Erstellt am: 1. 8. 2013 - 18:15 Uhr
Schreiben über Pop
Vielleicht wird mit der Zeit dann doch alles gut? Die Milde des Alters? Man gewöhnt sich an einstige Feinde; viel mehr ist freilich wahr, dass sich Positionen und Sichtweisen ändern (können). Der gute alte Blixa Bargeld gilt längst schon als Personifizierung des „Künstlertypen“, der auch vom so genannten Mainstream als solcher identifiziert wird – beispielsweise wenn er im Dienste der komischen Opposition in Werbespots für einen Baumarkt auftritt. Dass Bargeld zwischen Metall-Krach, Wüterich-Rock, geflüsterten Balladen, weirder Poesie, Soundforschung und Theater-Theatralik mit den Einstürzenden Neubauten und Nick Caves Bad Seeds sowie unzähligen anderen Unternehmungen im Laufe der Jahre Beachtliches, Merkwürdiges, Verstörendes und auch Gutes vollbracht hat, ist kaum – man mag von ihm halten was man will – bestritten.
Anlässlich ihres aktuellen gemeinsamen Albums "Still Smiling" hat das "Magazin für Popkultur" SPEX Blixa Bargeld und den Filmkomponisten Teho Teardo für die Juli/August-Ausgabe zur Teilnahme an der Rubrik „Vorspiel für“ geladen: Eine Art Blind Date, währenddessen den Geladenen Musikstücke vorgespielt werden, die daraufhin erkannt und kommentiert werden sollen. Die SPEX titelt: "Blixa Bargeld – Im Vorspiel: Weiß alles, kennt alles. "
SPEX - Das Buch
"SPEX – Das Buch – 33 1/3 Jahre Pop" ist vor einigen Monaten erschienen, sich durch diesen 450 Seiten starken Ziegel zu arbeiten braucht Zeit. Der von Anne Waak und Max Dax im Metrolit Verlag herausgegebene Band versammelt 73 - wie es im Zusammenhang mit dem einen oder anderen Beitrag wohl etwas zu gut gemeint heißt – "Schlüsseltexte" verschiedenster Autoren und Autorinnen aus den Jahren 1980 bis 2012. Das beginnt bei Joy Division und endet mit einem Interview mit Penny Martin, der Chefredakteurin des Modemagazins Gentlewoman.
Dabei dokumentiert dieses bemerkenswerte und für jeden ein bisschen an Popkultur interessierten Menschen nahezu unverzichtbare Buch vor allen Dingen auch den Wandel im Denken darüber, was Popjournalismus sein kann und muss. Mit welcher Sprache und mit welchem Selbstverständnis den Feldern Musik, Kunst, Film, Literatur, Mode, Politik und allem dazwischen denn eventuell beizukommen wäre.
Metrolit
Ein weniger wohlwollender Text als heutzutage über Blixa und die Neubauten von Clara Drechsler aus dem Jahr 1985 beispielsweise strotzt vor dem gesunden Wissen davon, dass man es eben besser weiß als all die anderen. Ein starkes Wort, das sich als Losung durch das Buch schlängelt, ist das der "Behauptung": Eine Position, eine Meinung, die – freilich nicht ohne Berechtigung blind aus der Luft gezogen – ohne Angst vertreten werden muss oder immerhin kann. Der Text über Bargeld ist einer der wenigen im Buch, die ihrem Thema eher mit Ablehnung begegnen:
"Es gab Zeiten, in denen die Spex-Redaktion geschlossen gegen die Einstürzenden Neubauten Stellung zu beziehen beliebte. Im Gegenzug sonderte Blixa gerne missverständliche, scheußliche, wahnsinnig provokative Interviews ab. So war es gut. Nun, da wie einfach mal Burgfrieden voraussetzten (nicht zu harmonisch!) und interessante Worte des Blixa abdrucken wollten, entzieht er sich unserem Zugriff. Verdient unser Wohlwollen diese Strafe? Vielleicht ja: Wieso sollte es uns gedankt werden, dass wir mittlerweile zu faul sind, den krankesten Act des Landes abscheulich zu finden man hat’s nicht besser verdient."(Clara Drechsler, S. 87)
Bargeld ist also immer noch da und in irgendeiner Form immer noch wichtig. So bildet die Textauswahl auch insgesamt ein Panorama des „Relevanten“ ab. "SPEX – Das Buch" dokumentiert so einen Kanon. Es gibt hier Geschichten über Throbbing Gristle und Madonna zu finden, über die Beastie Boys, Beck, The Fall und My Blood Valentine. Früh wird diese komische neue Musik und Szene namens "Techno" beleuchtet, genauso aber auch über AC/DC, Duran Duran oder die frühen Guns N‘ Roses geschrieben. Ein paar Texte mehr über Bands und Künstlerinnen, die die Geschichtsschreibung vergessen hat, hätte man sich gewünscht.
Sehr gut zu verstehen, was und warum Spex gewesen ist, warum dieses Magazin für sehr viele Menschen auch identitätsstiftend war, ist anhand eines großartigen sogenannten „Talk am Tresen“ zwischen Kerstin und Sandra Grether, Diedrich Diederichsen, Christoph Gurk, Jörg Heiser und Mark Terkessidis zum Thema "Kurt Cobain – Der erste MTV-Tote" aus dem Jahr 1994:
"Damit kann man auch den Unterschied zwischen Nirvana und Guns N‘ Roses erklären. Guns N‘ Roses stehen im Grunde genommen für Faschisierung, das Ergebnis von Arbeitslosigkeit und den üblichen Reflexen, die passieren bei einer herabgesunkenen Mittelklasse, eben in Richtung Faschisierung. Nirvana stehen für den andern Weg, für Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit, ohne Faschisierung, sondern zum Beispiel mit anti-sexistischen Inhalten. Das ist der andere Weg, und dieser Weg ist im Falle von Nirvana im Selbstmord geendet." (Diedrich Diederichsen, S. 223)
Das Konzept "Popkulturmagazin auf gedrucktem Papier" im Allgemeinem, speziell auch mit primärer Ausrichtung "Musik" hat bekanntlich arg gelitten in jüngerer Vergangenheit. Auch wenn die Spex aktuell wieder zu guter Form gefunden hat, die Themenkomplexe weiter spannt, Zusammenhänge aufspürt und mehr und mehr von der Idee des Musik-Empfehlungskatalogs wegkommt, merkt man einigen neueren Texten im Buch doch den Mangel an Radikalem, an wilden Ideen und der forschen Installierung von Thesen an. Vielleicht hat man sich ein bisschen – insgesamt, allumfassend, nicht wegen Spex - an einen braven Musik-Journalismus gewöhnt. "SPEX – Das Buch – 33 1/3" sagt, dass es anders geht.
Ein Buch, das je nach Wetterlage Hoffnung macht oder die Nostalgie wachkitzelt. Dass in "SPEX – Das Buch – 33 1/3 Jahre" zwar begrüßenswerter und selbstverständlicher Weise oft Frauen als Autorinnen zu Wort kommen, jedoch Künstlerinnen selbst bloß sehr, sehr, sehr selten, in verschwindend geringem Ausmaß, auch Thema der Texte sind, stimmt ein wenig betrübt.