Erstellt am: 12. 7. 2013 - 17:35 Uhr
"Erschreckend, aber keine Neuigkeit!"
APA/Robert Jäger
Ende Juni enthüllte die Wiener Stadtzeitung Falter, dass ein 14-jähriger in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Josefstadt von anderen Häftlingen vergewaltigt wurde. Die zuständige Justizministerin Beatrix Karl klassifzierte die Tat in einer ersten Reaktion als Einzelfall und bemerkte, dass der Strafvollzug kein Paradies sei (obwohl der vergewaltigte Teenager in Untersuchungshaft war, also gar nicht verurteilt). ExpertInnen, Teile der Opposition und JournalistInnen kritisierten die Haftzustände, die hohe Anzahl inhaftierter Jugendlicher und die Aussagen der Ministerin. Drei weitere Fälle sexueller Gewalt in Gefängnissen in Gerasdorf, Graz und Linz wurden bekannt und die Ministerin ging auf mediale Tauchstation. Eine aktuelle Untersuchung des Ludwig-Boltzmann Institutes für Menschenrechte bestätigt regelmäßige körperliche Übergriffe und Misshandlungen in den Justizanstalten Josefstadt und Gerasdorf und stellt auch Gewalt durch JustizbeamtInnen an Häftlingen fest. Immer mehr Stimmen fordern Alternativen zur Inhaftierung von Jugendlichen, wie etwa betreute WGs, sowie die Wiedereinführung des 2003 abgeschafften Jugendgerichtshofes.
"Chronologie eines Systemversagens": Der FALTER über Vorfälle im österreichischen Jugendstrafvollzug
Nun hat die Justizministerin mit einem Paket von 25 Maßnahmen zur Verbesserung der Jugendhaft reagiert: Nur mehr zwei Häftlinge pro Zelle, mehr Beschäftigung für die Inhaftierten, mehr und besser geschultes Personal. Allerdings gibt es weder eine Deadline, bis wann das Paket umgesetzt sein soll, noch ist die Finanzierung geregelt.
Tod eines Teenagers
Gestern hat sich unterdessen ein 18-jähriger Insaße in der Jugendstrafanstalt Gerasdorf das Leben genommen. Er war wegen Diebstahls für mehrere Monate in Haft und wäre heuer noch freigekommen. Der zuständige Vollzugsdirektor Peter Prechtl sagt, der Teenager sei psychisch verhaltensauffällig gewesen. Er war psychiatrisch betreut worden, aber mittlerweile wieder in den '"Normaltrakt" verlegt. Beatrix Karl hat heute in einer Pressekonferenz von einem "sehr bedauerlichen Fall" gesprochen. Der Selbstmord wurde bislang nicht in Verbindung mit (sexueller) Gewalt gebracht.
Im FM4 Interview: ein Ex-Häftling aus der Justizanstalt Josefstadt
Der heute 21-jährigen Ricardo war 2009 wegen schwerer Körperverletzung ein halbes Jahr in der Josefstadt in U-Haft. Im FM4 Interview schildert er die Haftzustände.
In der Justizanstalt Josefstadt, wo auch du inhaftiert warst, wurde ein 14-Jähriger vergewaltigt. Wie geht es Dir, wenn Du von diesen aktuellen Gewalttaten hörst?
Erschreckend. Das ist keine Neuigkeit – es ist halt zum ersten Mal in den Medien. Auch in meiner Zelle hatten wir einen (Fall, Anm.). Der war schon zweimal da. Beim ersten Mal in Haft wurde er vergewaltigt – von vier anderen Mithäftlingen. Die sind dann auch verurteilt worden; es ist ihm Schmerzensgeld zugesprochen worden.
Wann und wo passieren solche Misshandlungen, wie sie jetzt bekannt geworden sind?
In der Nacht, wenn alle schlafen, schlägt man einfach zu – wenn es keiner mitbekommt. Einer stellt sich zur Türe hin, damit man den roten Knopf nicht drücken kann (den roten Knopf drückt man in einer Notsituation, dann kommt medizinisches Personal oder ein Justizwachekommando). Einer verdeckt den Knopf und die anderen "lassen die Sau raus". Die Fenster sind oft auch versperrt und das hört dann auch keiner raus natürlich.
In der Josefstadt sind die meisten zu viert in einer Zelle (aufgrund der Vergewaltigung eins Teenagers werden Jugendliche ab sofort maximal in Zweierzellen verbracht, Anm.)
Ja, ab vier ist schon eine gewisse Gruppendynamik da: es ist leichter, einen auszuschließen. Ich würde sagen, die ideale Anzahl wären zwei: da kann sich keiner gegen den anderen verbünden, da ist "entweder oder" und der, der das "oder" erwischt, kann immer noch den roten Knopf drücken.
Gibt es Gewalt von WachebeamtInnen gegenüber den Häftlingen? Was würde der Ex-Häftling Ricardo an den derzeitigen Haftbedingungen und ändern? Das gesamte Interview:
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