Erstellt am: 10. 9. 2013 - 05:56 Uhr
Künstlerinnen in Nahaufnahme: Anna Witt
"Performativ gearbeitet habe ich schon immer, aber mir war nie bewusst, dass das, was ich mache, Kunst sein könnte. Am Schulweg hab ich damals einen Schwächeanfall vorgetäuscht, um zu sehen, wie die Leute drauf reagieren. Aber nichts ist passiert und ich bin 20 Minuten am Boden gelegen, wieder aufgestanden und dann frustriert in die Schule gegangen."
Anna Witt ist neben Marlene Haring, Ralo Mayer und Christian Meier für den BC21 Award nominiert.
Mehr zu Anna Witt gibt es heute in der Morningshow & Homebase zu hören.
Eine Kunstaktion wie ein Radioheadvideo: Auf der Strasse liegen, regungslos. Warten darauf, das etwas passiert. Oder auch nicht. Die Kunst von Anna Witt ist von der Sorte, von der man heutzutage viel zu wenig findet. Verwirrend. Radikal. Genial. Mit einer Portion Humor gesegnet, den andere so verzweifelt herbei bemühen wollen - und denen es trotz der Mühe nicht einmal annähernd gelingt, diesen Status zu erreichen.
Anna Witt
Wenn Menschen die Kontrolle verlieren
Anna Witt erzeugt im öffentlichen Raum oftmals groteske Situationen. Passanten und vor Ort anwesende Menschen werden eingebunden und was dann passiert, ist meist nicht kontrollierbar und sehr unterhaltsam.
Anna Witt
Etwa die Arbeit "Geld zu finden" von 2003: In einer Galerie in einer U-Bahn-Station hat Anna Witt eine Wohnlandschaft nachgebaut und in den Möbeln ein paar Hundert Euro in kleinen Scheinen versteckt. Die Besucher durften nach dem Geld suchen und, falls sie etwas davon gefunden hatten, das Geld behalten. Ein Experiment in einem Kunstraum, das völlig eskaliert ist.
Anna Witt
"Innerhalb von drei Stunden war das Wohnzimmer zerlegt, Menschen haben mit Stuhlbeinen wild auf die Möbel eingeschlagen. Dann kam auch noch ein Obdachloser, der sich gemütlich ins Bett gelegt hat und die Situation für sich genutzt hat. Da ging es nicht mehr darum, das Geld zu finden, sondern um den Enthemmungsprozess."
Wenn Obdachlose patroullieren
Anna Witt wurde 1983 in Bayern geboren. Eigentlich wollte sie Architektin werden, doch nach dem Abitur zog es sie an die Kunsthochschule und in weiterer Folge nach Wien an die Akademie der Bildenden Künste, wo sie bei Monica Bonvicini Performative Kunst und Bildhauerei studiert hat.
Dort ist auch die Arbeit "Team West - Patroullier mit mir" entstanden. Einen Tag lang hat die Künstlerin das Security Team am Wiener Westbahnhof mit der Kamera begleitet, hat sich alle Sicherheitstricks zeigen lassen - nur um anschließend mit den obdachlosen Menschen, die sonst im Bahnhof betteln und leben, ihr eigenes "Sicherheitsteam" zu gründen.
Anna Witt
Gemeinsam zog das mit gefälschten Uniformen und Gummiknüppeln ausgerüstete Team durch die Hallen. Ankommende Reisende reagierten sehr positiv auf diese Guerilla-Security und haben sich gerne Hilfe und Wegbeschreibungen geben lassen. Eine Videoarbeit ist aus dieser performativen Arbeit entstanden.
Wenn Häuser pulsieren
Arbeiten wie diese sind typisch für Anna Witt. Einen gemeinsamen, irritierenden Moment erschaffen, das ist auch das Thema der Arbeit "Beat House" von 2011, die in Charleroi in Belgien entstanden ist. Die einstige Vorzeigeindustriestadt fiel vor Jahren dem Strukturwandel zum Opfer. Einst ein pulsierender Ort, nun eine stille Geisterstadt. Anna Witt hat sich das größte Haus in der Stadt ausgesucht, einen anonymem Plattenbau, an jede einzelne Tür geklopft und die Bewohner darum gebeten, ihren Herzschlag aufnehmen zu dürfen. Diese unterschiedlichen Herzschläge hat sie auf CD gebrannt und jeden der Bewohner gebeten, zur selben Zeit die CD einzulegen, die Boxen voll aufzudrehen und die Fenster zu öffnen. Ein bebendes Haus war das Resultat.
"Das klingt vielleicht romantisch, war aber ziemlich ekelhaft. Da hört man die Herzfehler und Eigenheiten des Schlags deutlich. Und gemeinsam gab das eher ein Grollen, einen riesigen Technobeat, gebaut aus schlechten Bässen".
Popkulturell als auch künstlerisch tut sich bei Anna Witt eine interessante Referenzkette auf, zwischen dem Humor der Goldenen Zitronen und der Radikalität von Francis Alÿs und Santiago Sierra angesiedelt.
Anna Witt
So hat sich die Künstlerin in ihrer Arbeit "Import-Export Life Conditions" von 2005/2006 eine breite, schwarze Linie auf den Rücken tätowieren lassen. Eine Arbeit, die sich auf Santiago Sierra bezieht: Er bezahlte kubanische Prostituierte dafür, dass sie sich für den Wert einer Dosis Heroin eine Linie auf den Rücken tätowieren lassen. Diesen Strich hat Anna Witt auf ihrem Körper fortsetzen lassen und 400 Pesos dafür bezahlt.
"Was für einen Wert hat ein solches Objekt dann, seiner eigentlichen ökonomischen Umgebung entrissen und in eine andere Verwertungslogik eingeführt?"
Wenn Kunst bloß öfter so spannend wäre und nicht so oft angepasst und oft so verkaufsorientiert. Anna Witts Arbeiten sind vielleicht kommerziell schwierig zu verwerten, die Wertschätzung kommt aber von den richtigen Menschen und viele renommierte Galerien und andere Ausstellungsorte zwischen München und Mexiko City hat sie mit ihren Videos und Aktionen schon bespielt, zum Beispiel die Secession in Wien, die Berlin Biennale und das Staatsstipendium für Video- und Medienkunst Österreich gab es 2010 auch für Anna Witt.
Nun ist sie neben Marlene Haring, Ralo Mayer und Christoph Meier für den Belvedere Art Award BC21 nominiert und eine Ausstellung gibt es dazu im 21er Haus. Anschauen und sehr gut finden.