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Pia Reiser

Filmflimmern

6. 8. 2013 - 15:09

Schauen sie sich das an!

I had the prime time of my life: Die HBO-Serie "The Newsroom" entwirft eine journalistische Utopie mit rasend schnellen Dialogen. Hier herrscht Idealismus statt Zynismus, hier will ein Republikaner die Welt mittels Fernsehnachrichten ein wenig besser machen.

Wenn die Figuren von Aaron Sorkin einmal die Contenance verlieren, dann spielts Granada. Dann brüllt ein diabolischer Jack Nicholson im Zeugenstand in "Eine Frage der Ehre" die inzwischen legendären und gern zitierten Worte "You want the truth? You can't handle the truth". Oder Jeff Daniels holt in der ersten Episode der HBO-Serie "The Newsroom" zu einem Rundumschlag aus. Ausgelöst von der Frage einer Studentin bei einer im Fernsehen übertragenen Diskussion: "Why is America the greatest country in the world?".

Jeff Daniels in "The Newsroom"

HBO

Sorkins Pathos

Daniels spielt den News Anchor Will McAvoy, ein Intellektueller überzogen von einer Schicht Sarkasmus; die Schicht bekommt Risse, als ihm diese Frage gestellt wird. In typisch Sorkin'scher Manier setzt er an zu einer langen, wortgewaltigen Rede. "We lead the world in only three categories: number of incarcerated citizens per capita, number of adults who believe angels are real, and defense spending, where we spend more than the next twenty-six countries combined, twenty-five of whom are allies. None of this is the fault of a 20-year-old college student, but you, nonetheless, are without a doubt a member of the WORST-period-GENERATION-period-EVER-period, so when you ask what makes us the greatest country in the world, I don't know what the fuck you're talking about!

Pathos meidet "The Newsroom" nicht, es umarmt ihn. Pathos eingestrickt in rasend schnelle Dialoge, die mit Referenzen angereichert sind, das ist die Sprache, die Aaron Sorkins Werke ausmacht, genau das an ihm zu kritisieren (und das macht das Feuilleton mit großer Freude) ist ein bisschen so, wie zu argumentieren, dass man Rap wegen Sprechgesang nicht mag. Sorkin ist diese Sprache. Und ich liebe diese Sprache.

Aaron Sorkin am Set von "The NEwsroom"

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Neue Nachrichten

Mit der Sprache ist also bei Will McAvoy alles in Ordnung, doch nach dem Fernseh-Meltdown wird er auch seine Stimme wiederfinden. Unterstützt von seiner Ex-Freundin MacKenzie McHale (Emily Mortimer) als Executive Producer und einem neuen, jungen Team will er seine Sendung "News Night" zu Nachrichten machen, die etwas bedeuten. Wörter wie "truth" und "american people" fallen sehr oft in "The Newsroom". Angesiedelt ist die erste Staffel in den Jahren 2010 und 2011 und Will und seine Redaktion wollen Informationen liefern, die für die Wähler in der Wahlkabine von Bedeutung sein können.

Fukushima und Osama Bin Laden

Weg vom Boulevard, weg vom Sensationsjournalismus. Wird Will zuvor mit Jay Leno verglichen ("You're popular because you don't bother anyone"), will er nun ein Walter Cronkite, ein Edward R. Murrow werden. Jede Episode widmet sich einem realen Ereignis - von der Ölkatastrophe in Louisiana bis zur Ergreifung Osama Bin Ladens - und schreibt so nicht die Geschichte um, aber die Geschichte, wie uns Nachrichten nähergebracht werden könnten. "The Newsroom" ist aber kein dokumentarisch zu verstehender Blick hinter die Kulissen einer Nachrichtenredaktion. (Genausowenig war Sorkins "The West Wing" eine realistische Darstellung von Abläufen im Weißen Haus).

Jeff Daniels in "The Newsroom"

HBO

I heard the news today, oh boy ...

Bereits zweimal hat sich Sorkin an Fernsehredaktionen abgeabreitet - "Sports Night" und "Studio 60 on the Sunset Strip" - und es wäre nicht Sorkin, wenn nicht auch im Großraumbüro des fiktiven Cable News Senders ANC - Platz für Liebe und Eifersucht wäre. Da ist Jim Harper (John Gallagher Jr), der mit McHale im Irak und in Afghanistan war, einer von der Art Journalisten, wie sie Hollywood am liebsten hat: So kompetent und aufopfernd, dass keine Zeit bleibt, Hemden zu bügeln oder zum Friseur zu gehen. Jim also konnte Situationen in Kriegsgebieten gut meistern, wird aber ungelenk, wenn es um Maggie Jordan (die supere Alison Pill) geht.

Szene aus "The Newsroom"

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Beim Armeverschränken kommen die Leut zusammen: Alison Pill und John Gallagher Jr.

Optimismus und schnelle Dialoge

Die wiederum ist eigentlich mit Don Keefer zusammen, der gehört zu denen in "The Newsroom", die an Ratings interessiert sind, deswegen trägt er auch gebügelte Hemden und das Haar zurückpomadiert. Und dann ist quasi als elephant in the newsroom die zerbrochene Beziehung zwischen McAvoy und der unendlich idealistischen MacKenzie McHale. Wenn sie in einer der ersten Episoden als jemand beschrieben wird, den man in einen Raum gesperrt hat und nur Frank Capra-Filme gezeigt hat, bis sie 21 war, dann kann man den Frank-Capra-Einfluss gleich auf die ganze Serie ausdehnen. Wie der Regisseur von zu Klassiker gewordenen Filmen wie "It's a wonderful life" und "Mr Smith goes to Washington" setzt auch Sorkin auf den Glauben an den kleinen Mann und an das grundsätzlich Gute im Menschen. In Will McAvoy steckt auch ein Teil der good guys wie James Stewart sie in den 1930er Jahren verkörperte.

Und ebenso wie Capra beherrscht auch Sorkin die Spielregeln der Screwball Comedy. Denn der Beschäftigung mit tatsächlichen Ereignissen und der Erschaffung einer journalistischen Utopie mengt Sorkin romantische und komödiantische Elemente unter, wie man sie in eben jenen Filmen der 1930er Jahre findet.

Emily Mortimer und Jeff Daniels in "The Newsroom"

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Screwball!

Schnell geredet wurde damals auch und Frauen wie Männer gleichermaßen liefen - bedingt durch amouröse Verwirrungen - gegen Türen oder fielen von Sesseln. In "The Newsroom" sind es hauptsächlich die weiblichen Figuren - allesamt Ausgeburten an journalistischer Kompetenz und Integrität - die in beinah teenagerhaftes Verhalten verfallen, wenn es um Liebesdinge geht. Für Sorkin gilt, wie er oft erklärt, dass, wenn die Stärke und Intellekt einer Figur erstmal etabliert sind, kann man sie auf Bananenschalen ausrutschen lassen, so oft man will, ohne ihnen zu schaden. Das mag sein, aber sagen wir mal so: bananenschalentechnisch liegen die Frauen ungefähr 35:2 in Führung.

Was "The Newsroom" vielleicht am meisten von anderen aktuellen Serien ("Enlightenment" ausgenommen, wie ich gerade dem Artikel von Philipp L'Heriter entnehme) ist das Fehlen von Zynismus, ja einige in der Fernsehredaktion sind noch nichtmal in der Lage Sarkasmus zu erkennen, wenn man ihn ihnen auf die Nase bindet. ("Was that sarcasm?" könnte bald auch als Sorkinism gelten).

HBO

Ein nicht humpelnder House

Düstere, alles negierende Weltsichten kombiniert mit Antihelden, denen wir beim Straucheln zusehen, haben die Erfolgsserien der letzten Jahre dominiert. Ein wenig ähnelt Will McAvoy Gregory House, dem genialen, aber misanthtopischen Arzt, der angetrieben von Weltekel durch das Krankenhaus humpelt und alles wohlformuliert beleidigt, was ihm in die Quere kommt. Beide sind exzellent in ihrem Fachgebiet, schlagfertig, haben problematische Beziehungen zu ihren Vätern und leiden auch Jahre später noch an dem Herzeleid, das ihnen eine Frau zugefügt hat. Beide tragen eine post-political-correctness Haltung mit stolz geschwellter Brust und haben keine Angst sie - umgeben von schlauen Referenzen - einzusetzen. Aber während House von Zynismus zerfressen ist, ist McAvoy höchstens dem sarkastischen Bonmot nicht abgeneigt.

Häufig wird McAvoy in Kritiken, die "The Newsroom" zerfetzen, als zynisch bezeichnet, geht man aber zur Grundbedeutung des Wortes zurück, ist er geradezu das Gegenteil (und genau das macht die Kritiker ja eigentlich auch so narrisch). Will und sein Nachrichtenteam rufen eine Ära der neuen Nachrichten aus, wollen etwas besser machen, setzten Integrität ganz oben auf ihre To-Do-Liste und führen Folge für Folge vor, was sie für unmoralisch, falsch, verlogen oder misinformiert halten und versuchen, es besser zu machen. Das ist Kryptonit für Zynismus. Der Idealismus und Optimismus, der durchwegs den Ton der Serie definiert, ist ungewohnt im Vergleich zur dunklen Lakonie anderer Serien.

Paul Schneider in "The Newsroom"

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Weltklasse Paul Schneider ist in zwei Episoden mit dabei

To infinity ... and beyond

Wo wir anderen Serienfiguren beim Fallen zusehen, inszeniert "The Newsroom" das Sich-Aufraffen. Wo sonst Plan- und Ziellosigkeit herrscht, wird hier immerwieder lautstark und wortgewaltig definiert, worum es geht. "Reclaiming journalism as an honorable profession. A nightly newscast that informs a debate worthy of a great nation. Civility, respect, and a return to what's important; the death of bitchiness; the death of gossip and voyeurism (...)", so MacKenzie.

Da Will McAvoy früher Staatsanwalt war und Aaron Sorkins wuchtige Sprache so gut zu juristischen Verhandlungen passt (siehe auch "The Social Network" und "A Few Good Men"), wird "News Night" zum allabendlichen Gerichtssaal. McAvoy wird zum Ankläger von Idiotie. (Ähnliche Argumentationskette wie Jon Stewart, nur eben im Rahmen einer Nachrichtensendung, keiner satirischen Late Night Show. Aber immerhin geben 12 Prozent der Amerikaner "The Daily Show" als ihre Nachrichteninformationsquelle an.)

John Gallagher Jr in "the Newsroom"

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Die Sache mit dem Internet

In all dem ungewohnten Idealismus, dem von Fanfaren (oder Coldplay. oder Coldplay-Fanfaren) und Reden begleiteten Unterfangen, "News Night" als Wahrheit verkündenen Nachrichten-Nahversorger zu etablieren, steckt natürlich ein Anachronismus. Internet oder soziale Netzwerke finden sich im Redaktionsalltag hauptsächlich in Form von spöttischen Bemerkungen wieder. Wie Sorkin selbst, ist McAvoy kein Freund neuer Medien. I have a blog?" ruft er fragend in der ersten Episode in den Raum und blog klingt wie eine Kretze. I can not write anything good in 140 characters, sagt Sorkin über Twitter. Und anscheinend kann er auch nichts Gutes über Twitter schreiben. Und schon gar nicht darüber, wie es in Diskussionsforen zugeht. “You are witnessing mad men and mad women…It only takes five comments before you find somebody with a severe mental disorder." Offensichtlich hat er schonmal im Standard-Forum vorbeigeschaut.

Youtube und Tea Party

"The Newsroom" beschwört also anachronistische und leicht nostaligische Fernseh-"Breaking News"-Momente und ignoriert zunächst, dass das Internet das Fernsehen in Sachen Schnelligkeit einen Rang abgelaufen hat. Mit fortlaufenden Episoden scheint Sorkin seine Abneigung (und das Ignorieren neuer Medien) besser im Griff zu haben, aber ein gewisses Misstrauen gegenüber bestimmten Technologien bleibt. Selbst E-Mails und Youtube-Videos sind meistens bloß Auslöser für persönliche Katastrophen. Manche (verlagshausinternen) Katastrophen löst aber auch nur Wills Mundwerk aus. Dann nennt er die Tea Party the American Taliban und wird von der Berichterstattung in Gedenken an 9/11 abgezogen. Der moderate Republikaner Will ist genervt davon, wie die Tea Party immer mehr davon definiert, was als republikanisch angesehen wird. “I'm a registered Republican, I only seem liberal because I believe that hurricanes are caused by high barometric pressure and not gay marriage.”

Dev Patel in "The Newsroom"

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Dialoge wie Musik

So wie McAvoy sich für die Tea Party geniert, hab ich mich immer, wenn ich "The Newsroom" empfohlen hab, für den Vorspann geniert (für Staffel 2 hat man sich von dem glücklicherweise verabschiedet). Ein schier endlose, altbackene Montage mit "machen sie mal eine typische Handbewegung"-Szenen, gegengeschnitten mit TV-Legenden wie Cronkite. Ein Vorspann wie man ihn seit den 1980er Jahren nicht nicht mehr gesehen hat, weil man ja damals schon vor Scham weggeschaut hat. Wer aber hier die Augen zukneift - oder vorspult - wird belohnt. "The Newsroom" ist ein Experiment voller Idealismus, das gelegentlich tonal danebenhaut und manchmal zusehr das ohnehin Offensichtliche betont. Ich brauche nicht "You are always on my mind" zu hören, um zu verstehen, dass dies für MacKenzie und Will gilt. Aber es fügt mir auch nicht jene Höllenqualen zu, die offensichtlich US-Kritiker erleiden, wenn sie sich "The Newsroom" anschauen.

Trotz aller Makel und Sentimentalitäten, bin ich der Serie verfallen. Ich hab die erste Staffel dreimal gesehen. Die beiden Episoden mit Paul Schneider viermal. Vor allem in den Folgen mit einer Rahmenhandlung-Konstruktion - ählich wie auch "The Social Network" aufgebaut war - merkt man, wie exzellent und elegant Sorkin schreibt. Er komponiert. "What I love is the sound of dialogue and the music of dialogue.", sagt er. Ich hab also einen Sorkin-Ohrwurm und er geht mir noch nichtmal auf die Nerven.