Erstellt am: 15. 7. 2013 - 16:21 Uhr
Kopfsprung in den HipHop-Irrsinn
Der Anfang hätte besser laufen können: Nach Zugverspätung, verpasstem Anschluss und einer Stunde verlorener Zeit in Wittenberg (leider ohne reformatorischer Erleuchtung!) marschierte ich gerade zum dritten Mal die eineinhalb Kilometer lange Strecke von der Straße zum Festivalgelände los, als Kendrick Lamar in der Ferne zu spielen begann. Einer der Songs, die ich besonders gerne live gesehen hätte, klang unter diesen Umständen extra bitter: Denn der Vibe war zu diesem Zeitpunkt mausetot.
Die letzten paar Kendrick-Songs, die ich dann tatsächlich noch live vor Augen bekam, und das eindrucksvolle Ambiente mit den vor sich hinrostenden überdimensionalen Industriekränen (früher stand an der Stelle ein Braunkohle-Bergwerk) sollten mich dann aber einigermaßen versöhnen - auch wenn das alles gar laut und zu schnell vorbei war.
Am Freitag kam das Splash! dann richtig in Fahrt und bot ab dem späten Nachmittag volles Programm auf drei Bühnen. Ein erstes Highlight bot der Berliner Rapper/Sänger Chefket, der es auf seiner neuen Platte Identitäter schafft, komplexe Themen wie Herkunft, das Zusammenleben verschiedener Kulturen oder auch die deutsche Rüstungsindustrie in eingängige Songs zu verpacken. Auch in der Live-Variante mit rein weiblicher Backing Band klang das sehr gut!
Und dann begann auch schon die Termin-Bredouille, denn gleichzeitig spielte auch Thunderbird Gerard, kurz darauf dann sowohl Damion Davis als auch Iggy Azalea und am nächsten Slot gab es gar Dendemann, Oddisee und die aktuelle deutsche Rap-Chartsensation Genetikk gleichzeitig zu sehen. Letztere brachten dank der neuen Popularität den überschaubaren Publikumsraum der "Samoa Stage" am Strand an seine Grenzen, ersterer holte sich als besonderen Moment einer ohnehin höchst energiegeladenen Show schnell mal die alten Freunde Eizi Eiz und Herr Sorge für einen kurzen Hamburg-Cypher Marke K2 auf die Bühne - und der sympathische Oddisee war zuschauertechnisch trotz großartiger Show leider der Verlierer des Duells.
Zu gewinnen gab es an dem Abend auch für Samy Deluxe's Zirkusdirektoren-Alter-Ego Herr Sorge wenig: Denn auf die Hauptbühne waren zur selben Zeit die drei Herren von A Tribe Called Quest gebucht. Nichts weniger als eine Sensation, denn eigentlich war die Band schon 1998 im Streit auseinandergegangen - und auch eine Dokumentation über die Band und neuerlich neuerliche Ego-Zusammenstösse bei zögerlichen Reunion-Versuchen machten wenig Hoffnung, diese ewige Lieblingsgruppe noch einmal auf einer Bühne sehen zu können.
Aber Geld ist ja bekanntlich one hell of an Ansporn und so wurde ein Traum wahr - nicht nur für mich, sondern auch für tausende andere HipHop-Fans verschiedener Altersgruppen. Nun könnte man eine grandiose Diskographie wie die des Tribe live ganz entspannt "verwalten" - dankenswerterweise entschlossen sich die drei, allen voran Rampensau Q-Tip, zum hochmotivierten und extrem mitreißenden Gegenteil davon. Dem hohen Tempo ist es wohl auch zu verschulden, dass sein gesundheitlich angeschlagener vokaler Gegenpart Phife Dawg ab der Hälfte des Konzerts zunehmend außer Atem kam. Das war aber nur ein kleiner Wermutstropfen angesichts einer energiegeladenen Show voller Gänsehautmomente.
Nachdem der Freitag bei den Betty Ford Boys, der Beats-Supergroup von Brenk Sinatra, Suff Daddy & Dexter, noch harmonisch ausgeklungen war, hieß es einerseits erstmal ordentlich ausruhen und sich andererseits endgültig davon verabschieden, hier alle Wunschkonzerte auch wirklich zu sehen zu bekommen. Denn der Samstag trieb den Drei-Bühnen-Gleichzeitig-Irrsinn teilweise noch auf die Spitze. So war einerseits in einem Moment fast die ganze Beast Coast auf zwei Bühnen verteilt (Joey Bada$$, The Underachievers und die Flatbush Zombies), andererseits verpasste ich im Endeffekt die wie man hört sehr schöne Show von Retrogott & Hulk Hodn. Für einen druckvollen Anfang des Abends sorgte jedenfalls der Berliner Rap-Hüne Megaloh, der auch immer wieder Überraschungsgäste zu sich auf die Bühne holte.
Nach der oben schon erwähnten nächsten Generation der Ostküstenrapper aus Flatbush/Brooklyn betrat dann deren kalifornisches Pendant Tyler The Creator die Hauptbühne. Wie man es sich nicht anders erwartet hätte, legte er Odd Future Mastermind in Sachen Publikums- und Bandmitgliederbeschimpfung und sarkastischen Ansagen besondere Kreativität an den Tag. Aber auch die Rap-Stimme klang trotz oder gerade wegen etwas Heiserkeit gut und Tyler hielt das Publikum so absolut in seinem Bann.
Das darauffolgende Konzert von A$AP Rocky war dann leider ein Beispiel dafür, wie man's nicht macht, schon garnicht als Co-Headliner auf einer so großen Bühne: Der pretty flacko aus Harlem rappte nämlich konsequent über die Vocalversionen seiner Songs, was neben einem verwaschenen Sound auch den Eindruck erzeugte, er könne live nicht den nötigen Druck am Mikrofon erzeugen. Die "LongLiveA$AP" Instrumental-LP wünsche ich mir ohnehin schon länger, aber wenn sie nicht einmal Rockys DJ hat, wird das wohl schwierig...

Daniel
Während auf der Hauptbühne bei Casper ordentlich Pyro-Effekte gezündet wurden, entschied ich mich für den Live-Abschluss für den dicken albanisch-amerikanischen Chefkoch Action Bronson. Richtig gerne scheint der ja nicht auf Tour zu sein: So reiste er bei seinem ersten Euro Trip nach einigen Shows einfach wieder ab und hinterließ auch diesmal im Vorfeld halbmotivierte Tweets. (Wie war eigentlich die Wien-Show?) An Einsatz ließ er es diesmal jedenfalls nicht mangeln, so war der Rapper ausführlich im Publikumsraum unterwegs und rappte auch mit viel Energie. Irgendwann reichte es Bronsolinho dann aber und er stapfte einige Zeit vor dem geplanten Show-Ende von dannen... Schade eigentlich!
Den auch hochkarätig besetzten Sonntag musste ich dann leider aus Termin-Gründen auslassen, das war aber im Sinne der Aufnahmefähigkeit vielleicht auch besser so - irgendwann muss man all die Informationen ja auch verarbeiten! Jedenfalls war es sehr schön, wieder einmal zurück am Splash zu sein. Die große Dominanz des deutschen Straßenrap (einer der Gründe, warum ich mir nach dem letzten Besuch - 2004!!! - eine längere Auszeit gönnte) ist jetzt jedenfalls vorbei - auch im Programm des diesjährigen Splash! war diese Geschmacksrichtung auffällig selten zu finden. Während sich einer der frühere Superstars jetzt hauptsächlich als Boulevard-Hassfigur in Szene setzt, zeigte sich die deutsche HipHop-Szene dieses Jahr nach einigen Charts-Erfolgen sehr selbstbewusst, harmonisch und vielfältig.
Und auch die internationalen Gästen waren geschmackvoll ausgewählt und sorgten in einem Fall bei vielen auch für die Erfüllung eines lange gehegten Traumes. Ich bin zwar generell nicht der größte Freunde des Festival-Zirkus, aber unter diesen Umständen: Bis nächstes Jahr, Splash!