wenn ich kein Geld hatte, bin ich zu ihr gegangen um ihr was vorzulesen. Währenddessen war sie bereit mich mit ihren vegetarischen Gerichten mit Erbsen, Kartoffeln und grünem Zeug zu füttern. Außerdem war Agi mein Wiener Kulturguide. Sie wusste immer wo es was Cooles gratis gibt. Dank ihrer Informiertheit bin ich mit Kurzfilmen aus Guatemala vertraut. Und nicht zuletzt werde ich die Möglichkeit vermissen Agi in einer der Bars zu besuchen, wo sie gearbeitet hat. Sie fand immer einen Weg mir ein Bier zu Spendieren. (Im Gegensatz zum DJ ist der Barkeeper ein nützlicher Kontakt).
Ich war auf vielen Hochzeiten dieses Jahr. Auf dieser sind Leute aus ganz Ost- und Zentraleuropa eingeladen. Agi ist ein kontaktfreudiger Mensch und zu ihrer Hochzeit kommen Serben, Montenegriner, Slowenen, Russen, Kroaten, Österreicher und Deutsche. Wenn es um Agi geht – sind sie bereit durch halb Europa zu fahren. Und es lohnt sich! Agis Familie soll mit ihrem außerordentlich guten hausgemachten Schnaps bekannt sein. Ich fahre nicht deshalb hin! Ganz ehrlich!
Freundschaft kennt keine Autobahnen. Die Freundschaft ist wie eine alte zweitklassige Straße, wo du jeden Baum kennst. Agi heiratet. Herzlichen Glückwunsch.