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Andreas Schindler

Geschichten vom Ende des Ölzeitalters. Wurm- und Mikrobenlobbyismus, permakulturelle Gedankenwut.

18. 7. 2013 - 20:03

Gärtnern geht immer

Die Agrarwissenschaftlerin, Autorin und Gärtnerin Andrea Heistinger sieht das Gärtnern als Experiment und sucht dabei das Scheitern.

Bis vor kurzem galt der Gemüsegarten - vor allem in der Großstadt - als anachronistisches Relikt längst vergangener Zeit. Aber heute hört und liest man allerorts von Gemeinschaftsgärten, Urban-Gardening-Projekten oder Pflanzentauschbörsen. Was ist da passiert? Wie erklärst du dir den Trend?

Andrea Heistinger

Andrea Heistinger

Andrea Heistinger

Andrea Heistinger: Ich denke, dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Eine mag sein, dass sich die meisten von uns den ganzen Tag in digitalen Räumen aufhalten. Das heißt, wir sitzen vor Bildschirmen in geschlossenen Räumen und sind dem Rhythmus digitaler Maschinen unterworfen. Auf der anderen Seite sind wir das noch nicht lange. Ich glaube, in uns allen steckt noch eine - man könnte sagen - große Erinnerung oder Sehnsucht nach einer anderen Welt. Die spielt sich im Freien ab, im Grünen, wo Geräusche oder Gerüche so sind, wie sie sind. Eine reife Tomatenfrucht riecht einfach unvergleichbar gut. Das kann ich nicht simulieren. Viele merken ganz unmittelbar wie gut ihnen das tut. Jetzt könnte man natürlich sagen: "Die Leute könnten ja auch spazieren gehen."

Die Bücher von Andrea Heistinger sind im Löwenzahnverlag erschienen.

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Das Gärtnern hat aber einen sehr schönen, produktiven Aspekt: Die Ernte. Dabei wird unmittelbar das erlebbar, was jeder zum Leben braucht. Ich rede vom Essen und vom Trinken.

Menschen machen sich also wieder die Hände schmutzig. Handelt es sich dabei um ein Lifestyle-Phänomen mit absehbarem Ablaufdatum, oder ist das Interesse fürs Gärtnern ein Zeichen für einen grundsätzlichen Wandel?

Andrea Heistinger: Es kommt darauf an, von wem wir sprechen. Für Menschen, die zum Beispiel mit traumatisierenden Kriegserlebnissen zu uns gekommen sind, etwa wie Flüchtlinge aus den Bosnienkriegen der 90er Jahre, gilt das mit Sicherheit nicht. Ich erinnere mich an die Gründung der ersten "Internationalen Gärten" der evangelischen Flüchtlingshilfe in Göttingen. Damals haben die (Flüchtlings-) BetreuerInnen gefragt: "Was geht euch hier in Deutschland am meisten ab?" Die Antwort der meisten Frauen war: "Unsere Gärten." Daraufhin hat sich die evangelische Flüchtlingshilfe auf den Weg gemacht, Gartenland zur Verfügung zu stellen. Daraus ist eine Bewegung entstanden, die sich heute "Die Internationalen Gärten" nennt. Allein in Deutschland gibt es 160 dieser "Internationalen Gärten", wo Menschen aus den unterschiedlichsten Nationen gemeinsam gärtnern. Ich denke, so etwas kann man nicht als Lifestyle-Phänomen abtun. Das wäre einfach zu kurz gegriffen.

Die Soziologin Christa Müller, hat das in ein schönes Bild gepackt: "Wurzeln schlagen in der Fremde". Man hat gesehen, wie hilfreich es gerade für Menschen ist, die vertrieben worden sind und in eine neue Gegend kommen, dass auch hier ihre Früchte gut wachsen. Solche Erfahrungen können helfen anzukommen.

Auf der anderen Seite gibt es schon auch das Phänomen, dass Menschen ihre Balkongeranien einfach gegen Tomaten austauschen. Das könnte man verkürzt als Lifestyle-Phänomen kennzeichnen. Aber auch da muss man sagen: Wenn sich Menschen auf den Weg machen ihr Lebensumfeld zu erforschen, dann soll man sie nicht aufhalten. Selbst wenn diese Menschen mit ihren sonnenhungrigen Tomaten im schattigen Hinterhof Schiffbruch erleiden, lernen sie vielleicht, die Tomaten, die sie kaufen, mehr wertzuschätzen und sind eher bereit, einen fairen Preis für gute Bio-Tomaten zu bezahlen. Dann ist ja auch schon ein Stück Verständnis dafür geschaffen, was es heißt, Lebensmittel zu kultivieren.

Gemüsekorb

Löwenzahn Verlag

Andrea, ein Thema das sich durch deine umfangreiche Arbeit zieht, sind alte Obst- und Gemüsesorten. Warum sind die dir so wichtig?

Andrea Heistinger: Weil denen eine große Zukunftsfähigkeit innewohnt. Ich selbst verwende den Begriff der "alten Sorten" nur ungern, weil man das vielleicht mit "alt" im Sinne von Antiquität in Verbindung bringt oder mit Traditionen, an die man gar nicht anknüpfen will. Ich schreibe von sogenannten "samenfesten" Sorten, also in Abgrenzung zu "Hybriden". Diese samenfesten Sorten haben die faszinierende Eigenschaft, dass sie ihre Charakteristika an die nächste Pflanzengeneration weitergeben. Was diese Sorten ausmacht, vererben sie in einem kontinuierlichen Erbstrom. Der ist natürlich auch einem Wandel unterworfen, weshalb es auch die Begleitung durch Menschen braucht, die immer wieder eine Auslese machen, damit die gewünschten Eigenschaften auch künftig erhalten bleiben. Deswegen ist das ein ständiger Dialog zwischen Menschen und Pflanzen, der nie aufhört. Dadurch, dass diese Pflanzen immer wieder fruchtbare Samen hervorbringen, geben sie uns die Möglichkeit, sie auch an neue Orte zu bringen. Dort kann wiederum eine neue Vielfalt entstehen. Das ist die Basis unserer Kulturpflanzenvielfalt.

Tomaten beispielsweise kommen schließlich nicht aus Mitteleuropa, sondern aus Mittelamerika. Dort war die Tomate zwar schon von der indigenen Bevölkerung kultiviert worden, aber es haben sich auch bei uns sehr viele neue Sorten entwickelt. Das ist nur möglich, weil dieser kontinuierliche Erbstrom immer im Fluss bleibt.

Pflanze

Arche Noah

Das Gegenteil von samenfesten Sorten sind Hybride. Die sind das Werkzeug der gewerblichen Pfanzenzüchtung. Bei Hybrid-Züchtung geht es darum, Saatgut für den Verkauf zu gewinnen, das einen höheren Ertrag als die Elterngeneration hat. Das Saatgut ist zwar uniform, kann aber nicht sinnvoll weitervermehrt werden. Das heißt: Ich muss jedes Jahr wieder neues Saatgut kaufen. Man könnte dieses Saatgut auch "Einmalsaatgut" oder "Sackgassen-Züchtung" nennen. Wenn wir also nicht nur denken: "Was brauchen wir heute?", sondern uns fragen: "Was brauchen wir langfristig?" - und ich spreche jetzt von längeren Zeitdimensionen, also gerne auch von Jahrhunderten - dann kann sich eigentlich niemand so recht vorstellen, welche Grundlagen Hybridsorten uns bieten sollen. Die Frage ist: "Was essen Menschen in zwei-, dreihundert Jahren?" Das ist eine Dimension, die sehr häufig vergessen wird.

Wir sind, so mein Eindruck, sehr in der Gegenwart fixiert. Es wird viel über die Sicherung der Welternährung diskutiert und argumentiert, wir würden diese Hochleistungssorten brauchen, weil wir ja eine steigende Weltbevölkerung haben usw. Das ist in dieser Form fachlich einfach nicht richtig und beinhaltet schon gar keine Langzeitperspektive.

Was rätst du Menschen, die keinerlei Erfahrungen mit Nutzgärten haben, und sich nicht so recht trauen Obst, Gemüse und/oder Kräuter anzubauen, obwohl sie eigentlich Lust dazu hätten?

Andrea Heistinger: Grundsätzlich gilt: Die Menschen sind verschieden. Die einen müssen in der Erde wühlen, damit sie für sich einen Bezug herstellen können. Denen rate ich einfach anzufangen. Zum Gärtnern gehört ja immer auch das Scheitern dazu. Ich finde das eine der faszinierendsten Seiten des Gärtnerns. Das Scheitern ist ja aus unserer Welt verschwunden. Man darf ja nirgends mehr Scheitern. Aber das Scheitern führt zum Lernen und im nächsten Jahr gelingt es dann besser.

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Dann gibt es Menschen, die gerne Bücher lesen. Ich freu mich natürlich, wenn Menschen vielleicht in meinen/unseren Büchern nachschlagen. Ich bekomme oft das Feedback, dass diese hilfreich sind. Das Allerbeste ist natürlich, wenn man jemanden kennt, der oder die GärtnerIn ist. Dort kann man sich Rat und die eine oder andere Jungpflanze holen. Alleine durchs Zuschauen und Mithelfen kann man Erfahrungen sammeln. Beim Gärtnern geht es nie nur ums Gärtnern. Es geht immer um viel mehr: Der Welt und anderen im Garten zu begegnen, was ich besonders befruchtend und bereichernd empfinde.

Andrea Heistinger im Interview

Anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Nachschlagewerks "Das große Bio-Gartenbuch", das sie gemeinsam mit dem Verein Arche Noah geschrieben hat, spricht Andrea Heistinger im FM4 Interview über "Schiffbruch im Hinterhof", "Sackgassenzüchtungen" und darüber, wie Pflanzen uns helfen können Wurzeln zu schlagen.

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