Erstellt am: 4. 8. 2013 - 14:10 Uhr
Geschmeidige Liebesmusiken, Elektronik, Gitarre
- Festivalradio auf FM4
Der Umstand, dass diese wunderhübsch hochgespritzte und glattpolierte Musik namens „R’n’B“ mittlerweile an allen möglichen Schauplätzen stattfindet, auch an solchen, denen lange Zeit die Ablehnung von allem, was irgendwie nach „Mainstream“ roch, wesenhaft ins Fundament gegossen schien, hat kaum noch Neuigkeitswert. Dennoch ist es ein wenig überraschend – und begrüßenswert dazu – bei wie vielen dieses Jahr zum STUCK! Festival ins Salzburger Rockhouse gebuchten Acts sich der sexy Glitz von R’n’B auf die eine oder andere Weise zärtlich ins Hinterstübchen gewühlt hat.
Sicher, „R’n’B“ war weder die offizielle noch die inoffizielle Losung des – es soll hier gleich verraten sein: wieder einmal ganz wunderbaren – STUCK! Festivals, sein slicker und schicker Geist funkelte aber immer wieder deutlich: Sei es nahezu in prunkvoller Reinkultur beim New Yorker Musiker Autre Ne Veut oder in der hypersmoothen Songwriter-Elektronik von S O H N. Beim englischen Producer Totally Enormous Extinct Dinousaurs, der in der zum Bersten gefüllten großen Halle des Rockhouse den Dancefloor zwischen House, 2-Step und honigweichem Garage ausmaß, beim jungen österreichischen Beat-Jongleur Wandl oder gar auch immerhin als Aura beim ebenfalls österreichischen Produzenten und amtlich verbrieften Rhythmusexperten Cid Rim.

Hanna Hofstätter
Fotos: Hanna Hofstätter

Hanna Hostätter
Dem STUCK! gelingt mit einer Mischung aus großer Liebe zur Musik, Feingefühl, natürlich schon auch einem klitzekleinen bisschen wirtschaftlichen Kalkül, das muss sein, und vielleicht auch ein wenig Glück immer wieder eine immerhin ausschnitthafte Abbildung des weiten, herrlichen Felds, das wir „POP“ nennen. Und da muss nun aktuell zwingend derlei Musik vertreten sein – und kann so auch Menschen schmackhaft gemacht werden, die den kalorienreichen Zuckerkloß R’n’B sonst nicht einmal mit dem wattierten Ofenhandschuh befühlt hätten.
Es geschah aber vergangenes Wochenende auch – es ist das STUCK! Festival – gänzlich anderes. Ein kleines Highlight der Abgefucktheit war am frühen Freitagabend im kleinen Raum des Rockhouse, pragmatisch „Bar“ genannt, das Konzert einer Band, die die Verschmustheit nicht gerade an oberster Stelle in ihrer Agenda führt. Eine Band, die ihrem Namen durchaus gerecht wird: Die Nerven. Die Nerven – eine junge Punkrockband aus Stuttgart. Punkrock und Stuttgart – was für eine Mischung. Hier ist das Reibungspotenzial und der Hass schon in den biografischen Eckdaten eingeschrieben. Das sind aber vielleicht bloß Klischees.
Die Nerven: schrottig, wild, roh, fresh, sehr gut – lustig auch. Gitarre, Bass, Schlagzeug. Im Vergleich mit dem Gepolter und Gerotze von Die Nerven summt das erste Album von Tocotronic gar wie Super High Fidelity Deluxe. Die Songs von Die Nerven nennen sich zum Beispiel „Schrapnell“ und klingen auch so; die Bühnenansagen gehen so: „Das nächste Stück heißt: „Angst“!!!

Hanna Hofstätter

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Erwartbare Höhepunkte und Publikumslieblinge beim STUCK! waren zwei Acts, die sich mit Synhtie-Pop mit leichtem Gothic-Einschlag befassen: Einmal Rangleklods aus Dänemark, zum anderen die allseits beliebte Austra aus Kanada. Beide konnten die große Halle des Rockhouse mühelos füllen und das Publikum mehr als souverän und solide in höchste Glückswallungen versetzen.
Kaum anfechtbarer Gipfel der Lustbarkeit jedoch war der erste Österreich-Auftritt von Autre Ne Veut. Der Producer, Sänger und Musiker Arthur Ashin aus Brooklyn schmiedet mit seinem Projekt an einer zeitgemäßen, also in die Zukunft schauenden Variante von R’n’B. Sein Anfang des Jahres erschienenes Album „Anxiety“ gilt schon so manch einem Spezialisten-Musik-Blog als ein Album des Jahres. In der Live-Darreichungsform von Autre Ne Veut wird Ashin von einer kleinen Band unterstützt: Er selbst war am Gesang und ab und zu am Keyboard zu erleben, mit dabei war ein Drummer und eine junge Frau an der Elektronik und am sehr R’n’B-haften Backgroundgesang. Den Anfang des Sets markierte mit dem Überhit „Play By Play“, zweifellos ein Song des Jahres, gleich eine selbstbewusste Standortbestimmung: So wird es gemacht.

Hanna Hofstätter

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Die Musik – und auch die Live-Performance – von Autre Ne Veut ist ein spinnengleicher Tanz auf sehr dünnem Seil: Ashin überhöht und verdichtet die Ausdruckformen, Posen und Klischees von R’n’B nahe an den Rand der Parodie, lässt aber dabei dennoch keine Sekunde lang Zweifel aufkommen, dass er diese Musik verehrt und den perfekt geschneiderten Popsong liebt. Zwischen der Zerbrechlichkeit von Prince, der einstudierten Lässigkeit eines Justin Timberlake und der rohen sexuellen Energie von Bobby Brown gelingt bei Autre Ne Veut ein fließender Übergang zwischen klar identifizierbaren Figuren – und so entstehen freilich auch ganz neue Zwischenformen.
Das Set bestand quasi nur aus Hits, selbst wenn man sie noch nie im Leben gehört haben mochte. „Gonna Die“, „I Wanna Dance With Somebody“ – hierbei handelt es sich bei aller gut dokumentierten Wertschätzung Ashins für Whitney Houston um keine Coverversion – am Ende stand der zweite große Hit im wörtlichen Hitsinne von Autre Ne Veut: „Counting“, kein Lovesong, wie man vielleicht glauben könnte, im herkömmlichen Sinne, sondern eine Liebeserklärung an die im Sterben liegende Großmutter. Autre Ne Veut vermag auch die dunklen Themen mit strahlender Pracht zu betanken. All das war fantastisch, manch einer soll eine süße Träne im Auge gehabt haben.

Hanna Hofstätter

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Auf einer ähnlichen, aber auch ganz anderen Klaviatur spielte am Samstag der zu Recht allerorts abgefeierte Musiker, Produzent und Sänger S O H N. Ohne Mühe, wie es scheint, entfahren ihm die wundersamsten, aus teuerstem Samt geschnittenen Töne. Das Publikum war textsicher, die Zugabe „The Wheel“, der Hit, wurde mit einem Johlen und Applaus empfangen, dergestalt, als handle es sich da um eine Kombination von „Can’t Stop Till You Get Enough“ und „Get Lucky“. James Blake lugt schon verstohlen über den Kanal.
Die Entdeckung des STUCK! hinsichtlich mittleren Starpotenzials war vielleicht eine junge, nahezu noch unbekannte englische Band: Swim Deep. Eine englische Band, die sich auch sehr englisch gibt und auch schon das nötige, angenehm arrogante Selbstverständnis und die unvermeidliche Cockiness mitbringt. Englische Indiemusik, die hautpsächlich auf traditionellen Gitarrenbandmuster fußt, aber auch immer wieder eine schön quietschig-psychedelische Orgelei im Gepäck hat. Das klingt sehr nach dem vernebelten Groove der Stone Roses, der Larmoyanz der Smiths und in manchen Momenten nach der Nöhligkeit und dem riskanten Leben der frühen Libertines.

Hanna Hofstätter
Das Publikum, auch hier schon überraschend gut mit dem Werk der Band vertrAchauchaut, obwohl das Debüt-Album erst diesen Montag erscheint, dankte es Swim Deep ausgelassen und aufrichtig. Swim Deep, sicherlich nur in Maßen „originell“, aber mit dem feinen Händchen für tolle Songs und teils echte Hymnen über erste Lieben, Teenager-Sorglosigkeit und das Draufgängertum jugendlicher Mopedfahrer. Schöne Schnöseligkeit, sympathisch dargeboten: eine Band, die man sich vielleicht merken möchte. Die Tatsache, dass beim STUCK! die Menschen, im Publikum und auch anderswo, gut und schön und über alle Zweifel erhaben sind, ist schon an anderer Stelle erwähnt worden. Und: Wer seine Party aber so wirklich gut gerockt bekommen möchte, möge HVOB buchen. Beim STUCK! ist es geschehen. Am Ende steht folgendes: In Wien, zum Beispiel, Leute, gibt es so ein Festival nicht.