Erstellt am: 27. 7. 2013 - 09:17 Uhr
Wenn die Sonne Hollywoods erdrückend wird
Karma Police ... *
* Die Musik, die Gerald Hartwig durch die 90er begleitet hat, fließt auch in die Graphic Novel ein.
"Karma Police" von Radiohead etwa müsste unbedingt auf den Soundtrack zu diesem autobiographischen Comic.
Gerald Hartwig ist 19 Jahre alt, als er 1993 nach Los Angeles fliegt um seinen großen Lebenstraum zu erfüllen: er will irgendwas mit Film machen. Mit viel Enthusiasmus und wenig Plan versucht er im Filmbusiness und in seiner Traumstadt, "an der Quelle des Wahnsinns" Fuß zu fassen.
gerald hartwig
I've given all I can ...
Erstaunlich offen und durchaus verletzbar erzählt er in der Graphic Novel "Chamäleon" von seinem Alltag, seinen Eindrücken und Vorstellungen. Es entsteht eine sympathische Mischung zwischen bemitleiden, bedauern und bewundern. Etwa, wenn er gleich nach seiner Ankunft einen Brief an Arnold Schwarzenegger schreibt:
gerald hartwig
"Dear Arnold!
I am from your town, Graz. (...)
Ich möchte Ihnen schreiben, weil Sie für mich ein Vorbild sind. Nein, ich bin kein Bodybuilder, aber ich bin in Los Angeles angekommen, weil ich Film liebe und beim Film arbeiten möchte. Vielleicht können Sie bei einem Ihrer zahlreichen Filmprojekte einem Landsmann die Türe aufmachen. (…)
Sie können mich noch etwa zwei Wochen nach Erhalt dieses Briefes hier in der Jugendherberge erreichen. (…) Danke für alles,
Ein Grazer Gruß."
Der Grazer Gruß habe erstaunlicherweise überhaupt nichts gebracht, lacht Gerald Hartwig. "Das war ihm völlig wurscht."
It's not enough ...
Kein Schwarzenegger, dafür zwei dubiose Typen, die mit ihm ein großes Filmding abziehen wollen und für ein besseres Arbeiten auch gleich mit ihm zusammenziehen. Die Wohnung läuft natürlich auf Gerald. Man ahnt schnell, dass das nicht gut gehen kann.
Es scheint, als hätte Gerald keine Falle ausgelassen. Er vertraut den falschen Leuten, setzt Projekte in den Sand, es gibt Verwechslungen, dazu kommen Prostituierte, komplizierte Frauengeschichten, diverse Drogen, ein zu lockerer Arbeitsstil.
gerald hartwig
Vom großen Traum entfernt er sich immer weiter. Gerald sieht das rückblickend aber vielmehr als eine Art "Realitätscheck". L. A. sei die Stadt der Träume. Ein Traumziel, das jeder aus Filmen zu kennen glaubt. Er habe aber ein Buch geschrieben, dass die Geschichte der Mehrheit dort zeigt. "Weil die meisten Leute scheitern nämlich." Der große Traum ist möglicherweise das Scheitern.
I've given all I can ...
luftschacht verlag
Die Kluft zwischen seinen Erwartungen und der Realität waren gigantisch und der Mythos Hollywood hat sich als Irrtum entpuppt. Aber der Traum sei nicht irgendwie geplatzt, sondern schleichend zerbröselt, reflektiert Gerald. Man passe sich an Gegebenheiten an, auch wenn die schlechter werden.
Im Jahr 2000 gibt es eine Szene in dem Comic, in der er auf einem Stein sitzend den Sonnenuntergang beobachtet und zur Erkenntnis kommt: "Die Sache mit dem Land, wo es keine Jahreszeiten gibt: Man empfindet die ewige Sonne irgendwann als kalt. Alles erscheint gleich, eintönig. Mir fehlt die Vorfreude auf schöne Zeiten bei Schlechtwetter. Also beginnt etwas in mir drin, einen Wechsel vorzubereiten."
Die ständige gute Laune und das "Jeder-muss-es-schaffen-Phänomen" sei ihm irgendwann zu viel geworden. Eine natürliche Ruhephase gäbe es schon wetterbedingt nicht. "Man ist ständig am Tun und es gibt kein Abschalten."
But we're still on the payroll ...
Der Illustrator Gerald Hartwig, geb. 1973 in Graz, lebt und arbeitet in Berlin, zieht aber bald wieder nach Graz
Nach dem Terrorangriff 2001 sei das Klima in den Staaten angespannter und für Ausländer sei es immer schwieriger geworden, erinnert er sich. Im Tagebuch fragt er sich immer öfter was er hier macht und warum er schon wieder kein Geld hat.
"Also habe ich den Traum aufgegeben.", erklärt er nüchtern und er ist nach Berlin gezogen, wo er derzeit noch lebt und wo die Geschichte "Chamäleon" ihren Anfang nimmt.
gerald hartwig
Denn der Grund, dass er sich an die Zeit in Los Angeles erinnert, ist ein sehr trauriger. Er erlebt die Situation, die einem den Boden unter den Füßen wegreißt. Seine Mutter ruft ihn in Berlin an und teilt ihm knapp mit, dass sein Vater gestorben ist.
gerald hartwig
Schockiert und neben der Spur fliegt er mit seiner Frau und den gemeinsamen zwei Kindern von Berlin nach Graz. Im Flugzeug erinnert er sich an seinen Flug nach L. A.
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Man liest die Geschichte also irgendwie, als würde er seinem Vater erklären wollen, was er in L. A. gemacht hat und warum. Zu einem gewissen Grad sei das so, fühlt sich Gerald Hartwig verstanden. Sein Vater sei immer ein Ansprechpartner gewesen, habe ihn unterstützt oder auch Grenzen gezogen. Und vielleicht sei es so, dass er die Erlebnisse seinem Vater erzählen musste. Bewusst habe er den Bogen am Ende nicht mehr zum Vater geschlossen oder gar mit dessen Beerdigung die Geschichte beendet. Denn schließlich setzte sich alles Erlebte und auch die Erinnerung an seinen Vater in seinem Leben fort.
This is what you get ...
Insofern hat Gerald Hartwig eine bemerkenswerte Graphic Novel geschrieben. Eine persönliche Geschichte vom Träumen und Scheitern. Und davon, dass das Leben immer irgendwie weiter geht.
Lange Nacht der Comics
"Chamäleon" gibt es auch als performative Lesung "Seitenblicke" mit bewegten Bildern und Musik von Georg Hartwig, dem Bruder von Gerald. Während Gerald liest, spielt Georg u.a. Ukulele und covert auch Karma Police (Radiohead) oder London Calling (The Clash).
Am 23. August 2013 ab 19 Uhr in der BV Margareten, Schönbrunnerstraße 54 im Rahmen der Langen Nacht der Comics.