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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

17. 9. 2013 - 19:05

Is the chicken local?

Urban Farming liegt voll im Trend. Doch die Utopie von der Selbstversorgung bröckelt. Schon mal von einem "Hühneraltersheim" gehört? So eines steht in Portland, Oregon.

Andrea hat auf Facebook gerade wieder Bilder von ihrer kleinen Ökoparzelle am Stadtrand gepostet. Heute hat sie ein paar Karotten geerntet. Demnächst sind die Kürbisse dran. Seit zwei Jahren pendelt sie nach der Arbeit täglich hinaus in den grünen Speckgürtel, um ihre Pflanzen zu bewässern. "Es schmeckt nun mal besser und man hat ein besseres Gewissen, wenn man weiß, wo das Gemüse herkommt", meint sie.

Egal ob Wien, New York oder sonstwo: Urban Farming liegt voll im Trend. Jedes noch so kleine Balkonkisterl wird genutzt. Und die ganz mutigen halten sich gleich auch ein paar Tiere: Auf den Rooftops in New York haben seit kurzem die Hühner das Sagen. Und in Portland, Oregon, besitzt fast jeder zweite Mensch ein paar Hennen im Garten. Die legen das Frühstücksei. Menschen gehen hier auch manchmal mit Ziegen an der Leine spazieren. Portlandia lässt grüßen!

Hühner!

Alexandra Augustin/ FM4

Die Hühner meiner Vermieterin. What are their names? Ruby & Aretha!

Menschen, die sich in Portland Hühner halten sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Meine Vermieterin hält sich zwei. Bis zu drei Hühner darf man offiziell im Garten halten. In den Buchläden gibt es haufenweise Literatur zu diesem Thema, Urban Farming Kollektive bieten kostenlos Kurse an, in denen man lernt, wie man in der Stadt Tiere hält. Und die Stadt Portland hat auf ihrer Website zu diesem Thema auch extra Anleitungen und Tipps gepostet.

HuhnBuch

Alexandra Augustin/ FM4

Und eigentlich ist es ganz einfach: Man besorgt sich ein Buch oder besucht einen Kurs, in dem man alles über Hühnerhaltung erfährt. Dann baut man sich mit etwas Holz und Draht um wenig Geld einen Hühnerstall. Auf diversen Farmers Markets kriegt man für ein paar Dollar kleine Küken und Futter zu kaufen. Nach ein paar Wochen ist das Tier ausgewachsen und beginnt Eier zu legen. Dann muss man nur mehr jeden Tag in den Käfig reingreifen und sich seine frischen Eier rausholen. Klingt doch alles wunderbar, oder doch nicht?

Was tun, wenn Hennen in die "Henopause" kommen?

Aber die Utopie der Selbstversorgung hat viele Schattenseiten. Kit Collins kann ein Lied davon singen. Kit und ihr Ehemann John wohnen außerhalb von Portland in einem kleinen Ort namens Estacada. Sie betreiben einen privaten Gnadenhof für Tiere, der bei den Portlandern auch als "Hühneraltersheim" bekannt ist: Das Out to Pasture Animal Sancturary. Und sie sind nicht die einzigen. Zwischen Kalifornien bis New York gehen die Tierheime über.

"Backyard chickens dumped at shelters when hipsters can't cope" - so oder so ähnlich lauten die Schlagzeilen. So viele Hühner wie nie zuvor landen in Heimen, etwa bei Kit Collins.

Gnadenhof

Alexandra Augustin/ FM4

Kit & John Collins. Und das letzte Einhorn Ike.

Auf den ersten Blick sieht es hier aus wie aus einer Episode aus "Unsere kleine Farm": Hühner laufen umher, viele Schweine und Ziegen leben hier. Doch das Leben ist kein Ponyhof: Das sind alles Tiere, die Menschen nicht mehr haben wollten, die ausgesetzt oder misshandelt worden sind.

Ziege "Nellie" etwa hat sich der ursprüngliche Besitzer angeschafft, um sich Ziegenkäse zu produzieren. Doch der alkoholkranke Mann konnte das Meckern auf Dauer nicht mehr ertragen und hat sein Tier oft geschlagen, in der Hoffnung, es würde dann ruhig werden. Die Hängebauchschweine sind klassische Opfer des "Hipstertrends": Die ursprünglichen Besitzer haben sich süße Babyschweine als Haustiere zugelegt. Als sie größer und somit lästig wurden, wollten sie die Tiere loswerden. So ein Schwein kann immerhin die Größe eines kleinen Babyelefanten erreichen.

Und über 50 Hähne und 20 Hennen leben hier in Spezialgehegen. Dementsprechend erheiternd ist auch die Geräuschkulisse am Hof: Schon einmal 50 Hähne gleichzeitig um fünf Uhr Früh schreien gehört?

Das große Problem, mit dem sich viele beim Kauf der süßen kleinen Küken nicht konfrontiert haben: Hennen hören nach etwa zwei Jahren auf, Eier zu legen. Leben tun die Tiere allerdings etwa 10-12 Jahre länger. Und wohin mit dem Tier, wenn es seinen Zweck nicht mehr erfüllt und die Henne in die "Henopause" kommt? Viele Besitzer setzen die Tiere einfach in der Stadt aus. Hühner, die herrenlos in der Stadt rumlaufen, sind in Portland keine Seltenheit. Außerdem wird nicht aus jedem Küken eine eierlegende Henne. Kit Collins steht dem Trend, sich Hühner in der Stadt zu halten, kritisch gegenüber:

"Viele holen sich ein Küken nach Hause und kommen später drauf, dass es sich nicht um eine Henne, sondern um einen Hahn handelt. Für jede Henne die schlüpft, schlüpft auch ein junger Hahn. Und ein Hahn legt nun mal keine Eier, sondern kräht nur laut. Die Besitzer wissen dann nicht, was sie mit dem Tier tun sollen, da in der Stadt keine Hähne gehalten werden dürfen. Ich habe auch von Menschen gehört, die ihre Hähne in ihre Keller sperren, aus lauter Verzweiflung. Die Eierindustrie ist insgesamt sehr grausam. In den Tierfabriken werden die Junghähne normalerweise gleich nach dem Schlüpfen brutal umgebracht. Entweder werden die Küken lebendig in speziellen Maschinen zermahlen oder in Plastiksäcken erstickt. Am besten sollte man gar keine Eier essen."

Huehner

Alexandra Augustin/ FM4

Zwei der 50 Hähne am Gnadenhof. Der orangene heißt übrigens "David Bowie"!

Kit Collins und ihr Mann haben den Gnadenhof 1988 gegründet - auf eigene Faust. Den Hof finanzieren sie durch ihr reguläres Einkommen und Spenden. Beide haben einen "normalen" Dayjob. In der Früh vor der Arbeit und Abends, wenn sie wieder nach Hause kommen, kümmern sie sich um die Tiere. Außerdem helfen auch noch viele Menschen unentgeltlich am Hof mit. Ohne deren Hilfe könnte der Hof nicht existieren.

"Es wäre gut, wenn sich die Menschen wirklich darüber informieren, wie man Hühner richtig hält und auch die Verantwortung für ihre Tiere übernehmen", meint Kit Collins. Auch wenn der Urban Farming-Trend prinzipiell begrüßenswert ist: Man sollte sich als Tierbesitzer Gedanken darüber machen, was man mit seinem Tier tut, wenn es seine Funktion nicht mehr erfüllt. Wenn die Hühner nicht sowieso schon früher von Waschbären getötet werden, für die die meist dilettantisch zusammengeschusterten Hühnerställe in der Stadt keine große Hürde auf dem Weg zu einem Snack darstellen.

Kopf ab!

Nachhaltig und verantwortungsvoll Tiere in der Stadt halten: Jemand der das versucht ist Tom Mayers. Insgesamt 12 geflügelte Gefährten wohnen in seinem Garten mitten in Portland. Zwei Hühner, fünf Gänse, zwei Truthähne und drei kleine Wachteln springen in seinem kleinen Hühnerhof umher. Außerdem bewirtschaftet er einen wunderbaren Obst- und Gemüsegarten. Dass er sich mitten in der Stadt Hühner hält, ist für ihn eine logische Konsequenz und nicht nur eine hippe Idee:

"Noch vor etwa 50 Jahren hatten die meisten Menschen in Amerika eigene Hühner und Schweine in ihren Hinterhöfen und haben sich selber ihr Gemüse angebaut. Das war damals ganz normal. Back to the roots: Es fühlt sich für mich richtig an, Tiere zu halten."

Tom

Alexandra Augustin/ FM4

Tom Mayers & Truthahn "Unkle Walrus"

Tom sammelt in großen Tonnen Regenwasser für seine Vögel. Sie ernähren sich von den Pfanzen und Beeren, die im Garten reichlich wachsen und dazu gibt es außerdem ausgewähltes Biofutter. Die Vögel haben genügend Platz im Garten, in dessen Mitte unübersehbar ein Baumstumpf mit einer Axt darauf aus der Erde ragt. Denn Tom schlachtet seine Enten und Hühner bei Bedarf selber. Das gehört seiner Meinung nach nun einmal dazu, wenn man sich Nutztiere hält. Kopf ab!

"Das erste Mal als ich Hühner getötet habe, waren das gleich 300 Tiere auf einen Schlag. Ich habe als Teenager auf einer Farm in Maine gearbeitet. Jeden Sonntag haben wir dort rund 300 Hühner getötet und verpackt. Ich bin es also gewohnt zu töten. Die ganze Prozedur dauert nicht länger als zehn Minuten: Man legt den Hals des Tieres auf den Baumstumpf. Daneben stellt man einen Topf mit kochend heißem Wasser. Dann geht alles ganz schnell: Die Axt nehmen, Kopf abhacken, den Körper für ein paar Sekunden ins kochende Wasser tauchen. Dann lösen sich die Federn besser. Und dann wird das Huhn verarbeitet"

Wer ist als nächstes dran? Thanksgiving steht vor der Türe, Truthahn "Unkle Walrus" wird dann geschlachtet. "Unkle Walrus" ist eigentlich eine Henne und sie weiß noch nichts von ihrem Glück. So mancher würde wahrscheinlich keinen Bissen runterkriegen, wenn er wie Tom eine derartig enge Beziehung zu seinem Braten hätte. Bei Tom Mayers verhält es sich aber genau andersrum:

"Ich esse nicht viel Fleisch, ich kaufe kein Fleisch im Supermarkt und ich esse selten Fleisch im Restaurant. Aber wenn ich schon Fleisch esse, dann will ich wenigstens wissen, was ich da am Teller habe und dass das Tier ein gesundes und gutes Leben gehabt hat. Unkle Walrus wird sicher gut schmecken. Und aus den Federn mach ich mir vielleicht einen schönen Polster."

Die älteren Hühner und Enten sind nach zwei, drei Jahren allerdings zu zäh für einen Braten, aber ein Gulasch oder eine Suppe könnte man dann immer noch draus machen. Essen würde Tom alle seine Tiere, auch wenn er aktuell noch keine weiteren Schlachtungen geplant hat. Alle, außer Lieblingsgans "Lulu": Die hat Tom dann leider doch zu gern um sie zu essen. Da hat Gans Lulu noch einmal Glück gehabt.