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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 7. 2013 - 17:28

Fußball-Journal '13. Eintrag 29.

Zwergenwerfen im Schatten des Pep-Gotts. Über die taktischen Fertigkeiten der heimischen Coaches zum Bundesliga-Auftakt.

Das ist das Journal '13, meine heuer (wegen Jungvater-Pflichten) im Gegensatz zu 2003, '05, '07, 2009 und 2011 nicht sehr regelmäßige oder gar tägliche Web-Äußerung in ungeraden Jahren.

Heute wieder mit einem Eintrag ins Fußball-Journal 13 - und zwar mit dem Versuch die taktische Variationsbreite der Bundesliga-Trainer auf Basis ihrer Vorstellung in der 1. Runde auszumachen.

Es ist natürlich ungerecht.
Just an dem Wochenende, an dem Josep Guardiola, der Pep-Gott, erstmals vor einem größeren TV-Publikum die Spielanlage seiner neuen Mannschaft äußerln führt, startet die österreichische Meisterschaft.
So steht man im Schatten, selbst im Medien-Mainstream. Sogar der an sich besser informierte deutsche Reporter an sich fragt Peter Stöger, ob er sein 4-1-4-1 nicht bei Pep abgekuckt hätte (was der mit dem Hinweis auf die letzten Austria-Saison locker verneinen kann) - aber natürlich schlägt dieses Vorbild hart auf und landet Wirkungstreffer.
Vier Teams der Bundesliga (auch wenn zb die Kronen Zeitung nur zwei davon erkannt hat) und auch zumindest eines der sogenannten 1.Liga versuchten sich in Pep-Dimensionen.

Natürlich ist ein 4-1-4-1 nur eine Ansammlung von Zahlen. Und es macht einen Unterschied, ob Guardiola und sein neuer Quarterback Thiago Alcantara das umsetzen oder sagen wir, Wr. Neustadt oder Innsbruck.

Der atemberaubend radikale neue Bayern-Stil, mit dem Guardiola in zwei 60 Minuten-Spielen gutklassige Liga-Konkurrenz mit 9:1 demolierte, macht nämlich mehr als nur einen Sechser alten Stils hinter ein dementsprechend verstärktes offensives Mittelfeld zu stellen.

Da bleibt dir das Maul offen stehen, Alter!

Im Aufbau, also bei der kontrollierten Offensive schiebt sich das junge Genie Thiago, der Sohn des brasilianischen Weltmeisters und der Volleyballerin, zwischen die extrem weit auseinanderdriftenden Innenverteidiger und bildet mit ihnen dann eine defensive Dreier-Kette. Davor: sieben potentielle und offensiv orientierte Anspielstationen - weit vorgeschobene Außenverteidiger, eine offensive Dreierkette hinter dem Stoßstürmer und maximal ein unterstützender Achter.

Das verlangt extreme Ballsicherheit und Ideenreichtum, die von einem Rumpelfuß alten Stils, dessen Stärke die Physis und allfälliges schnaubendes Nachvorpreschen nach Ballereroberung waren (Typus Effenberg/Matthäus, und genau das schwebt den heimischen Liga-Coaches oft noch vor...) nicht erfüllt werden können. Mit Thiago geht Guardiola noch einen Schritt weiter als bei Barcelona, wo er den vergleichsweise biederen Sergi Busquets dort platzierte - mit Xavi und Iniesta als Kreativ-Kraftwerken davor. Thiago ist vieles davon in einer Person.

Defensiv steht Pep-Bayern sehr solide: Thiago findet sich zwischen zwei Viererketten mit genauer Aufgaben-Verteilung wieder. Bayern ist - wie jede gut organisierte Mannschaft von Welt-Niveau - nur in der Umschaltphase, bei Fehlern im Aufbau verwundbar. Und da nimmt der Pep-Gott bewusst Risiko: auch weil es egal ist ob man 4.0 oder 5:1 gewinnt.
Das klingt alles logisch und folgerichtig, aber: Ich gebe zu, mir ist bei den Bayern-Auftritten gegen den HSV und Gladbach immer wieder der Mund offen stehengeblieben. Weil ein kathedrales Erschauern die einzige Reaktion sein kann, die die Kühnheit eines solchen offensiven 3-0-7 nach sich zieht.

Zehn Vereine, zehn Coaches, zehn Spielanlagen

Nun war das, was zum heimischen Liga-Auftakt an strategischer Brillianz zu sehen war, selbstverständlich zum Zwergenwerfen im Schatten des Pep-Gotts verdammt - aber weder niveau-arm noch uninteressant. Zumal sich doch einige der österreichischen Liga-Teams neu sortiert hatten.

Nenad Bjelica habe, so lautet der Analyse-Tenor, beim Meister Austria Wien nichts verändert - und das wäre schon die halbe Miete.
Der Hund steckt aber im Detail. Und der Austria gelang deutlich mehr, als Bjelica eine im letzten Jahr recht verpönte Umstellung vornahm: Er ersetzte Holland in der Zentrale vor die Abwehr durch den zuvor vergleichsweise sehr offensiven Mader. Mader interpretiert diese Rolle deutlich kreativer als der ideenmäßig doch limitierte Australier. Und so sorgte die neu sortierte Austria-Offensive (mit Gorgon-Grünwald-Stankovic-Jun) für deutlich mehr Spielkraft. Als Bjelica eine Viertelstunde vor Spielende auf ein 4-1-3-2 umstellte (Okotie kam für Grünwald) war es mit dem Widerstand des Gegners vorbei.

Der hatte vor allem in Halbzeit 1 spieltaktisch einiges richtig gemacht und mit einer massierten Konzentration auf der rechten Angriffsseite (Schicker und vor allem Ouedraogo gingen oft bis an die Grundlinie) die starke linke Seite der Austria hinten beschäftigt. Eine Idee, die womöglich nicht auf dem Mist des Chefcoaches (der den Medien stolz erzählte die gute Torschuss-Statistik seines Teams in der Halbzeitpause "aus dem Internet" erfahren zu haben), sondern vielleicht auf dem des Co-Trainers gewachsen ist.
Denn die Spielanlage der Admira mit zwei reinen Klopfern in der Mittelfeld-Zentrale ist einigermaßen antiquiert. Da konnten sich die offensive Four nur zerfransen, was auch mit zum Rückfall ab Minute 60 führen musste. Da nutzte dann die allzu berechenbare Umstellung aus ein finales 4-4-2 auch nichts.

Wo dreht Bjelica, wo schraubt Grubor?

Ähnlichkeiten zu diesem Spiel waren in Wolfsberg bei Bjelicas Nachfolger Bobby Grubor zu sehen: Auch er verzichtet anfänglich auf den reinen Sechser (Polverino) und probiert den deutlich spielstärkeren Micic hinter Liendl und De Paula; auch in einem 4-1-4-1.
Das klappt recht gut, allerdings bringen zwei üble Schnitzer im Abwehrzentrum den WAC in Rückstand und Grubor dazu, auf ein 4-2-3-1 zurückzustellen, wieder mit Polverino neben Micic. Allerdings verdanken die Kärnter den Umschwung gegen Rapid nicht dieser wieder recht vorsichtigen Maßnahme, sondern einer wagemutigen Umstellung auf ein 4-2-3-2. Manuel Kerhe musste eine halbe Stunde lang sowohl als rechter Verteidiger als auch rechter offensiver Mittelfeldspieler arbeiten (erinnerte an Andras Dober unter Pacult bei Rapid). Diese gefühlte Überzahl brachte die noch unrund agierende Rapid-Mannschaft in die Bredouille.

Zoran Barisic hält dort an seinem klugen 4-3-3 fest. Seine beiden zentralen Spieler vor der Abwehr sind echte Achter, die die offensiven Vier davor (diesmal mit Schaub rechts - keine gute Idee - und Burgstaller als falschem Neuner - zuletzt nicht effektiv) einwandfrei unterstützen können. Barisic und Rapid brauchen Zeit und Deni Alar, dann können sie irgendwann wieder aufschließen.

Ebenso wie Barisic setzt Roger Schmidt den Weg des Frühjahrs fort: er bleibt bei seinem simpel anmutendem 4-1-3-2 mit der gut harmonierenden Doppelspitze Alan-Soriano und den vielen kreativ-Krachern dahinter. Was die Defensive kann wird man erst sehen, wenn der als Sechser vorgesehene Andre Ramalho wieder frei ist (momentan muss er ja den Not-Innenverteidiger machen).

Rapid und Salzburg mit der Fortsetzung des Frühjahrs

Der von Salzburg in Bayern-Manier mühelos überfahrene Gegner Neustadt ist das Musterbeispiel des Pseudo-4-1-4-1. Kapitän Hlinka, ein Sechser der alten Schule agiert zwischen den Linien, die "Offensiven" vor ihm sind aber keine allzu kreativen Kräfte. Wie letztes Jahr kann das strategisch planlose Neustädter Spiel nur durch eine gelungene Personalauswahl ausgeglichen werden. Ein Coach, der sich erst ein paar Minuten vor dem Ende über einen Systemwechsel drübertraut, wird von sich aus nichts gewinnen können.

Wenig Risiko war beim fantsasievollen neuen Liga-Coach Adi Hütter zu sehen - angesichts des nervenaufreibenden Debüts aber auch kein Wunder. Der Erfinder des 4-1-1-4 ging mit einem handelsüblichen 4-2-3-1 in die Runde, fand sich damit aber gut zurecht. Die Stärke von Grödig liegt im ausdrucksvolles kreativen Mittelfeld.

Gegner Ried könnte zum Problemkind der Herbst-Saison werden: die Probleme des personellen Umbruchs liegen nicht in Quantität sondern der Qualität: Hadzic und Meilinger sind nicht zu ersetzen. Diesmal mühten sich mit Kragl, Wieser und Möschl gleich drei neue Kräfte auf der völlig überforderten linken Seite.
Zudem scheint sich die Fraktion, die ein 4-2-3-1 spielen will gegen die Verfechter des 3-3-3-1 durchgesetzt zu haben. Zumindest als Variante muss Ried dieses System aber beibehalten, will man die Wettbewerbsvorteile der vergangenen Jahre nachstellen - nur damit haben Gegner Probleme, nicht mit dem doch leicht zu durchschauendem Spiel in Runde 1.

Problembären: geschwächte Rieder und flache Grazer

Apropos Hadzic: dessen Spiel ist symptomatisch für die Performance von Sturm Graz im Sommer 2013: blass, mit Hang zu Durchsichtigkeit. Darko Milanic hat ein höchst emphaseloses flaches 4-4-2 zum Herrschaftssystem ausgerufen. Beiden zentralen Spielern, Manuel Weber und Hadzic, widerstrebt diese Anlage sichtbar körperlich; die unter Hyballa oftmals spielentscheidende Offensiv-Position hinter den Spitzen wurde nicht nur abgeschafft, man darf scheinbar nicht einmal mehr drüber reden, Rauten-Alternative Offenbacher muss auf den Flügel ausweichen.

Sturm hat schon gegen den PSG der ersten Trainingswoche (trotz Sieg) echt schlimm, fehlpassversessen und ideenmüde ausgesehen, in Island sollen sie nicht auf Touren gekommen sein und jetzt, in Runde 1, offenbart sich das nächste Kapitel im Trauerspiel der zum Scheitern verurteilten Coaching-Konzepte. Dass Sturm gegen eine superbiedere Tiroler Truppe so in Troubles geraten konnte, sollte ein letzter Warnschuss sein. Denn alle Beteiligten (Team und Coach) könnten ja, wenn sie sich gut abstimmen, die dritte Kraft im Land sein.

Innsbruck wiederum ist ein weiteres Pseudo-4-1-4-1-Beispiel. Letztlich lebt die Truppe immer noch von der Konzept-Idee von Walter Kogler (Auswärtssieg mit Erfurt bei seinem Debüt, bravo), seiner fluiden Interpretation des Zentrums, vom Sechser bis hin zu Spitze. Coach Kirchler hat das übernommen, ohne es zu verstehen, dementsprechend verludert präsentiert sich das Spiel der Innsbrucker. Auch die Schlußphasen-Umstellung auf das bei Salzburg von Abeginn zu sehende 4-1-3-2 kommt nur rein schematisch, ohne echten Hintersinn.

Hoffnung macht nur die Buben-WG Kuen/Vuleta. Der von Basel geliehene Schweiz-Kroate offenbarte einen Drang zum Tor, den man sonst nur bei Herrn Hosiner sieht.

Mit dem 4-1-4-1 des Pep-Gotts (das man auch anders interpretieren kann) hat das wie gesagt nichts zu tun. Aber es ist/tut gut zu sehen, dass strategisches Denken (auch medial) selbst bis in die letzten Täler vorgedrungen ist.