Erstellt am: 31. 7. 2013 - 19:21 Uhr
Das Popfest vom FM4 Stand aus betrachtet
Sie heißt Silvia. Leider durfte sie nur drei Tage lang meine Chefin sein, während des Popfestes. Aber dank ihr konnte ich die 40-Grad Hitze im FM4-Stand irgendwie aushalten.
Silvia wußte alles über die Größen der verkauften T-Shirts und konnte sie sehr gut wieder zusammenfalten. Da ich seit frühem Kindesalter an ein Problem mit dem Zusammenlegen von T-Shirts habe, respektiere ich jeden, der es gut kann. Sonst studiert Silvia an einer Kunstakademie. Dort macht sie Performances.
Die Arbeit am FM4-Stand war auch eine Performance. Zum Stand kamen viele Stadtbewohner und Touristen. Das Verhalten der Leute auf so einem Stand kann als eine Psychologiestudie dienen. Eine italienische Touristin wollte alle T-Shirt-Modelle ausprobieren. Sie studierte sorgfältig, was auf ihnen stand. Eigentlich sprach sie weder Deutsch noch Englisch und die ganze Kommunikation mit ihr verlief paralinguistisch – durch Zeigen und irgendwelche Laute. Es blieb ein Geheimnis für mich, warum sie die Aufschriften so sorgfältig studierte. Eine neugierige Frau. Nachdem sie alle T-Shirts ausprobiert hat, kam plötzlich ihre Freundin und die ganze Zeremonie mit dem Ausprobieren fing wieder von vorne an. Ob sie wohl jetzt in Siena oder Mailand mit einem „You´re at home baby!“-T-Shirt spazieren gehen?

janina dragostinova
Die chinesischen Touristen interessierten sich am meisten für die Falt-Karte, aus der man einen Smartphonehalter bauen kann. Ich frage mich, was sich die chinesischen Touristen für Souvenirs kaufen, wenn sie durch die Welt reisen. In jedem Souvenirgeschäft auf der Welt, egal was man sich dort kauft – ein Mini-Eifelturm, ein Empire State Building oder eine afrikanische Maske, der Stempel „Made in China“ wird wohl überall zu finden sein.
Die Stamm-FM4-Hörerschaft kaufte sich CDs. All diese jungen und nicht mehr so jungen Leute waren Riesenexperten, was ihre Lieblingsmusik angeht. Es ist manchmal sehr schön, deinem Publikum ins Gesicht zu sehen. Außerdem sagte Silvia immer: „Mit Todor verkauft das erste Mal wer am Stand, der tatsächlich im Radio zu hören ist!“ Sagte ich euch schon, dass Silvia eine Traumchefin ist?
Die Wiener und Wienerinnen hatten die Möglichkeit, das ganze Wochenende beim wunderschönen Popfest abzurocken. Immer wenn eine Band die Menge in ihren Bann zog, blieben wir kurz ohne Kunden. Dann sprachen wir miteinander. Silvia erzählte mir von ihrer Geburtsstadt Hollabrunn. Sie findet Hollabrunn meist langweilig. So langweilig, dass das einzige Spannende, das dort passiert ist, das Abfackeln der lokalen Disko war. Das macht Hollabrunn aber nicht interessanter, nur alle linken anarcho-liberalen Jugendlichen wurden von der Polizei verhört.

janina dragostinova
Ich erzählte ihr von Sofia, wo es gar nicht langweilig ist. Zum Beispiel wird das Parlament die letzten zwei Monaten ständig belagert und die Polizei nimmt nur diejenigen, die Steine darauf werfen mit. Silvia und ich stritten, wo es schöner ist zu leben – im langweiligen Niederösterreich oder im interessanten Sofia. Es gibt eine altes chinesisches Sprichwort: „Der größte Fluch ist es, in interessanten Zeiten geboren zu werden.“
Die meisten Leute, die beim Stand vorbeikamen, sahen glücklich und geistreich aus. Sie genossen das Leben. So wie ein rumänisches Romakind, das sich jede Menge FM4-Sticker holte und sich einen nach dem anderen aufs Gesicht geklebt hat. Es lachte über seine Kreativität. Und das war auch eine Art Performance.
Mir blieb nicht die Zeit zu fragen, was für Performances Silvia eigentlich macht. Dafür muss ich mich bis zum nächsten Popfest gedulden. Darauf wartet auch ganz Wien. Nur hoffentlich ist es dann nicht so höllisch heiß.