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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

3. 8. 2013 - 11:12

"Die Touristen nerven mich mehr"

Im Berliner Sommerloch wird ein nicht gerade neues Thema hochgespielt: Weiche Drogen im Görlitzer Park.

Es ist heiß in Berlin - kein Wunder, im August ist nun mal Hochsommer und wir erleben gerade die Hundstage. Gleichzeitig mit den Hundstagen kam dieses Jahr das Sommerloch in Berlin an, auch bekannt als Saure-Gurken-Zeit. Eine Zeit in der recht wenig los ist und die Medien gerne kleine Ereignisse aufbauschen und hochkochen.

So ist es auch dieses Jahr. NSA und NSU sind durch, Snowden hat den Moskauer Flughafen verlassen, und trotz der Hitze ist noch kein Rekordsommer auszurufen. Bis jetzt gibt es keine Hitzetoten - über was soll man da groß schreiben, über was sollen sich die Kommentatoren ereifern?

Zum Glück kam letzte Woche die sensationelle Meldung, „Sitzen ist das neue Rauchen“ durch. Der Artikel aus dem Harvard Business Manager
wurde unzählige Male abgeschrieben und übernommen. Aber diese eher globale Schocknachricht konnte das Sommerloch nicht lange füllen. Denn jede Stadt und jede Lokalredaktion braucht ihr eigenes Sommerlochthema. In Berlin hat man nun eines gefunden: Die Dealer vom Görlitzer Park.

goerlitzer park

Christiane Rösinger

Chillen, grillen, stillen: alles geht im Görlitzer Park

Wie so oft bei der Sommerberichterstattung muss sich der unbedarfte Zeitungsleser wundern. Dealer im Görlitzer Park? Das Thema ist ungefähr so neu wie der tägliche Sonnenuntergang und der Görlitzer Park inmitten Kreuzbergs ist seit seiner Entstehung nicht gerade ein Blumenwunder, ein Rentner- oder Kinderparadies, sondern ein Phänomen.

Auf 14 Hektar zertrampelter Grünfläche tummeln sich jede Menge Hunde, Kleinkinder, Jogger, Alkoholiker, Fahrradfahrer, Kiffer, Golf- und Frisbeespieler, Musikanten, Skater, Dealer, Touristen, dazu kommen mehrere Bolz- und Spielplätze, ein Fußballplatz, ein Café, eine Schwarzlicht-Minigolfanlage, ein kleiner See und ein ganzer Kinderbauernhof. Am Wochenende besetzen grillende Großfamilien den Platz, Hare Krishna-Mönche gehen chantend auf den Wegen, die Partyleute bauen ihre Techno-Soundsystems auf. Manchmal wohnen Roma-Familien im Park, manchmal gibt es Stress unter den Dealern, viele Parkbesucher regen sich über den Dreck und die Abfallmengen nach einem Wochenende auf. Aber im großen Ganzen lieben die Kreuzberger ihren Park und im Dokumentarfilm „Der Adel vom Görlitz“ wird der Park als Insel der Toleranz gepriesen.

Wie auch in anderen Städten und Gegenden der Welt wird der Besucher an manchen Stellen im Park angesprochen, ob er vielleicht Gras oder Haschisch kaufen will. Falls man keinerlei Kaufabsicht verspürt, verneint man und läuft weiter – eigentlich kein Problem.

goerlitzer park

Christiane Rösinger

Die Polizeipräsenz wird von den meisten Besuchern als störender empfunden als die Dealerei.

Seit Neuestem ist das für manche Menschen aber wohl doch ein Problem, sie sind verunsichert und haben Angst, wenn sie angesprochen werden. Manche werden wohl noch ängstlicher, wenn sie von nicht-weißen Menschen angesprochen werden. Wer so ängstlich ist, für den müsste dann eigentlich unser ganzer Stadtteil Kreuzberg angsteinflößend sein.

Auf jeden Fall geben die Dealer im Görlitzer Park ein prima Sommerlochthema ab. Konservative Politiker schlagen Alarm, fordern Razzien und ständige Überwachung, obwohl selbst die Polizei einräumte, mit reiner Polizeipräsenz wäre das Problem nicht zu lösen. Die Berliner Grünen haben nun die Idee der Coffeeshops ins Spiel gebracht, schließlich wird bald gewählt und ein paar Kifferstimmen könnten den Grünen nicht schaden. Durchsetzbar ist dieser Vorschlag sowieso nicht, weil zur kontrollierten straffreien Ausgabe von Haschisch und Marihuana die rechtlichen Voraussetzungen in Deutschland fehlen. Die Idee mit den Coffeeshops ignoriert außerdem, dass das eigentliche Problem mit der Dealerei ganz woanders liegt. Bei den Dealern im Görlitzer Park handelt es sich zum Großteil um Flüchtlinge mit ungesichertem Aufenthaltsstatus, sogenannte „Illegale“, was auch der „Spiegel“ in einem Hintergrundbericht schreibt.

Ihnen steht kaum eine legale Möglichkeit offen, Geld zu verdienen, um akzeptabel leben zu können. Wer gegen Drogenhandel und und Kleinkriminalität vorgehen will, muss dafür sorgen, dass die Dealer vom Görlitzer Park mit legalen Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen können. Dazu müsste zunächst der Deutsche Bundestag die Einwanderungsgesetze reformieren – die zur Zeit geltenden Gesetze legen fest, dass Flüchtlinge und Asylsuchende von legalen Arbeitsmöglichkeiten ausgeschlossen sind.

Görlitzer Park

Christiane Rösinger

Bei all der Aufregung um den Park fragt man sich: Wenn sich der Park nicht verändert hat, haben sich die Anwohner verändert? Gibt es mehr Familien, mehr Touristen, die sich an der Dealerei stören?

Andererseits gibt es unter den vielen verschiedenen Parknutzern auch große Schnittmengen, zum Beispiel den Familienvater, der hier auch sein Gras kauft. Die Partyleute nehmen das Angebot sowieso dankend an und vor allem die amerikanischen Touristen finden es herrlich verrucht, dass man in dem verrückten Berlin in den Parks weiche Drogen kaufen kann.

Letzte Woche zog ein Kamerateam des Regionalfernsehens auf der Suche nach alarmierten Bürgern durch den Park. Die eingefangenen Stimmen gingen dabei in eine ganz andere Richtung, als die gewohnte Berichterstattung. Die Parkbesucher fühlten sich eher wegen der vermehrten Polizeipräsenz verunsichert oder winkten gleich ab: „Die Touristen nerven mich mehr als die Dealer“.