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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

23. 7. 2013 - 15:19

Weiche Musiken, schöne Menschen

Das Melt! Festival konnte auch 2013 wieder mit feinstem Programm und bestem Ambiente verzaubern. Mit an Bord: James Blake, Chvrches, Azealia Banks, DJ Koze, Austra, Alt-J, Atoms for Peace und viele, viele mehr.

Irgendwann gegen Montag Mittag hat man dann doch selbst auf dem seinem Namen alle Ehre machenden Sleepless Floor die Bassdrum abgestellt. Nach drei Tagen dichtestem Konzert- und DJ-Programm müssen auch die Härtesten in den Schlafsack bzw. in den Zug nachhause. Wurde das Melt! Festival in der jüngeren Vergangenheit vielleicht ein wenig zu sehr über den grünen Klee gelobt?

Nein, das Melt! Festival auf dem Ferropolis genannten Gelände in Gräfenhainichen ist nach wie vor so ziemlich das beste Festival, das es so zu erleben gibt. Das Ambiente mit seinen müde in der Gegend herumstehenden Fördergeräten toppt immer noch alles, dieses Jahr war das Wetter durchgehend bestens - also heiß, für diejenigen, denen so etwas gefällt - und das Programm wieder sorgfältig und liebevoll zusammengestellt.

Melt

Robert Winter

The Knife

Robert Winter

The Knife

Großartig jedes Jahr, wie beim Melt! Musiken und Menschen zusammenkommen, die anderswo noch altbacken unterschiedlichen Lagern zugedacht werden. Wie gehabt glänzte das Festival 2013 wieder auf fünf bis sechs Stages in allerfreundlichster Gehdistanz zueinander mit einem Line-Up, in dem Dance Music diverser Farbe, Techno, House, Disco, Dubstep, großgeschriebene Popmusik und sogenannter, in seiner weitesten Definition gemeinter "Indierock" sich die Hände reichten.

Möglicherweise könnte man zu dem Schluss kommen, dass dieses Jahr auf der Main Stage im Vergleich zu den Vorjahren mit ein paar Ausnahmen die ganz großen Namen und Überknaller, die der großen Bühne auch wirklich gerecht würden, ein bisschen gefehlt haben. Aber das wäre wirklich nur ein sehr, sehr leises Jammern auf allerhöchstem Niveau: Die "freche" New Yorker Rapperin Azealia Banks beispielsweise mühte sich - und das durchaus erfolgreich was die Zuckungen im Publikum anbelangte - zwar redlich um eine vergnügliche Performance, ihre doch eher minimalistisch angelegte Show wäre trotzdem sicher besser auf der Gemini Stage aufgehoben gewesen - einem großzügig dimensionierten Zelt, das eher Club-Atmosphäre atmet.

Ähnliches gilt für den kalifornischen Beat-Wizard Flying Lotus, er griff auch selbst zum Mikrofon, der auf der Hauptbühne bei Tageslicht starten musste. Ein seltsamer Anblick. Es wurde jedoch, irgendwann kam die Nacht, großartig. Der zerrupfte Pete Doherty war mit seinen Babyshambles ein lustiger Fremdkörper im Programm, die schwedischen Politmysteriker The Knife lesen sich auf dem Papier zwar als Sensationsbooking und sind dies auch, versprühten aber als Headliner mit ihrem verhexten Tanztheater, ihren überzogen glitzernden Musical-Choreografien und Karaoke-Performances weniger Unterhaltung und Euphorie denn große Kunst und subversive Verstörung. Mit Absicht!

Disclosure

Philipp L'heritier

Volles Haus bei Disclosure
Robert Winter

Robert Winter

Disclosure
Disclosure

Philipp L'heritier

Das waren aber freilich nur Kleinigkeiten. Alles war wunderbar, auch auf der Mainstage. Wie immer sehr gut: James Blake. Man könnte meinen, man hätte jetzt schön langsam genug gehört von diesem sensiblen jungen Mann; aber nein, Blake kann mit seinem zerbrechlichen Kammerpopstep auch die große Bühne bei einem von gut 25000 Menschen besuchten Festival softrocken. "I dont know about my dreamin' anymore ... lalala" - wird nie alt.

Lustig und gut waren auch die englischen Boys von Alt-J mit ihrem hibbelig-vertrackten Indie-Rock, zu wahren Begeisterungstürmen riss die lettisch-kanadische Musikern Austra mit ihrer Band hin. Der Oberheadliner des Wochenendes war das Allstarsupergroup-Vehikel von Thom Yorke und Producer Nigel Godrich: Atoms For Peace, darauf hatten so gut wie alle gewartet. Es blitzelte und brummte, Thom Yorke sang wie Thom Yorke, Bassisten Flea kann man selbst blind und wenn er unter einer Kutte versteckt ist, an seinen rhythmischen Bewegungen erkennen. Der Sensationsfaktor von Atoms for Peace im Programm hätte nur durch das Booking von, sagen wir einmal, Radiohead überboten werden können. Erhebend, erhellend, es wurde geschmachtet.

Melt! Selektor Stage

Stephan Flad

Melt! Selektor Stage
Alt-J

Robert Winter

Alt-J

Ganze Tage hätte man einfach wieder bei der von Modeselektor gehosteten Stage namens Melt! Selektor zubringen können. Hier hatten die beiden Berliner wieder ein aufregendes Krawallprogramm zwischen Bass Musik, Poststep, strengem Techno, Radau-Elektronik und HipHop zusammengewürfelt. Dieses Jahr zum Beispiel an Großartigkeiten dort zu erfahren: Zebra Katz, Mykki Blanco, Otto von Schirach, Mount Kimbie, Karenn oder die ganz fantastischen Diamond Version, das neue Projekt der Raster-Noton-Heads Carsten Nicolai und Olaf Bender, die da das Publikum in den frühesten Morgenstunden mit akademisch reduzierter und eisenharter Beatlehre glückspendend bestrafen durften.

Eindeutiger Sieger des Wochenendes und Publikumsliebling war ein noch ganz junger Act: Disclosure. Das englische Duo hat mit seinem Garage-House-Pop die zweitgrößte Stage locker auseinandergenommen, soviel Gejohle und Ausgelassenheit war sonst das gesamte Wochenende über kaum zu spüren. Disclosure hätten wohl ohne große Mühe den Platz vor der Mainstage gefüllt. Ebenfalls super auf der Gemini Stage: Das kanadische Duo Blue Hawaii , das seinen zerbrechlichen Pop in der Live-Darbietung deutlich druckvoller umsetzt, die norwegischen Disco-Kings Todd Terje und Lindstrom mit einem gemeinsamen Live-Set, die New Yorker Disco-Kings Metro Area mit einem Live-Set, der New Yorker Supertyp James Murphy mit einem DJ-Set. Oder, bescheiden und großartig: Die schottische Band Chvrches mit einem kurzen, knappen und supercharmanten Konzert. Den Überhit, die Abschlussnummer des Auftritts, "The Mother We Share" konnten so gut wie alle im Publikum mitsingen. Und taten das auch. Ausnahmsweise: Gänsehaut.

DJ Koze

Philipp L'heritier

DJ Koze
DJ Koze

DJ Koze

Stephan Flad

Azealia Banks

Zwischendurch, davor und danach hatte man die Wahl zwischen wie immer famosen Plattenauflegereien von beispielsweise DJ Koze, Michael Mayer, Tobias Thomas, James Holden, SBTRKT oder Damien Lazarus. Selbst die Simian Mobile Disco reist zum Melt! zu zweit, und nicht wie für gewöhnlich alleine, an.

Im Zelt des Popkulturmagazins INTRO gab's herrlich schrottigen Gitarrenrock von DIIV (die Mile Me Deaf der USA), Wundergeiger Owen Pallett oder die New Yorker Rasselpop-Combo Friends. So ganz genau konnte man nie wissen, wo man denn nun hinschauen wollte. Nicht zuletzt aber lebt das Melt! auch immer wieder von seinem schicken, schönen und sehr lieben Publikum. Modisch auf der Höhe der Zeit, musikalisch beflissen, gut ins Hipsterhemd hineingebügelt und wahlweise mit Bart oder Blumenkranz im Haar ausgestattet (Zuspitzung). Nette, schlaue Menschen, die wissen, dass man auch zu feingliedriger, geschmeidiger Musik eine gute Party haben kann. "You Melt My Heart" lautet der Slogan des Melt! Festivals. Mag kitschig anmuten, ist wahr. We Love Music.

Stephan Flad

Stephan Flad

Sleepless Floor