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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 7. 2013 - 19:44

Wie wir leben wollen

Eine Verbeugung vor "Enlightened": Eine Serie als niederschmetterndes, witziges und im besten Sinne merkwürdiges Manifest, das sagt, dass die Welt doch auch besser sein könnte. Eine Serie des Jahres.

"Enlightened" ist eine Serie über eine Frau, die nach einem heftigen Einschnitt im Leben ihren Platz in der Welt neu finden muss - und auch vor allen Dingen: will. Dabei möchte sie aber gleich am liebsten auch die ganze Welt mitumkrempeln. Die von HBO produzierte, dieses Jahr nach nur zwei schlanken Staffeln trotz bester Kritiken aufgrund schwacher Zuschauerzahlen eingestellte Show "Enlightened" gehört zum Besten und Eigensinnigsten, was in jüngerer Vergangenheit an Fernsehserien zu erleben gewesen ist. Am Ende des Jahres wird dieses kleine zerbrechliche Stück Kunsthandwerk in den Rankings wohl nicht in Top-Positionen zwischen den unvermeidlichen Schlachtschiffen "Mad Men", "Game Of Thrones", "Top Of The Lake" oder "Breaking Bad" aufscheinen - dafür ist "Enlightened" vermutlich zu seltsam, zu schwer einzuordnen und zu unbomastisch. Leise ist "Enlightened" jedoch auch nicht, nicht selten lebt die Show von absurder Überhöhung.

Die zweite Staffel von "Enlightened" erscheint im August auf DVD, Staffel 1 gibt es schon.

Ganz am Anfang von "Enlightened" steht der Nervenzusammenbruch von Amy Jellicoe, famos von der famosen Laura Dern (auch Mitentwicklerin und Co-Produzentin der Serie) dargestellt. Ausgelöst haben den in allen Farben mit verlaufenem Mascara und Gekreische an den Grenzen des Ertragbaren inszenierten Kollaps Intrigen im Job, ein kleiner Sexskandal ebendort, genereller Arbeitsstress und wohl auch die Tatsache, dass Amy diversen Tabletten und Pülverchen nicht abgeneigt sein dürfte. Und auch der Umstand, dass einige Schicksalsschläge in der Biografie von Amy schlummern.

Mike White, Laura Dern

Enlightened

Enlightened: Mike White, Laura Dern

Wie Amy Jellicoe vor dem Absturz war, davon erfährt man nur wenig. Im Kosmetik-Konzern Abbadon war sie in mittlerer Position durchaus erfolgreich und hauptsächlich an den schönen Seiten des Kapitalismus interessiert. Jetzt aber ist sie ein ganz anderer Mensch geworden: Sie war auf Rehab auf Hawaii, sie hat eine Riesenschildkröte im Meer erblickt und diese außerweltliche Sichtung als magisches Zeichen gedeutet. Sie hat durch Meditation die Erleuchtung und zu sich selbst gefunden. Amy Jellicoe will jetzt die Menschheit zum Besseren führen.

Ihren früheren Job bei Abbadon hat sie zwar verloren, jedoch die Anstellung in einem stumpfen Alibi-Job ganz unten im Keller ihres alten und neuen Arbeitgebers erwirken können. Da wo die Strafversetzten, die Unvermittelbaren und die Verlorenen weltvergessen und müde Daten in ein System einspeisen müssen. Ein System, so erfahren wir später, dessen Ergebnisse für Arbeitszeit- und Arbeitsplatzoptimierungen, will heißen Entlassungen, herangezogen werden sollen.

Enlightened

Enlightened

Enlightened: Laura Dern, Luke Wilson

"Enlightened" findet einen Ton, den man so noch kaum gesehen und gehört hat. Ein ganz eigener und auch eigenartiger Vibe an der Schnittstelle von Comedy und Drama. Neben einigen wunderbaren Nebenfiguren trägt Laura Dern die Serie nahezu alleine. Sie manövriert ihren Charakter fein nuanciert, dann wieder alle Register der lustvollen Zuspitzung ziehend in Situationen von höchster Depression und leisem Humor. In Momente von glühender Zuversicht und absoluter Verzweiflung. Sehr oft ist es kaum mitanzusehen, wie Amy sich in ihrer lebensbejahenden Verblendetheit in Szenen begibt, die das hässliche Wort "Fremdschämen" neu definieren. Wenn sie beispielsweise immer wieder, gutgläubig und stets wohlmeinend, nicht und nicht wahrhaben will, dass die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, viele sind ihr in den Rücken gefallen, nun doch wirklich nicht mehr ihre Freunde sind.

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Oft ist es nicht leicht Amy Jellicoe zu mögen: Sie ist über die Maßen egozentrisch und eine Dramaqueen. Sie will zwar das Gute für die Welt, sie will aber eben auch diejenige sein, die es bewirkt hat. Wenn sie gegen Abbadon in den Kampf zieht, um dunkle, immerhin amoralische und unethische, vermutlich auch illegale Machenschaften des Konzerns aufzudecken, werden Amys Motive zwischen tatsächlichem universellen Idealismus und privater Rache nicht klar. Es wird wohl beides sein. In ihrer Darstellung dieser zerrissenen Figur stehen Laura Dern vor allem, allesamt ergreifend, Diane Ladd (Derns tatsächliche Mutter) als Amys Mutter, Luke Wilson als Ex-Mann Levi und Mike White, der auch das gesamte Drehbuch geschrieben und bei mehreren Folgen Regie geführt hat, als nerdiger und schüchterner Kollege und (Zwangs-)Verbündeter Tyler zur Seite.

"Enlightened" ist so nicht bloß eine Serie über eine Frau, wie es offiziell heißt, "on the verge of a nervous breakthrough", sondern auch eine Serie über Klassen und Rasse. Über Wirtschaft, über Ausbeutung, über Umweltaktivismus. Eine Serie über das schwierige Verhältnis zwischen einer Mutter und einer Tochter, das schwierige Verhältnis zwischen einer Frau und ihrem an Drogen und Alkohol langsam kaputtgehenden Ex-Mann, den sie nach wie vor - wie auch alle anderen - zu retten versucht. Es ist eine Serie, die bisweilen, in manch kurzem Momenten, die hochstilisierte Komik eines Films von Wes Anderson versprüht, dann wieder in weihevoller Bedeutsamkeit daliegt, gerade so als hätte Terrence Malick einen Werbefilm über ein glühend heißes, immer vor Geschäftigkeit und bestem Wetter strotzendes Kalifornien gedreht. Nicht zuletzt handelt "Enlightened" davon, dass es Frauen nach wie vor schwerer haben in dieser Welt.

Großartig ist dabei, dass "Enlightened" keinen - wie das sonst oft so üblich ist - zynischen und herablassenden Blick auf Esoteriker, Hippies und Weltverbesserer wirft, sondern im Zuseher das Verlangen erweckt, nun doch endlich selbst ein besserer Mensch werden zu wollen. Wem bei "Enlightened" nicht ab und zu (= in jeder Episode) das Wasser in die Augen steigt, hat eventuell ein Herz aus Kalk. Bei aller Melancholie und Schwermut vibriert "Enlightened" vor Optimismus. Es ist noch nicht zu spät.