Erstellt am: 28. 7. 2013 - 15:40 Uhr
Liebe in Zeiten der Krise
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
"Das Private ist politisch" oder auch die "Politik der ersten Person" war Ende der 60er, Anfang der 70er ein, vor allem in der Frauenbewegung, wichtiges Konzept, mittlerweile ist es zum hohlen Stehsatz verkommen: "Das Private ist auch politisch" sagen beispielsweise betulich agierende Schauspieler in Interviews, wenn ihnen nichts mehr einfällt. Kaum jemandem jedoch gelingt eine so sinnstiftende - und auch spaßbringende - Verschränkung von Sozialkritik, Liebesgeschichte, purem Hedonismus und Politik wie den guten alten Pet Shop Boys.
Mit ihrem neuen, zwölften Album namens "Electric" ist Chris Lowe und Neil Tennant eine Rückkehr zu alter Form, ein großer Wurf geglückt. Neun Stücke haben die Pet Shop Boys mit Unterstützung von Superproducer Stuart Price, der schon Madonna oder Kylie Minogue clubtauglich aufpoliert hat, aufgenommen. Neun Stücke, in der Mehrheit von längerer Spieldauer, die sich eher an auf 12" veröffentlichten Clubtracks denn an knappen Popsongs fürs Radio orientieren. Die Edits werden aber wohl schon noch kommen.
Pet Shop Boys
Fast schon muss man sich wundern, dass das neue Album der Pet Shop Boys ihr erstes sein soll, das sich "Electric" nennt. Dieses Mal ist dieser Titel jedoch besonders treffend: Die Platte kann als Reise durch die Geschichte der elektronischen Musik gelesen werden - aber auch als Verwirrspiel mit deren Zeichen. Im Eröffnungsstück "Axis" werden hier beispielsweise ganz deutlich Kraftwerk, die Überväter, zitiert, die Munich Disco von Moroder spricht aus dieser Platte, dann wiederum werden zwischen Synthie-Pop und New Romantic beheimatete Bands wie Visage oder The Human League angerufen.
Das Stück "The Last To Die" ist im Gegenzug eine Coverversion von Bruce Springsteen, der immer gern ins Feld geführten Personifizierung von allem Echten und Hart-Arbeitenden, und überführt den Boss also so kunstvoll unter die Glitzerkugel. Die Abschlussnummer "Vocal" ist eine Hymne auf die Musik und den Tanz schlechthin, dargereicht im Gewand einer Frühneunziger-Rave-Pop-Nummer mit House-Thema. Zwischendurch flirten die Pet Shop Boys mit Euro-Disco und auch -Trash. Das alles ist sehr lustig und nicht so gelackt-bemüht wie beispielsweise die letzte Platte von Daft Punk.
Auch die Nummer "Love Is A Bourgeois Construct" ist musikalisch interessant gestaltet, komplett mit Seemanns- oder hier wohl eher dem Thema entsprechend Arbeiterchören wie einst in "Go West" und geshredderten und in den Häcksler geschmissenen Vocals - den Song aber jetzt schon zu einem neuen Klassiker im Kanon der Pet Shop Boys machen die Lyrics: Neil Tennant, so erzählt er uns in "Love Is A Bourgeois Construct", lässt es sich gut gehen. Er legt die Beine hoch, übt sich in Arbeitsverweigerung und Faulheit. Er leuchtet lustvoll die Grenzen der Langeweile aus.
Eine geliebte Person hat ihn verlassen - "Besser so!" sagt sich Tennant, diese komische Liebe ist ja ohnehin nur ein Konzept des Bürgertums. Während also draußen in der Welt des Kapitalismus "the bankers get their bonuses", liest sich unser Held lieber wieder einmal in Karl Marx ein. So enthält dieses Stück witzige Brisanz, weil die Pet Shop Boys freilich gleichzeitig als Pop-Linke wie als gehobener Pop-Adel gelten. Der Erzähler in "Love Is A Bourgeois Construct" lehnt also die Liebe und die Bourgeoisie ab, jedoch - so fügt er später hinzu: "Until You Come Back To Me". Selbstbeschwichtigung, ein Song über den Fuchs, der über die Trauben, die er nicht erreicht hat, weiß, dass sie ohnehin sauer gewesen wären. Genauso aber ein Song über die Suche nach einem alternativen Lebensmodell.