Erstellt am: 18. 7. 2013 - 10:55 Uhr
Gott vergibt, Winding Refn nie
SEBASTIAN: Christian, gerne bin ich da erneut Deiner Einladung gefolgt, den virtuellen Kamin der Filmbesessenheit anzuwerfen, um mit einem Dritten im Bunde, aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommend, über einen Film zu parlieren. An unserer Seite dafür dieses Mal Ciprian David vom überschäumenden Filmmagazin NEGATIV. Sprechen wollen wir über den von vielen fiebrigst erwarteten, nun in den Kinos angelaufenen, neuen Film von Nicolas Winding Refn "Only God Forgives". Nach "Drive" nun schon sein zweiter Film mit dem auch hier wieder recht einnehmend wortkargen Ryan Gosling. Christian, Ciprian, tatsächlich "Drive 2 in Thailand" oder doch nochmals ganz was anderes?
CHRISTIAN: Ich war ja schon vorgewarnt. Via Blogs und einschlägiger sozialer Netzwerke machte sofort nach der kontroversen Cannes-Premiere die Meldung die Runde, dass Refn und Gosling da etwas konträres zu "Drive" abgeliefert hatten. Attacken auf den Film und Lobeshymnen prasselten auf mich viele Wochen über diese Quellen ein. So dass es mir fast schon zuviel wurde. Und ich mich vor einer Enttäuschung ängstigte.
SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in Magazinen wie Hard Sensations, NEGATIV, Splatting Image oder der Deadline. Im Juli erscheint das Buch „Dario Argento – Anatomie der Angst“ in welchem er u.a. von seiner Reise zu den Drehorten von „Suspiria“ berichtet.
CIPRIAN DAVID betreut NEGATIV gemeinsam mit Elisabeth Maurer und schreibt, mit sehr wenigen Ausnahmen, sein unermüdliches Interesse für Film dort nieder.
constantin film
CIPRIAN: Dank eines komischen Optimismus hat mir die Welle der Cannes-Texte zu "Only God Forgives" überhaupt nicht der Lust auf diesen Film beraubt. Im Gegenteil – ich gewann zunehmend den Eindruck, zwischen verschiedensten Zeilen offene Stellen zu ahnen, die eine überwältigende Kinoerfahrung versprechen. Ich erinnere mich noch daran, im Mai gedacht zu haben, dass vielleicht Refn inzwischen ein dermaßen großes Publikum erreicht, dass vom euphorischen Konsens nicht mehr die Rede sein kann. Aber das war eine naive Vermutung. Der Film ist unter Refn-Fans genauso umstritten.
CHRISTIAN: Diese Umstrittenheit machte im Kino dann bei mir der Euphorie Platz. Der für manche vielleicht zähflüssige, schwere und in seiner Gewalt bedrückende Film ließ mich in bester Laune aus dem Kino taumeln. Euphorisiert von diesem Mix aus atemberaubenden Bildern und Klängen und auch von der Tiefe und Substanz, die ich im Gegensatz zu vielen Gegnern darin vorgefunden hatte.
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Herrlich lähmendes Gift
SEBASTIAN: Dieses bewusst karge Handlungsgerüst von "Only God Forgives", an dem sich somit beinahe alles aufbäumen lässt, hat mich sehr beeindruckt. Erzählt wird ja vordergründig nicht viel mehr als eine ganz reduzierte Rachegeschichte, die ständig an ihrer Bewegungslosigkeit scheitert und dennoch tief rote Kreise zieht. Da ist dieser Mann, Ryan Gosling, hier Julian, der eine Kickbox-Schule in Bangkok betreibt und davon träumt, er könnte einfach mal aufstehen und einem anderen Kerl ein Glas ins Gesicht schmettern. Und der hat einen Bruder, der noch viel brutaleres dann tatsächlich ständig auch tut und dafür letztlich grausam büßt. Was wiederum die kaum weniger grausame Mutter anreisen lässt - Kristin Scott Thomas, als eine Art Donatella Versace aus der Hölle - und die fordert nun vom sich doch eigentlich gar nicht bewegen könnenden Julian, er möge ihr doch bitte den Kopf des Mörders seines Bruders auf einem „verdammten Tablett“ servieren. Das wiederum erzürnt Gott, Vithaya Pansringarm, und der kennt, auch wenn der Titel anderes verspricht, keine Vergebung. Sprich: größer und griechischer kann ein Film kaum mehr den Raum aufmachen. Verdammt, was für ein Fest.
CIPRIAN: Wie ihr, gehöre ich auch zu seinen Apologeten: Ich sehe ihn zwar nicht als ein Meisterwerk, aber ich bewundere diese Zäsur, die schon zwischen "Drive" und "Valhalla Rising" zu sehen war, und jetzt wieder da ist. Wenige Regisseure sind bereit, mit jedem neuen Film tabula rasa zu machen und ihr Schaffen neu zu denken, aber dennoch an einer Vision festzuhalten. Für Refn hat sich das meiner Meinung nach ausgezahlt, denn dieser Film ist radikaler, intelligenter und intensiver als die davor und so überwältigend, dass ich immer, wenn ich an ihn denke, Angst habe, zu wenig mitgenommen zu haben.
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CHRISTIAN: Ich will die beiden Filme für meinen Teil gar nicht gegeneinander ausspielen. Für mich ist "Drive" übrigens nicht deshalb ein berauschendes Unikat im Schaffen von Winding Refn, weil er mit irgendwelchen Hipsterimages kokettiert oder so einen tollen Electro-Soundtrack hat. Sondern weil er, im Gegensatz zu fast allen anderen Filmen des Regisseurs, tief an die Liebe glaubt. Es ist zwar eine psychotische Form der Liebe, weil beim Driver Unschuld und Gewalt so nah einander liegen. Aber die Utopie der Liebe ist es trotzdem. Bis zur Weichzeichner-Romantik hin. Und für mich ist Weichzeichner-Romantik, im richtigen Hardcore-Kontext, die extremste Form der Kinoradikalität. Aber wie gesagt, keine Vergleiche mehr. "Only God Forgives" ist ein Meisterwerk für sich, da braucht es keine Skorpionjacken, da reichen schlichte blutbeschmierte Jeans und T-Shirt. Und Goslings Figur ist eine grundverschiedene zum Driver, dieser Julian ist vom Gefühlszustand Liebe ganz weit entfernt. Ist unfähig sich zu bewegen. Verhärtet in seiner undefinierbaren Melancholie.
SEBASTIAN: Ich habe mich in "Only God Forgives" wirklich dabei ertappt, wie ich nach etwa der ersten halben Stunde an mir herunterzuschaute und fast sicher war, dort längst eine Nabelschnur vorzufinden, durch die mir dieses Meisterwerk unaufhörlich, dickflockig, schwarz und rot ein gar herrlich lähmendes Gift in den Körper pumpt. Was für eine Erstarrung hier aus den Bildern auf einen übergreift. Mit welcher Konsequenz Refn einen mit "Only God Forgives" in die Zuschauerrolle, zum erstarrten Sitzen zwingt. Förmlich in den Kinosessel nagelt. So etwas habe ich in dieser Intensität und grenzüberschreitenden Hemmungslosigkeit vorher noch nicht erlebt. Und auch nicht erwartet. Wie einem überhaupt sämtliche Erwartungen ständig nur immer wieder entrissen werden von diesem Film. Und was man dann stattdessen in die Hand/ins Herz gedrückt bekommt, klebt. Ein Film, wie dunkler Teer, den man einfach nicht mehr wegbekommt.
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Vom sich Bewegen können, lässt sich nur noch träumen
CHRISTIAN: Worauf wir uns, trotz mancher konträrer Meinungen, wohl sicher einigen können, ist ein Kinobegriff, der nicht pingelig auf der Abbildung der Realität verharrt. Sondern wo genau durch das Irrlichternde und Traumwandlerische so etwas wie, ja, Wahrhaftigkeit entsteht.
CIPRIAN: Keine Träume, keine Wirklichkeit, nur Bilder! Bilder, die ikonische Kompositionen nachahmen, maskuline Posen gegen sich umkehren, die mit Körnung und Rotlicht kokettieren, mit Öffnungen und Klaustrierung aber auch, und brummend jegliche Weltvorstellung, wie auch jede Geschichte abblocken, das ist für mich dieser Film. Ich schrieb mal, dass "Only God Forgives" an nichts anderes glauben mag, als an Bilder – wenn es hier überhaupt eine Geschichte gibt, dann nur, weil sich hier Einstellungen treffen, um sie zu erzählen. Nun bin ich sicher, dass hier nicht mal erzählt werden will, sondern einfach gezeigt. Erzählungen kann sich jeder zusammenbasteln, für sich, dafür braucht es das Kino nicht einmal. Aber diese Bilder, als cineastisches Sinnieren über Gewaltkonstellationen, mit ihrem ungeheuren sinnstiftenden Potenzial, die bekam ich bisher nicht oft zu sehen. Ich weiß, gegen Ende schließt sich so etwas wie ein narrativer Kreis, und der Film strotzt nur so von Motiven, eines archetypischer als das andere, aber das steht für mich so weit im Hintergrund, so klein, verglichen zur ungeheuren Energie, die sogar in einer simplen Konfrontation von unbegründet gegeneinander prallenden Nahaufnahmen entfacht wird.
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CHRISTIAN: Ich habe ebenso erst mal nur über die visuelle Ebene mit dem Film connected, natürlich in Verbindung mit der Tonspur, über die wir später noch reden werden. Wobei mir beim Ansehen eine Stimme im Hinterkopf immer wieder signalisierte, warum es gerade diese speziellen Bilder sind, die mich so einsaugen. Und das liegt zum Teil schon daran, dass Winding Refn deutlich an bestimmte Vorbilder anknüpft, deren Formsprache in meinem Kopf sofort bestimmte Knöpfe drückt. Die Präsenz von David Lynch spürte ich überdeutlich, alleine wie Refn die Räume zeigt und mit brummenden Drones arbeitet, aber auch in der pittoresk stilisierten Gewalt. Die Chefausleuchter von Stanley Kubrick war auch nicht umsonst Kameramann hier. Und sowohl Elemente des frühen John Woo als auch Verweise an Alejandro Jodorowsky fühlte ich wie einen konstanten Pulsschlag in dem Film. Nicolas Winding Refns Verdienst ist es, dass er nicht bloß samplet und leblos Referenzen aneinanderreiht, sondern wie Tarantino – aber auf eine ganz andere Art – die Einflüsse, zu denen er sich ja auch offensiv bekennt, mit seinen eigenen Obsessionen und Fantasien mixt. Bis daraus ein neues, aufregendes Kino entsteht.
SEBASTIAN: Die Eigenwilligkeit, dieses sich absolut nicht an möglichen Erwartungen orientieren, sondern völlig ungerührt, wenn auch in Zeitlupe, einer ganz eigen Richtung zu folgen, hat mich sehr beeindruckt. Was für ein freier, selbstbewusster, ja möglicherweise auch arroganter Film. Schön.
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Ein Cliff Martinez Film
CHRISTIAN: Nachdem wir hier so kollektiv über den zeitlupenhaften Bilderrausch schwärmen, den "Only God Forgives" entfacht, über all das tiefe Rot und Gelb und die flirrenden Neonatmosphären, muss ich schon noch etwas anfügen. Als Produkt der Post-Postmoderne, mit ihrem Dauersperrfeuer aus geilen Images und längst stumpf gewordenen Überwältigungsstrategien, bin ich zugegeben jemand mit einer sehr geringen Aufmerksamkeitsspanne für den puren Kick schimmernder zeitgenössischer Oberflächen. Ob filmische Reizexplosionen, bombastisch produzierte Musik oder betörend schöne Menschen in aufregender Mode: Mir wird, nach einem ersten aufgeregten Herzklopfen, da schnell ganz langweilig. Und geprägt vom alten Kulturpessimissten Jean Baudrillard misstraue ich der Verführungskraft der Bilder ebenso wie ich es mit konstruierten Fließbanddramaturgien ohnehin tue. Aber "Only God Forgives" erzählt sehr wohl etwas, sehr viel sogar, vor allem über Blicke. Um das Sinnieren über Gewaltkonstellationen geht es, da gebe dir recht Ciprian, aber auch um Impotenz und überhaupt um eine Krise des Mannseins, die gleichermaßen eine Krise des konventionellen Actionkinos impliziert. Das scheint mir überhaupt das Schlüsselthema der ganzen Trilogie, deshalb hat das sanftharte Zwitterwesen Gosling - halb androgyn, halb Macho – vom wilden Mann Mads Mikkelsem die Antihelden-Fackel übernommen. Deshalb erstarrt vielleicht auch alles im finalen Teil, wie das Genre selbst teils erstarrt ist.
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SEBASTIAN: Wir müssen jetzt unbedingt noch auf die Musik in "Only God Forgives" zu sprechen kommen, für die hier - nach der wahren Meisterleistung in "Drive" - erneut Cliff Martinez gewonnen werden konnte. Und auch hier keine Wiederholung, sondern unbefangen, neue Welten. Mir hat sich dabei vor allem der dezent metallische Klang der Klinge des "Angel of Death" eingegraben, mir förmlich jedes Mal einen kleinen Stich versetzt. Wie hier überhaupt alles derart dicht miteinander verknüpft wird, Text, Geräusche, Musik, Drohnenbrummen und paukenhafte Sythie Riffs...dann in aller Selbstverständlichkeit: Thai-Pop, so süß, man spürt förmlich wie einem die Zähne schmerzen. Wunderschön.
CHRISTIAN: Hach, diese Karaokesequenzen, die in ihrer strengen Geometrie von Ulrich Seidl stammen könnten und auch eine Tür zum stilisierten Yakuzakino aus Japan öffnen, von Suzuki Seijun bis zu Kitano Takeshi. Aber zurück zu Cliff Martinez: Neben dem gänzlich konträren Hans Zimmer verehrte ich den Ex-Chili-Peppers-Drummer als größten Gott des zeitgenössischen Soundtrack-Schaffens. Ich erinnere mich an "The Limey" und "Solaris" von Soderbergh, wo mich seine Scores das erste Mal hypnotisierten. Der Mann hat auf eine subtile und gleichzeitig sehr effektive Weise die Geschichte der elektronischen Musik und der Filmmusik verinnerlicht. Man möchte einem Michael Haneke beispielsweise, der Soundtracks komplett ablehnt, diese minimalistisch pulsierenden Tracks in extremer Lautstärke vorspielen, um ihm einzuhämmern, dass das Gesamtkunstwerk Film eben eine Symbiose aus Bildern und Worten und vor allem auch Musik sein kann und muss.
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An der Nabelschnur
CHRISTIAN: Lasst uns doch über Kristin Scott Thomas brachiale Mutterfigur reden, die neben der Gewalt den Mittelpunkt vieler Kontroversen bildete...
CIPRIAN: Kann es in so einem Film eine Mutter geben? Nicht für mich. Sie muss die Übermutter sein: begehrt, geliebt, aber auch gehasst und abstoßend. Wie eine Discordia, die nicht ernst genommen werden kann, aber ernst genommen werden muss, eben wegen all ihren Facetten, die aus so potenten Bildern entspringen. Und erst recht wenn die Hauptfigur des Films ist wie wir, ein ohnmächtiger Zuschauer, der alles sehen kann, aber nichts bewirken darf, der sich höchstens ein Herz aus einer toten Brust heraus krallt.
SEBASTIAN: Wie billig wäre es doch gewesen, diese Mutter in all ihrer ausgestellten Kälte zu überhöhen und wie gemein es dann doch war, uns stattdessen immer wieder ihre Machtlosigkeit spüren zu lassen. Gemein vor allem deswegen, weil man sich so erst recht nicht von ihr lösen kann. Ein Abnabeln beinahe völlig undenkbar scheint.
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CHRISTIAN: Ich glaube, wie schon angedeutet, dass Nicolas Winding Refn auf zwei Ebenen arbeitet. Auf einer von Freude, Spaß und purer Lust am provokativen Filmemachen geprägten Zitat-Ebene. Und auf einer strengeren Kunstebene, die sich auf transgressive Literatur und auch Theater bezieht. Soll heißen: Im Gegensatz zu einem Mystiker wie Jodorowsky, der vielleicht vor einem Film wochenlang meditiert oder Terrence Malick, der sich mit Philosophieschmökern auf eine texanische Farm zurückzieht, guckt der zunächst ganz viele Filme. Und in diesem Sinn ist die mächtige Mutter eindeutig von Diane Ladds monströser Mama im Roadmovie „Wild At Heart“ seines Idols David Lynch inspiriert. Und diese Figur bezieht sich ja neben White-Trash- und Noir-Traditionen bereits auf die Hexen in „Wizard of Oz“ und gespenstische Überfrauen aus Märchen und Sagen. Das führt nahtlos zur strengeren Ebene, wo Kristin Scott Thomas einfach die Fortführung einer antiken Tragödienmutter ist, die wie eine Furie ihre Rache durchsetzt. Und auch Motive aus George Batailles radikaler und inzestiöser Erzählung „ Ma mère“ scheinen mir eingeflochten. Dieser Filmemacher will, wie die Allerbesten, ja immer alles gleichzeitig: Lowculture und Highculture, Pop und Philosophie, gemixt zu einem pieksüß schmeckenden Todescocktail.
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Bangkok, nicht L.A.
CHRISTIAN: Ganz entscheidend bei dem Film, wohl nicht nur für mich: Der Bangkok-Faktor. Eben nicht Hongkong oder Tokyo oder gar Los Angeles bildet die Kulisse für die diversen Rachefeldzüge der Protagonisten.
CIPRIAN: Ich glaube, dass ich diesem Ort weniger Aufmerksamkeit geschenkt hätte, wenn ich nicht darüber gelesen hätte, wie touristisch angeblich Refn mit Asien umgeht. Diese Koketterie eines Kritikers, machte mir umso deutlicher, dass die Stadt ein symbolischer Ort ist, an welchem Gewalt mystisch zwischen Kulturen neu kodiert werden kann. Sie strotzt vor architektonischen Vaginasymbolen, in welchen Drohung lauert, vor Licht und Figuren zerschneidenden Gittern, und vor Begegnungsorten, an welchen Mystisches und Profanes sich, vertreten durch Mensch und Raum, als (Konfrontations-)Paar begegnen und dabei ständig ihre Rollen tauschen. Darum hat es mich sehr gefreut zu sehen, wie der Puls dieser Stadt in den Bildern immer wieder verlangsamt wurde, mal im Zeichen des Pathos, mal als ironischer Kommentar dazu, und nicht selten nur um ein Zeitgefühl zu vermitteln, der seine Motivation nicht bei den Figuren und nicht im Stadtbild fand, sondern die ich einfach darin gesehen habe, dass sich der Film seiner Entstehung bewusst wird und damit auch dem entsprechenden Einfluss auf Mensch und Raum.
CHRISTIAN: Mein Bruder lebt ja schon ewig in Thailand und viele seiner Erzählungen drängten sich bei mir ebenso im Kinosaal auf wie diverse Berichte, die ich von reisenden Freunden gehört hatte. In diesen Geschichten hätte die Figur des Todesengels Changs ebenso Platz wie die Darstellungen der Kriminalität oder vor allem das seltsame Paar Ryan Gosling und Yayaying Rhatha Phongam, die die Bardame spielt. Deren Beziehung, die sich aus Erniedrigung speist und einem masochistischen Spiel aus Anziehung und Ablehnung bildet für mich übrigens ein Kernstück des Films.
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SEBASTIAN: Einen selbstgewählt durch und durch „thailändischen Film“ hat Refn hier scheinbar gedreht, mit thailändischem Vorspann, Stimmen und eigentlich doch auch mit dem hier mehr als eindringlichen Vithaya Pansringarm, also einem Thai in der eigentlichen Titelrolle. Vielleicht ist das ja überhaupt der größte Tabubruch, den Refn hier wagt: das nicht Ryan Gosling, die Fackel weiterträgt, sondern dieser Film ganz dem (zudem vorher noch gänzlich unbekannten) Vithaya Pansringarm gehört. Und verdammt will ich sein, wenn das kein gute Wahl war. Was für ein Monolith. Was für ein an Intensität kaum mehr zu toppendes Schauspieler-Debüt.
CHRISTIAN: Ja, tatsächlich ein irre guter Typ. Und man muss nochmal betonen: Im Gegensatz zu den leider wirklich parodistisch-touristischen Annäherungen an fremde Städte, wie sie der Hollywoodmainstream zelebriert, aber auch Woody Allen oder das kuschelige Toskana-Programmkino mit seinen Wohlfühlexotismen, spielt Winding Refn in einer ganz anderen Liga. Der Blickwinkel der Farangs, der Ausländer, auf das Fremde ist ebenso ein zentraler Subtext wie jener der Thais auf Goslings Julian und dessen verkorkstes Umfeld. Es mag wie ein plattes Kulturklischee klingen, aber: In Bangkok wird nach ganz anderen Regeln gespielt. Sowohl was Ehre, Höflichkeit und Sexualität betrifft als auch Kriminalität. „Only God Forgives“ dringt da, glaube ich, mit Gesten und Blicken, tiefer ein als blasierte Feuilletonisten glauben.
SEBASTIAN: Der Westen hat hier wahrlich nichts mehr zu melden. Auch mal schön.
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