Erstellt am: 7. 8. 2013 - 15:51 Uhr
Mehr als reine Statistik
Wenn Bilge Uslucan spricht, muss man ganz genau aufpassen, um auch wirklich alles mitzubekommen. Die Worte sprudeln nur so aus der jungen Frau heraus. Sie vertritt ihre Meinung.
Ebenso, wenn es um die Ergebnissen des aktuellen Integrationsberichtes geht, der am Dienstag vorgestellt wurde. Laut Statistik Austria leben rund 1,58 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich, 14 Prozent sind im Ausland geboren, 4,9 Prozent schon in Österreich.
2011 gaben 42% der befragten Zugewanderten an, sich im Land heimisch zu fühlen. 2013 sind es 52%. Von den jugendlichen Zuwanderern sahen 2011 bereits 67% Österreich als ihre Heimat an, 2013 sind es 91%.
Genau wie Bilge, die in Wien geboren wurde. Ihr Großvater kam in den 60er Jahren als Gastarbeiter nach Österreich, sie ist also die sogenannte "dritte Generation". Laut Bericht fühlen sich ganze 91 Prozent von ihnen im Land heimisch. Bei den älteren "Zugewanderten" ist das jedoch bei weniger als der Hälfte der Fall. Die Frage nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl beantwortet Bilge ohne Zögern: "Ich bezeichne mich als Türkin mit Wiener Wurzeln. Ich habe natürlich eine Beziehung zur Türkei, aber hier bin ich geboren und aufgewachsen."
Bilge Uslucan
Die 27-Jährige studiert Lehramt Deutsch und Geschichte und wird bald abschließen. Sie kennt das Bildungssystem in Österreich - von beiden Seiten. Der Integrationsbericht 2013 schlägt auch hier Änderungen vor - "Bildungspflicht" statt Schulpflicht, Ausbildung bis "der Stoff sitzt" statt neunjähriges Pflichtabsitzen. Ein Ansatz, den Bilge gut findet, sich aber genauere Informationen über die Umsetzung wünscht: "Da gibt es noch sehr viele offene Fragen."
Von den nichtdeutschsprachigen SchülerInnen im Land haben 13% 2012 die Schule vor dem Pflichtschulabschluss abgebrochen. Bei den Deutschsprachigen sind es 4%. Dieser Anteil ging in den vergangenen drei Jahren um 2% zurück.
Dass 13% der nichtdeutschsprachigen SchülerInnen die Schule abbrechen, ist für Bilge Uslucan etwas vollkommen Neues. "Ich kenne wirklich niemanden, der vor dem Pflichtschulabschluss abgebrochen hat. Bei weiterführenden Schulen sieht es schon anders aus. Das Bildungsbewusstsein wird halt oft in der Familie nicht weitergegeben und so fehlt es an Vorbildern."
Eine Vorbildfunktion möchte auch Bilge einmal haben. "Ich habe mich fürs Lehramt Deutsch entschieden, weil ich jungen Menschen mit Migrationshintergrund ein Vorbild sein will." Die SchülerInnen seien bei ihrem Praktikum ganz fasziniert gewesen, dass sie es trotz türkischem Nachnamen zu etwas gebracht hat. "Solche positiven Beispiele sollte man mehr in die Schulen bringen. Das motiviert."
2010 fanden 69% der Befragten, dass „die Integration von Migranten eher schlecht oder sehr schlecht funktioniert“, 2013 sind es 55%. Umgekehrt stieg der Anteil jener, die „Integration als eher gut oder sehr gut funktionierend“ bewerten, von 31% (2010) auf 45% (2013).
Trotz stetiger Verbesserung in den letzten Jahren finden nur 45 Prozent der ÖsterreicherInnen, dass Integration im Land gut funktioniert. "Es gibt halt viele Vorurteile auf beiden Seiten", meint Bilge und wird nachdenklich. "Man sollte einfach mit offenen Armen auf einander zugehen und den jeweils anderen zu allererst als Mensch anerkennen."
Die 27-Jährige Bilge Uslucan wird eines Tages vor einer Klasse stehen und versuchen, den SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund ein gutes Beispiel zu sein. Sie wird einfach nur Frau Professor Uslucan sein. Und ihre Beliebtheit wird sich einzig und allein nach ihrer Hausaufgabenverteilung und Benotungsstrenge richten. So wie bei allen anderen LehrerInnen auch.
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