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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

24. 7. 2013 - 17:37

Import. Export. Dancehall 2.0

Während Modernisten Major Lazer als visionäre Truppe einstufen könnten Puristen die "Great Reggae Robbery" ausrufen. Gedanken zum FM4 Artist of the Week.

FM4 Artist of the Week

Alle auf einen Blick unter fm4.orf.at/artistoftheweek

Klotzen, nicht kleckern. Das ist die Devise von Major Lazer, einem Musik-Projekt in Gestalt einer Comic-Figur, die von den Produzenten Diplo und Switch erschaffen wurde. Der muskelbepackte Machoman und Superheld aus Jamaika hat laut Legende im Krieg gegen Zombies seinen Arm verloren und trägt seither eine Waffe als Armprothese, mit der er fiese Beats und böse Bässe auf Vampire, Monster und jegliche Genregrenzen schießt.

Major Lazer

Free The Universe

Major Lazer lässt es gerne krachen! Seine Mission ist, alle Becken und Booties rotieren zu lassen und das Universum von allen musikalischen Konventionen zu befreien. Deshalb heißt das zweite Major Lazer Album auch "Free the Universe". Es ist arrangierter Irrsinn, gedopte Euphorie und globalisierter Dancehall; ein tropisch gefärbter, schillernder Soundclash aus Reggae, Electro-House, Moombathon, Dubstep, Trap und Soca-Pop, der auf die maximale Durchschlagskraft am Dancefloor abzielt: Ka-Pow!! Whoop!! Whoop!!

Das Erstlingswerk von Major Lazer "Guns don't kill people. Lazers do" kommt verglichen mit dem Nachfolger fast gemäßigt rüber, und das will was heißen! Das mag zum Teil darin begründet sein, dass Switch das Projekt wegen "künstlerischer Differenzen" verlassen hat und Diplo statt ihm den Soundsystem-Experten Walshy Fire aus Miami und Jillionaire aus Trinidad/Tobago installiert hat. Aber sie sind nicht die einzigen, die für Major Lazer in den Ring springen.

Es gibt eine lange Liste an offiziellen Kontributoren, über die inoffiziellen Ideenspender und unzähligen, stilistischen Querverweise könnte man bestimmt eine Diplomarbeit schreiben. Insgesamt sind es 30 Gäste bei 14 Songs!

Santigold ist eine alte Bekannte im Major-Lazer und Diplo-Universum. Er hat ihre beiden Alben mitproduziert und sie hat auch schon beim ersten Major Lazer Album "Guns don't kill People. Lazers do" den Eröffnungstrack gesungen. Deshalb macht es Sinn, dass sie auch dieses Mal wieder den Opener übernimmt und somit die Brücke zum Vorgänger-Album schlägt. Auf "You're no good" duelliert sich Santigold mit MC Vybz Kartell und bekommt Rückendeckung von Danielle Haim von der Indie-Schwestern-Band Haim. Vybz Kartell ist einer der Bad Boys auf "Free the Universe"; erst heute wurde er von einem jamaikanischen Gericht vom Mordverdacht frei gesprochen. Neben Gewalt- und Drogen-Delikten erlangte er auch zweifelhafte Bekanntheit wegen seiner eigenen Hautbleichungs-Kosmetik-Linie.

Eine Hommage an die Reggae-Institution Studio One kommt von Ezra Koenig von Vampire Weekend, sein Song "Jessica" ist einer der ruhigeren Momente, genauso wie "Get Free" von Dirty-Projectors-Sängerin Amber Coffman. Ein Pop-Hit für laue Sommerabende.

Etwas peinlich berührt "Reach for the Stars" mit Wyclef Jean, Peaches ist wie immer super und sorgt bei "Scare Me" für gewohnt schlüpfrige Wortspenden à la "I can feel you wiki leak". Überraschender Weise ist der Song "Bubble Butt" mit dem R&B-Sänger und Teenie-Schwarm Bruno Mars nicht einmal der schlechteste auf dem Album. Es ist ein Song über pralle, wackelnde Ärsche. Den dazugehörigen, sexuell-aufgeladenen Tanzstil nennt man Twerking und der ist im dazugehörigen, kalkulierten Aufreger-Video zu sehen.

Es gibt auch zahlreichen Gäste aus Jamaika, die für die nötige Street-Credibility in der strengen und konservativen Dancehall-Community sorgen. Darunter sind neben Vybz Kartel weitere Bad-Boys wie Busy Signal und Elephant Man.

Superstar Shaggy toastet bei "Keep Cool" und Johnny Osbornes Reggae-Klassiker "Mr. Marshall" verwandelt sich dank Diplo und Flux Pavilion in einen Arena-füllenden Dubstep-Heuler "Jah No Partial".

Die zahlreichen Gäste sorgen für Kurzweiligkeit und Abwechslung beim Hören, aber dadurch wirkt das Album noch überladener, als es durch den überbordenden Stilmix sowieso schon ist.

Man hat das Gefühl, Major Lazer hat alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war, für das Album verpflichtet. Diplo will scheinbar mit "Free The Universe" seinen Status in der Oberliga zementieren: Neben Major Lazer und eigenen Produktionen liefert er Beats für Snoop Dogg, Beyonce, M.I.A., Justin Bieber, No Doubt und viele mehr. Daneben ist er noch Resident DJ in Luxusclubs in Las Vegas, wo neben ihm auch noch Leute wie David Guetta, Avicii oder Will.i.am auflegen.

Zweifellos hat Diplo ein Gespür für Trends und das Talent, Dinge zusammenzuführen, an deren Kombination vorher keiner je gedacht hat. Er ist aber auch ein fabelhafter Geschäftsmann und Dieb, der von überall klaut und danach sein Label drauf klebt.

Das kann man ihm zum Vorwurf machen, es ändert aber nichts daran, dass "Free The Universe" trotz einiger Schwächen gut funktioniert. Es ist eine Party-Platte, die man nicht zu ernst nehmen soll mit ihrem Amalgam aus karibischer und europäischer Clubmusik, die ähnlich wie die muskelbepackte Comic-Figur, die das Album illustriert, dir ordentlich in den Arsch treten will.

Das wird wahrscheinlich am Freitag, den 16. August der Fall sein. Da spielt Major Lazer im Nightpark beim FM4 Frequency Festival.