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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

6. 8. 2013 - 10:34

Lügen, die wir gerne glauben

Smith Westerns aus Chicago, unsere Artists of The Week, bepflanzen den ausgetrampelten Pfad des Love-Songs mit Sehnsucht, Wonne und Liebesschmerz. In Zeiten von Porno-Chic im Pop ein beinahe radikaler Ansatz.

FM4 Artist Of The Week

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Baby Boomer Pop

“It's better to have loved than lost, A.J” - Carmela Soprano

Es gibt da diesen Dialog in der letzten Staffel der Sopranos zwischen Vater Tony und Sohn A.J. Der Junior wurde gerade von seiner Verlobten verlassen und leidet nun an gebrochenem Herzen. „There is an industry for that“, sagt der Mob-Papa. A.J: „Psychotherapy?“ Tony: “Music! Tears In My Pillow” and all that shit!

Tonys Antwort ist naheliegend. Er ist ein Baby-Boomer. Seine Jungspundjahre verlebte der spätere Boss der DiMeo Family im goldenen Zeitalter des Teenage-Pop in den frühen bis mittleren 60er Jahren. Vor dem Zweiten Weltkrieg richteten sich Schnulzen noch vorwiegend an ein allgemeineres Publikum. Das änderte sich in den Fifties. In der Zeit des Wirtschaftswunders verfügten Heranwachsende erstmals über eigenes Taschengeld und ein wenig Entscheidungsfreiheit. Sie rückten als „Teenage Consumers“ ins Zentrum der noch jungen Popindustrie und also auch in den Fokus der Songschreiberei.

Es folgten „Tears In My Pillow“, „Be My Baby“, „Love Letters In The Sand“ und tausende weitere mehr oder weniger gelungene Pickelschmachtfetzen, ehe Pop ab Mitte der 60ies ernsthafter und erwachsener wurde.

50 Jahre danach hat der Love Song seine Unschuld verloren. Einschlägige Stars wie Justin Bieber oder Miley Cyrus lassen die Pubertät gleich aus und mutieren innerhalb weniger Monate vom kindlichen Goldkehlchen zum bösen Mutterfunker oder Hardcore-Party-Luder. Statt Tränen im Kopfpolster gibt es Spermaflecken im Laken. Statt Salzwasser Pimp-Sprudel und Tanzdrogen. Der Exzess ist zwar seit jeher der Patenonkel der Adoleszenz, aber wo bleibt bei all dem Sexting noch Platz für die romantische Liebe?

Love Pistols

Den großen, traditionellen Gefühlen im Sinn von goldenen Harmonien und feurigen Schwüren hat sich rettenderweise die Band Smith Westerns aus Chicago, Illinois verschrieben. Zu den Grundlagen und Gründertagen dieser Formation samt Österreichanteil an der Karriere gibt dieser Text Auskunft, der anlässlich der Veröffentlichtung des zweiten Albums „Dye It Blonde“ auf diesen Seiten hier erschienen ist.

Smith Westerns

Christian Lehner

Smith Westerns 2011 beim FM4-Teenage-Talk in Washington, DC

Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen und die noch immer sehr junge Band rund um die Omori-Brüder Cullen (Gesang) und Cameron (Bass), sowie Max Kakacek (Gitarre) hat sich innerhalb der amerikanischen Indie-Szene etabliert, studiert aber immer noch die Leiden des jungen Werther. Man ist auf „Soft Will“, so der Titel des neuen Albums, allerdings schon einige Kapitel weiter als bei der Vorgängerplatte.

Smith Westerns

Mom And Pop Records

Stellt sich beim liebestrunkenen Jüngling nach den ersten Offenbarungseiden und vergeblichen Anbahnungsversuchen oftmals Ernüchterung ein, folgt also auf den Liebesrausch der Liebeskater, so mussten auch Smith Westerns bereits in jungen Jahren erfahren, dass der Weg zum Glück mitunter ein von Enttäuschungen und Mühsal geplagter sein kann. Nicht alle sind happy, wenn hübsche Indie-Bengels von der Liebe singen, als gäbe es keinen Krieg jenseits der Hormonfront und keine Sorgen außerhalb des Tourschlafsacks.

Soft Will

Wo also auf „Dye It Blonde“ noch unbeschwert geschmachtet wurde, verarztet Songschreiber Cullen auf „Soft Will“ nun die Blessuren enttäuschter Hoffnungen und versucht festzuhalten, was doch scheinbar dazu bestimmt ist, auseinanderzudriften. Die Zeit, sie vergeht. Man kann sie nicht anhalten, geschweige denn zurückdrehen. Solche Erfahrungen halt.

“Please keep close to me
I don't wanna let you off my heart
But it happened all along
And you don't look like it used to be
You don't look like you did on TV”
– 3AM Spiritual

Wenn man mit Cullen telefoniert, wird jedoch schnell klar, dass es in seinen Songtexten eigentlich gar nicht mehr so sehr um persönliche Liebesgeschichten und Heiratssaschen geht. Cullen ist vielmehr am Genre des Love-Songs interessiert, an seiner Beschaffenheit, Form und Harmonie – deshalb die Soundreferenzen aus den goldenen Jahren und die Liebe zum Restaurationsversuch durch vornehmlich britische Bands in den 90er Jahren (v.a. Oasis, die der Omori-Papa im Tapedeck der Familienkarre in Daurerotation laufen ließ).

Die Liebe wird zur Metapher für das Musikmachen an sich. Das Begehren, der Flirt, die Beziehung, das alles sind Platzhalter für die Romanze mit der Gaga-Industrie, wie sie sich derzeit darstellt. Es ist eine schöne Lüge, an die man glauben möchte, so wie man an die Liebesschwüre glauben will, die man aus heißer Kehle unter dem Blue Moon in den Sternenhimmel haucht.

"Tell me, tell me, tell me the answer but I'm unsure
Every day's a blessing, every day's a hangover"
- Idol

Das wirkt am neuen, bereits dritten Smith Westerns Album bisweilen zwar schon etwas routiniert und berechnend. Doch das goldene Händchen, das die Omori-Brüder und der herausragende Gitarrenarrangeur Kakacek für süchtig machende Hooks und Melodien haben, glänzt noch immer wie bei sonst nur wenigen Artverwandten ihrer Generation. Einmal geht er sich also noch aus, der Sommerflirt mit der Illusion. Danach kann die Liebe ja einen Bauch und etwas graue Haare bekommen. Bis dahin geht die Sonne unter. Und am nächsten Tag wieder auf.