Erstellt am: 29. 7. 2013 - 16:05 Uhr
Schlanker elektronischer Flüsterpop
Artist of the Week
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Langsam möchte man ein bisschen auf einen Dance-Producer warten, der, wenn es darum geht, sein erstes Artist-Album vorzulegen, auch im Langformat tut, was er für gewöhnlich in der Kurzform, der 12", praktiziert: Durchschlagende Tools für den Floor schmieden nämlich. Vielleicht für den Longplayer dann eben acht, neun die Sechs-Minuten-Marke überschreitende und clubkompatible Tracks zu einer mächtigen Waffe bündeln.
Mittlerweile sieht jedoch jede und jeder zweite üblicherweise im Dienst der heiligen Bass-Drum stehende Beat-Konstrukteur die heilige Form "Album" als zwingende Aufforderung, die schnöden Anforderungen des Dancefloors hinter sich zu lassen: Auf dem Longplayer muss experimentiert werden, es wollen echte Songs geschrieben und vielleicht eine ganze Band samt Tuba und singenden Sägen ins Studio geholt werden, zwischendurch werden seltsame Freak-Outs oder sachte vor sich hin gleitende Ambient-Passagen eingeschoben.
Ein Album soll die Aufgabe erfüllen, das sicherlich nicht weniger als enorme Möglichkeits-Spektrum eines Künstlers abzubilden. Es muss sagen: "Hallo, ich kann mehr als immer bloß Bumm-Tschakk!" Schön ist das, wilde Winkel sollen erforscht werden, Meisterwerke und Abenteuerspielplätze zusammengeschraubt werden, der Techno-Typ möge als feinsinniger Sound-Autor im Künstlerschal zu hohen Weihen emporsteigen. Allein: Von einer Überraschung oder unerwarteter Abkehr soll in derlei Fällen vielleicht nicht mehr gar so oft gesprochen werden. Dieses Unerwartete, dass da jemand plötzlich ein bisschen etwas anderes macht als zuvor, ist das Erwartbare.
I/AM/ME
So ist das vor Kurzem erschienene Debütalbum von Maya Jane Coles auch kaum eine, wie vielerorts behauptet wird, Überraschung: Die englische Musikerin mit japanischen Wurzeln hat ihren ersten – und sehr guten – Longplayer "Comfort" genannt, und eventuell ist sie der zuhörenden Welt auch nicht allzu böse, wenn diese diesen Titel gleich als eine kleine Einladung versteht, es sich in der kuscheligen Soundarchitektur der Künstlerin bequem einzurichten und gemütlich zu machen.
Die gerade einmal 25-jährige Maya Jane Coles kann einen gehörigen, vor prunkvollen Daten nur so strotzenden Lebenslauf vorweisen und ist – man muss es leider da und dort doch immer wieder vermerken – innerhalb eines von Männern dominierten elektronischen Tanzboden-Universums einer der wenigen echten weiblichen Stars. Superstars eigentlich. Maya Jane Coles hat schon gut drei Handvoll EPs und 12"s – meist im eng gesteckten Spannungsfeld zwischen Deephouse und mellow, melodiösem Techno – gefertigt, die ihren Weg in die Herzen nicht weniger Tänzerinnen und Tänzer und die Taschen nicht weniger DJs gefunden haben.
Sie hat etliche Remixe gebastelt, unter anderem für solch gute Menschen wie The xx, Little Dragon, Tricky oder Florence and the Machine und einen formidablen Beitrag für die renommierte "DJ-Kicks"-Reihe gestaltet. Das genügt nicht: Unter der Alias Nocturnal Sunshine widmet sich Coles dem Dubstep, zudem betreibt sie mit ihrer Kollegin Lena Cullen ein Live-Duo mit dem schönen Namen She Is Danger. DJ, Produzentin, Multiinstrumentalistin – und jetzt auch Sängerin.
Maya Jane Coles hat in ihr Debütalbum "Comfort" ihr bisheriges Schaffen gegossen und so, man ahnt es vielleicht, eine feine, reduzierte Pop-Platte gedrechselt, die sich durch die für sie übliche schlanke Produktion auszeichnet. Das Fundament bleibt auf "Comfort" House, hier jedoch im Gegensatz zum Track für den Floor zärtlich in das Schema "Song" geformt. Die meisten der 12 versammelten Stücke spielen sich im Rahmen der handlichen 4-Minuten-Dosis ab, immer wird hier gesungen bzw. geflüstert, mit Vocals geschmückt.
Maya Jane Coles hat auf "Comfort" alles selbst eingespielt, miteinander verschweißt, produziert und aufgenommen. Das Cover hat sie gemalt, die Platte erscheint auf ihrem eigenen Label I/AM/ME. Auf einigen Songs singt sie selbst, es ist ein zerbrechliches, gleichzeitig ausdrucksstarkes und extrem selbstsicheres Hauchen. Für gut die Hälfte der Stücke hat sie Freundinnen und Freunde für Gast-Vocals ins Studio geladen: Miss Kittin beispielsweise, den guten alten Tricky oder die englische Songwriterin Nadine Shah, die ebenfalls gerade erst ein sehr schönes Debütalbum veröffentlicht hat.
Große Schwankungen in Qualität und Stimmung sind auf "Comfort" jedoch nicht zu verzeichnen. Die Nummern mit der großartigen Kim Ann Foxman (ehemals Hercules and Love Affair) bzw. der schwedischen Musikerin Karin Park dürfen zwar als die Hits des Albums gelten, insgesamt aber lebt die Platte von einer wohligen Homogenität. Es ist ein konstantes, wärmespendendes Glimmen in den Farben Purpur und Dunkelviolett. "Comfort" ist durchwegs minimalistisch angelegt: Es wabert, blubbert und brodelt ein wenig, trocken schlägt der Beat auf poröse Oberflächen, ab und an erklingt eine Gitarre. So gelingt Maya Jane Coles ein angenehm vor sich hinwogendes Pop-Destillat, das sie aus House, Dub und Dubstep und der angejazzten Benebeltheit von TripHop gewonnen hat.
Maya Jane Coles
Eine karge und düstere Platte, die lieblich summt, ein bisschen hustet und zischt, die einlullt, aber auch innere Unruhe stiftet. Zugegeben: Ein Album des Jahres ist diese dennoch ganz und gar wunderbare Platte, die "Comfort" ist, noch nicht geworden. Es ist ein erster Blick, ein Kratzen an der Oberfläche, ein weiterer Beweis, dass die Welt es bei Maya Jane Coles mit einer außergewöhnlichen und verehrenswürdigen Künstler-Persönlichkeit zu tun hat. Ein Mensch mit Plan, eigener Handschrift, Idee und Identität.
Sanft entschlummern wir und träumen mit Gewissheit von einer von Maya Jane Coles ein bisschen angenehmer gemachten Zukunft.