Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "33 1/3"

Daniela Derntl

Diggin' Diversity

5. 8. 2013 - 14:47

33 1/3

33 1/3 ist die Geschwindigkeit, mit der man Langspielplatten abspielt und das Motto für diese Open-Mike-Sendung: Drei aktuelle Alben, besprochen von drei KritikerInnen. Und ihr könnt, wenn ihr Lust habt, im Forum euren Senf dazugeben.

FM4 Open Mike
Die freie Sendungsstunde "FM4 Open Mike" ist die sommerliche Carte Blanche für FM4-MitarbeiterInnen, die sonst selten oder in anderen Funktionen am Sender zu hören sind. Heute von 00-01 mit Dany Derntl, Katharina Seidler und Martin Pieper

Talking about Pop Muzik!

Katharina Seidler, Martin Pieper und ich hören uns durch drei aktuelle Alben, die, es kann kein Zufall sein, alle aus der Popkultur-Nation-Nummer-Eins England stammen. Zumindest zwei der drei Bands waren auch Teil der imposanten musikalischen Werkschau des Landes anlässlich der olympischen Sommerspiele in London letztes Jahr: Bei der Eröffnungs-Show der Spiele haben die musikalischen Leiter, Karl Hyde und Rick Smith von Underworld neben popkulturellen Common-Sense-Nummern von The Beatles, The Rolling Stones, David Bowie, Muse und vielen mehr auch die pulsierende, experimentelle Electronica der musikalischen Querdenker Fuck Buttons eingebettet. Ein Millionenpublikum für ein verschrobenes Technoise-Konvulut. Was für eine große Anerkennung für das kompromisslose Produzenten-Duo Andrew Hung und Benjamin John Power.

Kurz nach Mitternacht stellen die Fuck Buttons im Open Mike ihre Wall-of-Noise auf!

Fuck Buttons

Fuck Buttons

Fuck Buttons

Fuck Buttons – Slow Focus

„Slow Focus“ ist ein Album für die Dunkelheit, im Freibad bei 39 Grad funktioniert es nicht. Es braucht die Nacht mit all ihren Schattierungen oder zumindest einen Regentag, eine handfeste Depression, Liebeskummer, das Grauen vor einem miesen Alltag, den Hang zu düsteren Tagträumen oder Verschwörungstheorien. „Slow Focus“ entwirft mit seinen epischen Ausmaßen, einige der sieben Nummern sind jenseits der 10-Minuten angesiedelt, ein apokalyptisches Szenario und beleuchtet wie eine zähflüssige Lava-Lampe den drohenden Untergang.

Der Album-Titel bezieht sich auf den kurzen Moment nach dem Aufwachen, in dem sich die Augen erst an die Umgebung gewöhnen müssen und dieser Moment muss laut Hung und Power nicht immer der schönste sein.

Vier Jahre haben die Fuck Buttons für „Slow Focus“ gebraucht und entstanden ist es genau in jenem Setting, das sie auch auf der Bühne verwenden: Andrew Hung und Benjamin John Power fuhrwerken wortlos in ihrem Gerätepark und planieren jede Nummer mit so viel Druck, dass die einzelnen Layers enger und fester zusammenkleben als die Streifen einer Tixorolle: sie schaufeln jede Menge Noise-Drones, sphärische Synthie-Spuren, repetitive Percussionläufe und Arpeggios übereinander, bis sich eine sogartige Trance-Wirkung einstellt, die den Zuhörer in sein Unterbewusstsein abtauchen lässt. Auf „Slow Focus“ passiert eigentlich nicht viel, aber gerade dieses langsame Vortasten und Einfühlen unterstützt den Trance-Effekt. Es ist ein Vulkanausbruch im Zeitraffer; ein intensives und sicher schwieriges Hörerlebnis, das sich auszahlt und bleibenden Eindruck hinterlässt: „Fuck, was habe ich da bloß gehört?!“. Großes Kino!

AlunaGeorge –Body Music

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber machen zwei Hit-Sinlges schon ein Sommer-Hit-Album?

Das junge Duo AlunaGeorge, beide sind gerade mal 24 Jahre alt, wurde Ende 2012 schon an allen Ecken und Enden gehyped: Sie waren auf der BBC-Watchlist für 2013 und alle Blogs lieben sie und das völlig zu Recht. Sie machen R'n'B-Pop für das 21. Jahrhundert und verbinden wie viele andere britische Acts den brodelnden Sound des UK-Underground mit Charts-Tauglichkeit. Dabei orientieren sich Aluna Francis und George Reid am R'n'B und HipHop der Neunziger Jahre, also Aaliyah, Neptunes oder Timbaland und fusionieren den Sound ihrer Kindheit mit Trap, Garage, House und (Post-)Dubstep. Bestes Beispiel dafür ist das Cover von „This Is How We Do It“, im Original von Montell Jordan aus dem Jahr 1995. Ein zeitloser HipHop-Klassiker, der auch von Justin Timberlake stammen könnte.

alunageorge

AlunaGeorge

„Body Music“ klingt cool und frisch, hat aber Längen, vor allem, weil die Hits gleich auf den ersten vier Nummern des Albums verbraten werden. Also ein starker Beginn mit „You Know You Like It“, „Attracting Flies“ und „Your Drums, Your Love“ und danach mit „Kaleidoscope Love“ der Einbruch. Da sich der poppige, leichtfüßige Sound nicht viel ändert, stellen sich schon mal Ermüdungserscheinungen ein. Ein bisschen mehr Tiefe und Abwechslung wären nicht schlecht gewesen, dennoch ist es ein gelungenes Debüt mit verdienten Vorschusslorbeeren.

Katharina Seidler stellt uns das Album vor und erzählt uns von AlunaGeorges Sonar-Gig in Barcelona vor ein paar Wochen

Pet Shop Boys – Electric

Die Sendung beschließen die in England als National-Heilige des Synthie- und Electro-Pop verehrten Pet Shop Boys. Sie waren unter anderem für die Schluss-Akkorde der olympischen Spiele in London letztes Jahr verantwortlich und haben kurze Zeit später, im Herbst 2012, ihr letztes Album auf Parlophone veröffentlicht. „Elysium“ klingt etwas uninspiriert, so als wäre es ein reines Vertrags-Pflichterfüllungs-Album gewesen und die Pet Shop Boys, gemäß ihres Alters, reif für die Pop-Pension, die sie sich nach mehr als 100-Millionen verkaufter Tonträger auch verdient hätten.

Aber nein, der 53-jährige Chris Lowe und der 58-jährige Neil Tennant wollten es noch einmal wissen und kehren mit Unterstützung des Produzenten Stuart Price an ihre Wurzeln der eklektischen Dance- und Pop-Music zurück. Stuart Price war auch schon für die Club-orientierte Frischzellenkur bei Madonnas „Confessions On A Dancefloor“ verantwortlich und scheint der richtige Mann für den Job gewesen zu sein. Nur zehn Monate nach „Elysium“ sind die Pet Shop Boys wieder putzmunter und am Puls der Zeit, ohne dabei peinlich zu wirken wie der olle Onkel im Club. Das passend betitelte Album „Electric“ haben sie auf ihrem eigenen Label X2 veröffentlicht und überraschen voller Tanz- und Tatendrang und mit einem Bruce-Springsteen-Cover von „The Last To Die“.

Pet Shop Boys

Pet Shop Boys

Pet Shop Boys

„Electric“ ist eine pumpende Mischung aus Disco-Pop und 4/4 Techno-Beats, Piano-House mit Ibiza-Einschlag (das liest sich jetzt schrecklicher, als es klingt), funky Synths und Autotune gespickt mit sexuell aufgeladenen und sozio-politischen Statements über Oligarchen, Banker und Karl Marx. Die einzige wirklich deplatziert wirkende Nummer auf dem Album ist „Shouting In the Evening“, das eher wie ein Boys-Noize-Remix als ein originaler Pet-Shop-Boys-Song klingt.

Ein bisschen cheesy find' ich die Pet Shop Boys zwar noch immer, aber Nummern wie „Love Is A Bourgeois Construct“ versöhnen mich und bringen mich unweigerlich zum Schmunzeln, wenn sich zu der Henry-Purcell-Melodie, die auch Michael Nyman in einem Soundtrack verwendet hat, der längst verschollen geglaubte „Go West“-Männerchor gesellt. Martin Pieper wird uns erzählen, was es sonst noch alles auf dem Album zu entdecken gibt.



  • Dabei sein! das Open Mike mit Dany Derntl, Katharina Seidler und Martin Pieper ist von 00-01 auf FM4 zu hören und anschließend sieben tage lang on demand