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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

10. 8. 2013 - 16:23

Join the Joyride

Stephen Kings neuer Roman "Joyland" ist außen Trash, innen ein schlaues, kleines Meisterwerk. Hochliteraturverdacht!

Stoppte man auf dem Weg nach Jesolo für ein paar Minuten, um sich eine Wurstsemmel an der Raststation zu kaufen, standen die Bücher in der schlicht ausgewählten Magazin- und Zeitschriftenabteilung. Meist die Taschenbuchausgaben von "Christine", "Misery", "Es" oder auch "Tommyknockers" (die deutschen Übersetzungen haben traditionellerweise nur ein Wort im Titel), etwas abgegriffen, die Seiten leicht vergilbt. Die Werke von Stephen King waren zeitwegs Literatur von der Tankstelle.

Sicherlich, der "King of Horror", wie er ewig tituliert wird, hatte auch seine hochliterarischen Phasen: die herrlich intertextuell verwobene, Spaghetti-Western verliebte "Dark Tower"-Reihe; die berührenden Kurzgeschichten der Hoffnung aus "Different Seasons" (als bekannteste die Gefängnis-Verfilmung "Die Verurteilten") oder mein Liebling "The Eyes of the Dragon", ein Fantasy-Epos lange vor "Game of Thrones", aus dem ich gelernt habe, wie man aus Stoffservietten ein Seil flechtet. Die Wenigsten interessierten jedoch diese Seiten Kings, er blieb stattdessen der Meister der Albträume.

Stephen King

Steam Heart

Hochliteraturverdacht!

Vielleicht spekulierte der heute 65-Jährige deshalb lange öffentlich mit seinem Ruhestand. Und stattdessen durchlebt er nun seinen zweiten Frühling und ist so dick im Geschäft, wie schon lange nicht mehr. Regisseure wie J.J. Abrams reißen sich um die Filmrechte zu Kings Zeitreiseroman "11/22/63", die lang ersehnte Fortsetzung zu "The Shining" (betitelt "Doctor Sleep") steht in den Startlöchern und die (wenn auch qualitativ streitbare) Serien-Adaption zu "Under the Dome" wurde, obwohl gerade erst in den USA angelaufen, bereits für eine 2. Staffel verlängert. Nach Jahren der Verschmähung wird King auch im Feuilleton regelrecht abgefeiert - die "New York Times" nennt ihn "genial" und reiht ihn mit Mark Twain und Ernest Hemingway zu den größten US-Literaten aller Zeiten.

Das wirklich Geniale an Kings aktuellen Texten ist nicht etwa die Altersmilde des Autors. Es ist das bewusste Kokettieren mit dem eigenen Image, die Verzahnung des Trashes mit zutiefst sentimentalen, herzergreifenden Stoffen. Sein neuester Roman ist hier keine Ausnahme: Für "Joyland" ziert eine Rothaarige das amerikanische Cover, der Ausschnitt ihrer Brüste gut erkennbar, die Beine lang und sexy, der rote Mund im Schrecken leicht geöffnet. Darüber der Slogan: "Who Dares Enter the Funhouse of Fear?". Purer Trash und Pulp hinter dem sich eine der zärtlichsten Coming-of-Age-Geschichten verbirgt, die ich je lesen durfte.

Stephen King "Joyland" englisches Cover

Hard Case Crime

Land of Joy and Heart-Icons

Stephen King "Joyland" deutsches Cover

Heyne

Stephen King: "Joyland" ist 2013 in deutscher Übersetzung von Hannes Riffel bei Heyne erschienen.

Die Geschichte ist rasch zusammengefasst: Von der ersten großen Liebe enttäuscht, will der College-Student Devin sein gebrochenes Herz während eines Sommerjobs vergessen. Und zwar auf einem Rummelplatz namens "Joyland", in dem es - richtig - in der Geisterbahn spukt. Der Geist einer Ermordeten soll dort immer noch festsitzen, ihr Mörder wurde nie gefunden. Ihr wurde dort, wo die Wagen in die dunkelsten Stellen der Geisterbahn vordringen, die Kehle durchgeschnitten. All dies erzählt aus der Perspektive des gereiften gealterten Devins, der wegen seines jungen Pendants, dem Liebeskümmerling, nur den Kopf schütteln kann.

Zwischen Herz-Icons, die die jeweiligen Kapitel einleiten, ist ein kleines Meisterwerk verborgen. Die Plot-Dichte war nie Kings Stärke, hier schafft er aber auf knapp 280 Seiten (ungewöhnlich kurz für seine Verhältnisse) eine solide stimmige Geschichte, in der der Spuk der Geisterbahn lediglich eine untergeordnete Rolle spielt. Vielmehr geht es um Devin, der einem kleinen Jungen, der an multipler Sklerose erkrankt ist, einen letzten Wunschtraum erfüllt: einen Tag im "Joyland".

Und spätestens hier ist der Tod nichts mehr, was ein Serienkiller bringt - es ist das Schicksal, das bei uns allen plötzlich brutal zuschlagen kann, oder vielleicht auch nur abwartend auf der Lauer liegt. Dazwischen sind es die kleinen Lichtblicke, die die Zeit, bis der Sensenmann uns allen begegnet, ein wenig erträglicher machen. Und das sprachlich mit Wortwitz und einer Brise Ironie, wie sie nur von King kommen können.

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Als King vor einigen Jahren den "National Book Award" gewann, war die Auszeichnung umstritten. Heute kann man behaupten, dass er ein Literat höchsten Ranges ist. Oder um es mit den Worten eines Guten zu sagen:

Je älter und - nein, es passt kein dezenteres Wort als dieses - weiser der amerikanischste Schriftsteller seit Walt Whitman wird, desto sicherer spielt er sein atemberaubendes Vermögen aus, vom konkreten Inhalt des alten Geraffels, das Menschen, wenn sie nicht jung sterben, früher oder später in ihren innersten Schmerz- und Schatzkammern durch die Gegend tragen, gerade so viel festzuhalten, dass von den Einzelheiten das Wichtigere nicht verdeckt wird: wie es sich angefühlt hat." (Dietmar Dath)