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David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

15. 7. 2013 - 10:41

Jetzt lasst's den Lynch in Ruhe meditieren

Der wache Traumtänzer David Lynch verlegt sein Streben nach Auflösung weiter vom Film in die Musik. Mit seiner zweiten Langspielplatte "The Big Dream" ist er FM4 Artist Of The Week.

Artist Of The Week

Alle auf einen Blick unter fm4.orf.at/artistoftheweek

"The Blues is an honest and emotional form of music that is thrilling to the soul. I keep coming back to it, because it feels so good." David Lynch

2006 erscheint "Inland Empire", der bisher letzte Spielfilm bei dem David Lynch Regie führte. Ein einziger Schuss weit über das Ziel. All die berühmten Lynch-Elemente reizte der Amerikaner über Gebühr aus. Ein unendlicher Episodenrausch ohne Anfang und Ende. Konnte man mit viel Kreativität in Filmen wie "Lost Highway" vielleicht noch so etwas wie eine schlüssige Interpretation auf die Reihe bringen, stellten sich die drei Stunden Inland Empire als einzige Abbildung von Angst (und dem hilflosen Trachten nach Bewältigung dieser) dar.

David Lynch

PIAS

Als einzige Möglichkeit, den Schmerz zu überwinden oder zumindest zu ertragen, bietet David Lynch den Akt der Aufgabe an. Im Moment des Aufgebens wird köstliche Auflösung versprochen. Hier manifestiert sich selbstverständlich David Lynchs spirituelle Weltsicht und sein Engagement für die transzendentale Meditation, für die der Künstler nicht wenig Kritik einstecken muss. Da David Lynch aber ein raffinierter Jongleur von Befindlichkeiten und Ästhetiken ist, ist der Konsum von "Inland Empire" dann auch wieder nicht zu sehr belastend. Denn Lynch inszeniert stets sexy und lustvoll.

Crazy Clown Time

Obgleich nicht sein bester Film, bringt das monolithische "Inland Empire" David Lynchs gesamtes kreatives Streben und seine spirituelle Haltung endgültig und definitiv auf den Punkt. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen in einem Leben. Im Buddhismus gibt es die Figur des Bodhisattva. Ein Wesen, das die höchstmögliche Erkenntnis erlangt hat, allerdings vom Eingehen in den Zustand Nirwana absieht, um sich für das Heil aller lebenden, noch im Weltenkreislauf gefangenen Wesenheiten, einzusetzen.

David Lynch

Nach seinem privaten Nirwana "Inland Empire" widmet sich David Lynch leichtfüßigeren Dingen wie Kurz- oder Dokumentarfilmen. Und er hat sein Verlangen nach Auflösung primär in die Musik verlegt. Musikalisch war der Amerikaner stets aktiv; mit seinem Haus- und Hofkomponisten Angelo Badalamenti realisierte er beispielsweise den zwischen Honig und Horror changierenden Song "Just You" in der Twin-Peaks-Serie.

Nach ähnlichen kleinen, aber schwergewichtigen musikalischen Ausflügen, veröffentlichte David Lynch vor zwei Jahren seine erste Langspielplatte "Crazy Clown Time". Die klang dann wie erwartet - wie ein David Lynch-Soundtrack. Viel wohlige und gleichzeitig unheilvolle Soundscapes, verstimmte Surfgitarren und Elektronik aus seltsamen kleinen Kinderinstrumenten. Dazu sang David Lynch infantile kleine Melodien. Immer konsequent hochgepitcht durch einen Mickey-Mouse-Vocoder.

The Big Dream

David Lynch

David Lynch

"Crazy Clown Time" war eine gute Platte, musste allerdings ein wenig mit seiner Soundtrack-Anmutung kämpfen.

Auf seiner zweiten Langspielplatte "The Big Dream" arbeitet Lynch zwar mit denselben Musikästhetiken, wendet sich aber noch konsequenter dem Konzept Lied zu. Was Sinn macht, wenn wir wieder zur Motivation seines gesamten künstlerischen Schaffen springen wollen: die Limitiertheit von Liedern kommt der Abbildung von Vergänglichkeit sehr entgegen.

Und so klagt, flüstert und flötet der 1946 Geborene wieder durch sein Mickey-Mouse-Mikrofon. Der Grund hierfür ist, dass Lynch seine eigene Stimme als hässlich empfindet. Und mit Hilfe elektronischer Mittel ist es ihm möglich, verschiedenste Perspektiven, wie beispielsweise weibliche oder männliche, in den Songs einzunehmen. Er liebt es zwar zu singen, aber eben mit artifiziellen oder fremden Zungen.

Auf "The Big Dream" fühlt er sich nur einmal seiner vokalistischen Rolle nicht gewachsen und nimmt fremde Zungen-Hilfe in Form der schwedischen Sängerin Lykke Li in dem Lied I'm Waiting Here in Anspruch. Ein textlich für die ganze Platte symptomatisches Lied . Über die Umleitungen gebrochene Herzen, Einsamkeit und Lust landet David Lynch stets bei der Angst.

Am Montag in FM4 Connected: Listening Session zu "The Big Dream"

Und damit die kleinen traurigen Lieder mit den bitteren Texten auch zum Genuss werden, wird stark aromatisiert. Mit Melodien, die so wenig zurückhaltend sind wie amerikanische Süßspeisen. Denn Lynch inszeniert stehts sexy. Und am Ende sind wir wieder am Anfang.