Erstellt am: 8. 8. 2013 - 17:30 Uhr
Welcome to Gnarnia!
Check it out: www.gnartapesandshit.com
Eine Gnar Tapes-Listening Session plus Interview gibt es am 26. 8. auch im Open Mike zu hören. Schwerer Portland-Bezug garantiert, 00 - 01 a.m., MEZ.
Willkommen im wahrscheinlich dreckigsten Eck in Portland, Oregon. "This is a very messy place" muss ich beim Betreten des Hauses grinsend zugeben. Man hat mich vorgewarnt und mir nicht zuviel versprochen. Hier sieht es aus, als ob eine Bande durchgeknallter Kids 24/7 Party macht. Allerhand Kleider, Flaschen, Bierdosen und sonstiger Müll liegt am Boden herum, auf der Couch im Wohnzimmer pennt ein Freund, der von der Party am Vortag übrig geblieben ist. Die Wände sind mit ganz schlimmen Graffitis verziert. Nein, das hier ist kein besetztes Haus, sondern ein Musiklabel. Der "Präsident" von Gnar Tapes, Erik Gage, checkt grad ein paar Emails, im Hintergrund laufen die Stooges. Rock 'n' Roll!
Alexandra Augustin/ FM4
Die Kommandozentrale von Gnar Tapes - liebevoll "Gnarnia" genannt - befindet sich in einem kleinen Haus im Herzen der Stadt, in Hosford-Abernethy, ziemlich zentral in Portland, einen Katzensprung vom Stadtkern entfernt. Haus an Haus, Garten an Garten. Und so wie fast jede Nachbarschaft hier ist das ebenfalls eine sehr entspannte und hübsche Gegend. Hier fliegen sogar Kolibris in den Gärten herum! Nur dieses eine Haus fällt aus dem Rahmen, mit seinen eingeschlagenen Scheiben und der zerfetzen US-Flagge vor der Eingangstüre.
Hier leben, wohnen, arbeiten und feiern Erik, Chris, Kyle und Duffy, die sich die Labelarbeit, als auch einige Bandprojekte wie White Fang und The Memories teilen.
Alexandra Augustin/ FM4
Haufenweise Kassetten und Platten stapeln sich in den Regalen und vor allem am Boden. An der Wand hängen Led Zeppelin-, Star Wars- und Britney Spears-Poster. Geraucht wird auch fleißig, allerdings keine Zigaretten. Was im Bundesstaat Oregon übrigens kein Verbrechen, sondern für medizinische Zwecke völlig legal ist. Und das erste Bier wird auch schon um zwei am Nachmittag geöffnet. Aufgestanden sind die Jungs heute um halb zwei Uhr am Nachmittag, extra für das Interview. Und trotz des Slackertums kriegen sie es auf die Reihe, immer wieder sehr gute Tapes zu veröffentlichen und zu vertreiben. Hier in Gnarnia wird gelebt, gearbeitet, geprobt und auch die Grafiken und das Artwork für die Tapes entstehen hier.
Alexandra Augustin/ FM4
Der Chef der Bande, Erik Gage, ist trotz des wahnsinnigen Lifestyles ein schlauer Kerl, mit dem man gerne plaudert. 2008 hat er das Label gegründet, als er gerade einmal 18 Jahre alt war. Seit damals sind rund 130 Tapes erschienen. Darunter natürlich von vielen Bands aus Portland, etwa von den mittlerweile sehr erfolgreichen Yacht und Adrian Orange. Auch von K Records-Boss Calvin Johnson. Und auch viele Bands aus Japan, Südafrika, Belgien bis hin zur Ukraine findet man bei Gnar Tapes.
Alexandra Augustin/ FM4
In Zeiten des Internets und illegaler Downloads ein Kassettenlabel zu gründen ist ein anachronistischer, für die Jungs aber logischer Schritt gewesen. Tapes sind für viele wahrscheinlich auch nur ein weiteres Hipster-Ding, aber andererseits sind sie für alle MP3-Verweigerer auch die billigste Möglichkeit Musik aufzunehmen und zu verbreiten. Und wie vieles in Portland, in der Stadt wo jeder Musik macht, ein Label hat und sonst auch noch dreihundert andere Jobs und Projekte am Laufen hat, ist das mit Gnar Tapes nebenbei und aus einem Hobby heraus passiert, wie Erik aka Free Weed und Gnar Tapes-Vizepräsident Unkle Funkle erzählen:
"I never had a reason for it, it just happened! We do it because we can. All our parents had stacks and stacks of tapes. That’s how we all heard music for the first time. My dad taught me how to make a mixtape. And cassette tapes and cassette players are quite cheap. You can get a cassette player for three bucks, you can’t say that about any other type of music player. Vinyl is so much more work. Artists can experiment more, explore more sides of their art. It is more freeing to make tapes and it is fun!"
Throw away your TV! Don’t get a job! Don’t get a girlfriend!
Die Tapes rentieren sich natürlich nicht wirklich und sind und bleiben wohl ein Nischeninteresse. Aber immerhin verkaufen Gnar Tapes so viele Kassetten, dass sich das Label selbst erhält. Ein Tape gibt es auf der Website inklusive Versand schon für acht Dollar. Ein Paket mit drei Tapes inklusive Versand nach Europa kriegt man für 25 Dollar.
Alexandra Augustin/ FM4
Der Großteil der Kassetten wird nach Konzerten und übers Internet verkauft. Veröffentlicht wird übrigens nur, was gefällt: Von Garage-Krachern bis Countryperlen, wie etwa vergessene Aufnahmen aus den 1980ern des Weirdos und Ex-Radio-DJs Phil Thomas Katt, der die wunderbar kaputte und exzentrische YouTube-Musiksendung The Uncharted Zone produziert.
Labelpartys und Veröffentlichungen passieren auch ganz oft in Zusammenarbeit mit den Freunden von Burger Records aus Fullerton, California. Und besonders die Plattenläden in Japan sind ganz scharf auf die Tapes.
Aber womit bezahlen die Jungs denn eigentlich ihre Rechnungen? Und wo kommt das Geld für die Miete her? So ein Leben kann man sich natürlich nur in der Wunderstadt Portland leisten.
Die Mieten sind hier verglichen mit anderen amerikanischen Großstädten immer noch extrem niedrig, man braucht kein Auto und auch sonst sind die Lebenserhaltungskosten derart moderat, dass man, wenn man Glück hat, von ein paar Auftritten im Monat wirklich ganz gut über die Runden kommt. Und trotzdem total gute und gesunde Sachen essen kann!
"Our house and our lifestyle is extremely cheap. Between all of us our monthly expense is, like, less than 1000 dollars. If people really wanna do something, the best way to do it is get a house with some friends, throw away your TV and just make music! Listen to records, hang out and talk about music and play this music together. Take it slow, there is no rush. We most likely are not gonna make it to any real money, but we have fun. Don’t work for somebody else, don’t get a girlfriend, don’t get a job. And don’t spend your money on shit you don’t need!"
Im nächsten Jahr kommen die Jungs mit White Fang auch nach Europa. So lautet der Plan. Den Wahnsinn sollte man dann nicht verpassen. In diesem Sinne: Long live Gnarnia!